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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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II.

In diesem kritischen Moment meiner Geistesentwicklung kam ich
öfter in das Haus eines ältern Bekannten, des Lieutenant B...g.
Der körperlich leidende Mann war schon längst pensionirt und hatte
vor mehreren Jahren unter Italiens mildem Himmel seine zerstörte Ge--
sundheit vergebens wieder zu erlangen gehofft. Auf jener Reise überfiel
ihn zu Rom eine schmerzliche, langwierige Krankheit. Er fand wäh¬
rend derselben im Mutterhause der Jesuiten sorgliche Verpflegung und
in den Gnadenmitteln der katholischen Religion hinlänglichen Trost
für seinen unverbesserlichen Körperzustand. Nach halbjährigen Auf¬
enthalt in Rom kehrte er nach Deutschland zurück, um, seiner frühern
Kriegsfahne untreu, in den letzten Lebensjahren als eifernder Ka¬
tholik und kampflustiger Redacteur der "Sion" dem Himmel Sühne
zu bieten für die Sünden der Vergangenheit. Die hagere Gestalt
deS Lieutenants, den ich nie anders als im schwarzen, talarähnlichen
Schlafrock sah, hatte für mich etwas Imposantes. In seinem ernsten,
von innerm Schmerz durchfurchten, blassen Gesicht fand mein schwär¬
merisches Gemüth etwas wunderbar Anziehendes. Ich ehrte den
Mann wie meinen Vater; und wenn er gar von den Paradiesen
Italiens, den Idealen aller meiner Wünsche, sprach, so hatte mein
Entzücken die höchste Stufe erreicht. Der freundliche Mann malte
mir die Schulen Roms mit großer Beredtsamkeit als die ersten, un¬
übertrefflichen Bildungsanstalten des civilisirten Europa, und erregte
endlich in mir eine lebhafte Sehnsucht, an diesem Born aller hohen
Wissenschaft, deren Aechtheit und Gediegenheit ich nicht bezweifelte,
auch einen Trank der wahren Weisheit zu schöpfen. "Leider aber,"
setzte ich bei, "fehle mir hierzu das nöthige Geld." Der Lieutenant
war über meinen Wunsch höchst erfreut und meinte, "eine solche
Kleinigkeit würde keine Schwierigkeiten machen. Mein Talent,
meine Zeugnisse mit erster Note und seine Empfehlung gälten in
Rom als baare Münze. Das Reisegeld aber würde ich von meinem
Vater erhalten." -- Augenblicklich überreichte ich meinem Protector
die wohlverwahrten Schultestimonia, und schied mit dem Versprechen,
mich sür den kommenden August zur Abreise vorzubereiten.

Die nächsten Wochen verflossen in süßen Träumen, ohne daß
ein einziger klarer Gedanke in mir erwachte. Die Marschroute ward


II.

In diesem kritischen Moment meiner Geistesentwicklung kam ich
öfter in das Haus eines ältern Bekannten, des Lieutenant B...g.
Der körperlich leidende Mann war schon längst pensionirt und hatte
vor mehreren Jahren unter Italiens mildem Himmel seine zerstörte Ge--
sundheit vergebens wieder zu erlangen gehofft. Auf jener Reise überfiel
ihn zu Rom eine schmerzliche, langwierige Krankheit. Er fand wäh¬
rend derselben im Mutterhause der Jesuiten sorgliche Verpflegung und
in den Gnadenmitteln der katholischen Religion hinlänglichen Trost
für seinen unverbesserlichen Körperzustand. Nach halbjährigen Auf¬
enthalt in Rom kehrte er nach Deutschland zurück, um, seiner frühern
Kriegsfahne untreu, in den letzten Lebensjahren als eifernder Ka¬
tholik und kampflustiger Redacteur der „Sion" dem Himmel Sühne
zu bieten für die Sünden der Vergangenheit. Die hagere Gestalt
deS Lieutenants, den ich nie anders als im schwarzen, talarähnlichen
Schlafrock sah, hatte für mich etwas Imposantes. In seinem ernsten,
von innerm Schmerz durchfurchten, blassen Gesicht fand mein schwär¬
merisches Gemüth etwas wunderbar Anziehendes. Ich ehrte den
Mann wie meinen Vater; und wenn er gar von den Paradiesen
Italiens, den Idealen aller meiner Wünsche, sprach, so hatte mein
Entzücken die höchste Stufe erreicht. Der freundliche Mann malte
mir die Schulen Roms mit großer Beredtsamkeit als die ersten, un¬
übertrefflichen Bildungsanstalten des civilisirten Europa, und erregte
endlich in mir eine lebhafte Sehnsucht, an diesem Born aller hohen
Wissenschaft, deren Aechtheit und Gediegenheit ich nicht bezweifelte,
auch einen Trank der wahren Weisheit zu schöpfen. „Leider aber,"
setzte ich bei, „fehle mir hierzu das nöthige Geld." Der Lieutenant
war über meinen Wunsch höchst erfreut und meinte, „eine solche
Kleinigkeit würde keine Schwierigkeiten machen. Mein Talent,
meine Zeugnisse mit erster Note und seine Empfehlung gälten in
Rom als baare Münze. Das Reisegeld aber würde ich von meinem
Vater erhalten." — Augenblicklich überreichte ich meinem Protector
die wohlverwahrten Schultestimonia, und schied mit dem Versprechen,
mich sür den kommenden August zur Abreise vorzubereiten.

