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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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und darauf zu halten, daß die dramatischen Dichter ihre Kräfte an¬
haltend dem Theater zuwenden, so wird dieses sich auch zu einer hö¬
heren Bedeutung in unserem modernen Leben emporschwingen können.
Die Mitglieder des Stadttheaters verdienen alles Lob für ihren Fleiß.
Herr Baison, der provisorisch die Stelle von Herrn Hendrichs über¬
nommen hat, ist ein routinirter Schauspieler; gegen seinen Monal-
dcschi hatten wir freilich Mancherlei zu erinnern; wir wünschten mehr
chcvalercskes Wesen, mehr Noblesse: der Dichter hat es so schön ge¬
macht, daß Monaldeschi zum Schluß die Königin nicht um Verzei¬
hung und Gnade bittet, sondern daß er ihr Vorwürfe macht, von ihr
Rechenschaft fordert über ihr Benehmen gegen ihn; dieser Moment wurde
vom Darsteller nicht ganz befriedigend ausgedrückt; besser als Monal¬
deschi gelang ihm der Pugatscheff. Herr Gerstel spielte den Narren
im Moritz von Sachsen sehr gut; Madame Lenz hatte auf die So¬
phie im Pugatscheff und auf die Christine viel Sorgfalt verwendet;
Fraulein Lehne gab die Gemahlin des Moritz von Sachsen zum, zwei¬
ten Male sehr gut. Herr Brüning spielte die charmante Partie des
von Schurre im Monaldeschi vortrefflich. Der Santinelli im Mo¬
naldeschi, Grunert gab ihn, ist in seiner geheimnißvollen, der Königin
durch seine Treue Grauen erregenden Weise höchst glücklich angelegt;
er ist wie der Schatten des Glücks, plötzlich und immer wieder heran¬
tretend wie das Unglück Alle Momente dieser Rolle, für den Künst¬
ler gewiß eine höchst schwierige Aufgabe, markirte Grunert mit glück¬
lichem Wahrheitsgefühl; er zeigte den Santinelli in seiner ganzen ho¬
hen Bedeutung für das Stück. Grunert weiß immer ganz, was er
will; wir haben nie bemerkt, daß er sich an Vorbilder anschließt; er
würde lieber fehlen wollen, denn daß er nachahmte oder copirte; er ist
in seinen Darstellungen immer eins mit dem Dichter: er ist es mit
sich selbst. Wir finden die Rollen, die wir von ihm sahen, entweder
neu und eigenthümlich geschaffen, oder neue Beziehungen derselben her¬
ausgestellt; es ist nicht blos Maske, was ergibt, sondern seine Maske
ist allemal Verkörperung des Bewußtseins; weil sein Feuer nicht
Echauffement ist, zündet es. Künstler, wie Grunert, sind für die Kunst¬
werke der neuesten dramatischen Schule von unbedingtem Werth und
kräftige Stützen derselben. Eine höchst interessante Darstellung war
sein Alba im Egmont, so ganz und gar verschieden von der herkömm¬
lichen Weise, so streng geschlossen, so sehr mien veiilorum et "uj"vr-
ciliis vmniil movviis, daß der Eindruck nicht blos frappirt, sondern
bleibt.




und darauf zu halten, daß die dramatischen Dichter ihre Kräfte an¬
haltend dem Theater zuwenden, so wird dieses sich auch zu einer hö¬
heren Bedeutung in unserem modernen Leben emporschwingen können.
Die Mitglieder des Stadttheaters verdienen alles Lob für ihren Fleiß.
Herr Baison, der provisorisch die Stelle von Herrn Hendrichs über¬
nommen hat, ist ein routinirter Schauspieler; gegen seinen Monal-
dcschi hatten wir freilich Mancherlei zu erinnern; wir wünschten mehr
chcvalercskes Wesen, mehr Noblesse: der Dichter hat es so schön ge¬
macht, daß Monaldeschi zum Schluß die Königin nicht um Verzei¬
hung und Gnade bittet, sondern daß er ihr Vorwürfe macht, von ihr
Rechenschaft fordert über ihr Benehmen gegen ihn; dieser Moment wurde
vom Darsteller nicht ganz befriedigend ausgedrückt; besser als Monal¬
deschi gelang ihm der Pugatscheff. Herr Gerstel spielte den Narren
im Moritz von Sachsen sehr gut; Madame Lenz hatte auf die So¬
phie im Pugatscheff und auf die Christine viel Sorgfalt verwendet;
Fraulein Lehne gab die Gemahlin des Moritz von Sachsen zum, zwei¬
ten Male sehr gut. Herr Brüning spielte die charmante Partie des
von Schurre im Monaldeschi vortrefflich. Der Santinelli im Mo¬
naldeschi, Grunert gab ihn, ist in seiner geheimnißvollen, der Königin
durch seine Treue Grauen erregenden Weise höchst glücklich angelegt;
er ist wie der Schatten des Glücks, plötzlich und immer wieder heran¬
tretend wie das Unglück Alle Momente dieser Rolle, für den Künst¬
ler gewiß eine höchst schwierige Aufgabe, markirte Grunert mit glück¬
lichem Wahrheitsgefühl; er zeigte den Santinelli in seiner ganzen ho¬
hen Bedeutung für das Stück. Grunert weiß immer ganz, was er
will; wir haben nie bemerkt, daß er sich an Vorbilder anschließt; er
würde lieber fehlen wollen, denn daß er nachahmte oder copirte; er ist
in seinen Darstellungen immer eins mit dem Dichter: er ist es mit
sich selbst. Wir finden die Rollen, die wir von ihm sahen, entweder
neu und eigenthümlich geschaffen, oder neue Beziehungen derselben her¬
ausgestellt; es ist nicht blos Maske, was ergibt, sondern seine Maske
ist allemal Verkörperung des Bewußtseins; weil sein Feuer nicht
Echauffement ist, zündet es. Künstler, wie Grunert, sind für die Kunst¬
werke der neuesten dramatischen Schule von unbedingtem Werth und
kräftige Stützen derselben. Eine höchst interessante Darstellung war
sein Alba im Egmont, so ganz und gar verschieden von der herkömm¬
lichen Weise, so streng geschlossen, so sehr mien veiilorum et «uj«vr-
ciliis vmniil movviis, daß der Eindruck nicht blos frappirt, sondern
bleibt.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/100>, abgerufen am 22.07.2024.