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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Aus H a ut b u r g.

Kritik, Literatur und Theater. -- Die neuen Dramen; Gutzkow's Pugatscheff
und Laube's Monaldcschi. -- Die modernen Schauspieler. -- Baison,
Grunert u. A.

Wie sehr wir die pragmatische Behandlung der Literaturgeschichte
von Gervinus respectiren, so müssen wir ihm doch darin direct wider¬
sprechen, daß er die Leistungen der neuesten Literatur zu gering anschlägt.
Das ist uns auf's Neue klar geworden, seit wir eine intimere Be¬
kanntschaft mit der neuesten dramatischen Literatur gemacht haben.
Diese Erscheinungen sind freilich von verschiedenem Werth; aber sie
sind sämmtlich aus der Bewegung der Gegenwart hervorgegangen,
wenn gleich nicht alle moderne Stosse zum Vorwurf haben; die Ideen,
die Tendenzen, die darin verfolgt werden^ gehören dem modernen Le¬
ben an. Prutz verfährt in dieser Rücksicht mit offenbarer Absichtlich¬
keit; das Einschwärzen von Anspielungen auf politische Momente der
Gegenwart kann die Kritik, weil dergleichen willkürliche Einschiebsel
sind, nicht gut heißen. Aus einer viel höheren Stufe steht Gutzkow's
Pugatscheff. Der Verfasser hat dramatische Routine. Obwohl der
Gegenstand ein poetischer ist, liegt doch über dem Ganzen nicht ein
poetischer Duft; man sieht, daß der Dichter mit Fleiß allerlei Maschi¬
nerien in Bewegung setzt, um den Zuschauer zu gewinnen; aber ge¬
rade dadurch gewinnt er ihn nicht; es ist doch nur die poetisch verklärte
Natur, welche auf die gesunde Natur zu wirken vermag.
'

Laubes Monaldcschi haben wir nun auch gesehen. Wir halten
dieses Gedicht unbedingt für das beste von den erwähnten Piecen.
Gleich die Einleitung ist so interessant, spannend, wie wir das in al¬
len Dramen Laube's finden; der Dialog ist gedankenreich und doch
leicht; die Charaktere scharf gezeichnet, die Verwandlung glücklich an¬
gelegt und durchgeführt. Dabei ist Monalveschi von poetischem Schwung;
die seelischen Beziehungen der Christine sind ganz meisterhaft gespon¬
nen; der reiche Kreis, der sich um sie gruppirt, hat durch die Be¬
stimmtheit der einzelnen Figuren, wie durch das Ineinandergreifen der
einzelnen Partien einen symphonischen Charakter. Diese Dichtung ist
eine werthvolle Erwerbung für unsere dramatische Literatur. Die Dar¬
stellung dieser neuen Dramen aber ist den derzeitigen dramatischen
Künstlern eine ungewöhnliche Aufgabe; es fehlen die Vorbilder, es
fehlt die Tradition, wie von diesem oder jenem Künstler die Rolle gut
durchgeführt, oder vergriffen wurde; Jeder ist nur auf sich angewie¬
sen, auf sein eigenes Productivvermögen. Da liegt's auf der Hand,
daß Mancherlei verfehlt wird. Aber wenn die dramatischen Künstler
eine Ehre darin finden, sich auf die Höhe der Zeit emporzuschwingen


Grcozbvtcu ,",.5. I. 13
III.
Aus H a ut b u r g.

Kritik, Literatur und Theater. — Die neuen Dramen; Gutzkow's Pugatscheff
und Laube's Monaldcschi. — Die modernen Schauspieler. — Baison,
Grunert u. A.

Wie sehr wir die pragmatische Behandlung der Literaturgeschichte
von Gervinus respectiren, so müssen wir ihm doch darin direct wider¬
sprechen, daß er die Leistungen der neuesten Literatur zu gering anschlägt.
Das ist uns auf's Neue klar geworden, seit wir eine intimere Be¬
kanntschaft mit der neuesten dramatischen Literatur gemacht haben.
Diese Erscheinungen sind freilich von verschiedenem Werth; aber sie
sind sämmtlich aus der Bewegung der Gegenwart hervorgegangen,
wenn gleich nicht alle moderne Stosse zum Vorwurf haben; die Ideen,
die Tendenzen, die darin verfolgt werden^ gehören dem modernen Le¬
ben an. Prutz verfährt in dieser Rücksicht mit offenbarer Absichtlich¬
keit; das Einschwärzen von Anspielungen auf politische Momente der
Gegenwart kann die Kritik, weil dergleichen willkürliche Einschiebsel
sind, nicht gut heißen. Aus einer viel höheren Stufe steht Gutzkow's
Pugatscheff. Der Verfasser hat dramatische Routine. Obwohl der
Gegenstand ein poetischer ist, liegt doch über dem Ganzen nicht ein
poetischer Duft; man sieht, daß der Dichter mit Fleiß allerlei Maschi¬
nerien in Bewegung setzt, um den Zuschauer zu gewinnen; aber ge¬
rade dadurch gewinnt er ihn nicht; es ist doch nur die poetisch verklärte
Natur, welche auf die gesunde Natur zu wirken vermag.
'