Die nächsten Wochen verflossen in süßen Träumen, ohne daß
ein einziger klarer Gedanke in mir erwachte. Die Marschroute ward


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[0156] II. In diesem kritischen Moment meiner Geistesentwicklung kam ich öfter in das Haus eines ältern Bekannten, des Lieutenant B...g. Der körperlich leidende Mann war schon längst pensionirt und hatte vor mehreren Jahren unter Italiens mildem Himmel seine zerstörte Ge-- sundheit vergebens wieder zu erlangen gehofft. Auf jener Reise überfiel ihn zu Rom eine schmerzliche, langwierige Krankheit. Er fand wäh¬ rend derselben im Mutterhause der Jesuiten sorgliche Verpflegung und in den Gnadenmitteln der katholischen Religion hinlänglichen Trost für seinen unverbesserlichen Körperzustand. Nach halbjährigen Auf¬ enthalt in Rom kehrte er nach Deutschland zurück, um, seiner frühern Kriegsfahne untreu, in den letzten Lebensjahren als eifernder Ka¬ tholik und kampflustiger Redacteur der „Sion" dem Himmel Sühne zu bieten für die Sünden der Vergangenheit. Die hagere Gestalt deS Lieutenants, den ich nie anders als im schwarzen, talarähnlichen Schlafrock sah, hatte für mich etwas Imposantes. In seinem ernsten, von innerm Schmerz durchfurchten, blassen Gesicht fand mein schwär¬ merisches Gemüth etwas wunderbar Anziehendes. Ich ehrte den Mann wie meinen Vater; und wenn er gar von den Paradiesen Italiens, den Idealen aller meiner Wünsche, sprach, so hatte mein Entzücken die höchste Stufe erreicht. Der freundliche Mann malte mir die Schulen Roms mit großer Beredtsamkeit als die ersten, un¬ übertrefflichen Bildungsanstalten des civilisirten Europa, und erregte endlich in mir eine lebhafte Sehnsucht, an diesem Born aller hohen Wissenschaft, deren Aechtheit und Gediegenheit ich nicht bezweifelte, auch einen Trank der wahren Weisheit zu schöpfen. „Leider aber," setzte ich bei, „fehle mir hierzu das nöthige Geld." Der Lieutenant war über meinen Wunsch höchst erfreut und meinte, „eine solche Kleinigkeit würde keine Schwierigkeiten machen. Mein Talent, meine Zeugnisse mit erster Note und seine Empfehlung gälten in Rom als baare Münze. Das Reisegeld aber würde ich von meinem Vater erhalten." — Augenblicklich überreichte ich meinem Protector die wohlverwahrten Schultestimonia, und schied mit dem Versprechen, mich sür den kommenden August zur Abreise vorzubereiten. Die nächsten Wochen verflossen in süßen Träumen, ohne daß ein einziger klarer Gedanke in mir erwachte. Die Marschroute ward

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/156>, abgerufen am 05.02.2025.