Laubes Monaldcschi haben wir nun auch gesehen. Wir halten
dieses Gedicht unbedingt für das beste von den erwähnten Piecen.
Gleich die Einleitung ist so interessant, spannend, wie wir das in al¬
len Dramen Laube's finden; der Dialog ist gedankenreich und doch
leicht; die Charaktere scharf gezeichnet, die Verwandlung glücklich an¬
gelegt und durchgeführt. Dabei ist Monalveschi von poetischem Schwung;
die seelischen Beziehungen der Christine sind ganz meisterhaft gespon¬
nen; der reiche Kreis, der sich um sie gruppirt, hat durch die Be¬
stimmtheit der einzelnen Figuren, wie durch das Ineinandergreifen der
einzelnen Partien einen symphonischen Charakter. Diese Dichtung ist
eine werthvolle Erwerbung für unsere dramatische Literatur. Die Dar¬
stellung dieser neuen Dramen aber ist den derzeitigen dramatischen
Künstlern eine ungewöhnliche Aufgabe; es fehlen die Vorbilder, es
fehlt die Tradition, wie von diesem oder jenem Künstler die Rolle gut
durchgeführt, oder vergriffen wurde; Jeder ist nur auf sich angewie¬
sen, auf sein eigenes Productivvermögen. Da liegt's auf der Hand,
daß Mancherlei verfehlt wird. Aber wenn die dramatischen Künstler
eine Ehre darin finden, sich auf die Höhe der Zeit emporzuschwingen


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[0099] III. Aus H a ut b u r g. Kritik, Literatur und Theater. — Die neuen Dramen; Gutzkow's Pugatscheff und Laube's Monaldcschi. — Die modernen Schauspieler. — Baison, Grunert u. A. Wie sehr wir die pragmatische Behandlung der Literaturgeschichte von Gervinus respectiren, so müssen wir ihm doch darin direct wider¬ sprechen, daß er die Leistungen der neuesten Literatur zu gering anschlägt. Das ist uns auf's Neue klar geworden, seit wir eine intimere Be¬ kanntschaft mit der neuesten dramatischen Literatur gemacht haben. Diese Erscheinungen sind freilich von verschiedenem Werth; aber sie sind sämmtlich aus der Bewegung der Gegenwart hervorgegangen, wenn gleich nicht alle moderne Stosse zum Vorwurf haben; die Ideen, die Tendenzen, die darin verfolgt werden^ gehören dem modernen Le¬ ben an. Prutz verfährt in dieser Rücksicht mit offenbarer Absichtlich¬ keit; das Einschwärzen von Anspielungen auf politische Momente der Gegenwart kann die Kritik, weil dergleichen willkürliche Einschiebsel sind, nicht gut heißen. Aus einer viel höheren Stufe steht Gutzkow's Pugatscheff. Der Verfasser hat dramatische Routine. Obwohl der Gegenstand ein poetischer ist, liegt doch über dem Ganzen nicht ein poetischer Duft; man sieht, daß der Dichter mit Fleiß allerlei Maschi¬ nerien in Bewegung setzt, um den Zuschauer zu gewinnen; aber ge¬ rade dadurch gewinnt er ihn nicht; es ist doch nur die poetisch verklärte Natur, welche auf die gesunde Natur zu wirken vermag. ' Laubes Monaldcschi haben wir nun auch gesehen. Wir halten dieses Gedicht unbedingt für das beste von den erwähnten Piecen. Gleich die Einleitung ist so interessant, spannend, wie wir das in al¬ len Dramen Laube's finden; der Dialog ist gedankenreich und doch leicht; die Charaktere scharf gezeichnet, die Verwandlung glücklich an¬ gelegt und durchgeführt. Dabei ist Monalveschi von poetischem Schwung; die seelischen Beziehungen der Christine sind ganz meisterhaft gespon¬ nen; der reiche Kreis, der sich um sie gruppirt, hat durch die Be¬ stimmtheit der einzelnen Figuren, wie durch das Ineinandergreifen der einzelnen Partien einen symphonischen Charakter. Diese Dichtung ist eine werthvolle Erwerbung für unsere dramatische Literatur. Die Dar¬ stellung dieser neuen Dramen aber ist den derzeitigen dramatischen Künstlern eine ungewöhnliche Aufgabe; es fehlen die Vorbilder, es fehlt die Tradition, wie von diesem oder jenem Künstler die Rolle gut durchgeführt, oder vergriffen wurde; Jeder ist nur auf sich angewie¬ sen, auf sein eigenes Productivvermögen. Da liegt's auf der Hand, daß Mancherlei verfehlt wird. Aber wenn die dramatischen Künstler eine Ehre darin finden, sich auf die Höhe der Zeit emporzuschwingen Grcozbvtcu ,«,.5. I. 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/99>, abgerufen am 22.07.2024.