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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Die prensiischen Provinzialstände und die
Reichsstände.



Dieselbe Macht der Geschichte, welche an die
Stelle der überlieferten Sitte die Gründe wä¬
gende Einsicht gesetzt hat, und eine öffent¬
liche Meinung an die Stelle der Stan-
dcßmeinung -- eben sie ist es, welche die
alten Landstände zusammenrücken heißt zu einer
Volksvertretung, die allgemeinverbindliche
Gesetze und Gcldabgaben bewilligt.

Dahlmann.

Die preußischen Provinzialstände sind weder "Provinzialstände
im Geiste der ältern deutschen Verfassung", noch entsprechen sie der
"Eigenthümlichkeit des Staats" und dem "wahren Bedürfniß der
Zeit." Ruch der ältern deutschen Verfassung hatten die Stände das
Recht der Steuerbewilligung. Die Steuerverweigerung war rcichsge-
setzlich anerkannt, wie I. I. Moser beweist. "Das wichtigste Recht
der Landstände", versichert der kurhannoversche Kanzler Struben, "besteht
darin, daß ohne ihre Gcnchmhaltung keine Steuern von den Unter¬
thanen beigetrieben werden können." Die Provinzialstände entsprechen
der Eigenthümlichkeit des preußischen Staates nicht, der durch Cen¬
tralisation aller Kräfte erstarkte, indem sie statt zur Einheit zur Auf¬
lösung des Staates in Provinzen führen. Sie sind dem "wahren
Bedürfniß der Zeit", das keine Standes- und Kastenunterschiede an¬
erkennt, das eine gleiche Berechtigung Aller fordert, nicht gemäß. Die
Provinzialstände haben nur das mit der ältern deutschen Verfassung
gemein, daß nicht das Volk, sondern Particularinteressen einzelner
verschieden berechtigter Stände und Provinzen durch sie vertreten wer-
den, wodurch ein Geist der Versumpfung in Privat-, Standes- und


Die prensiischen Provinzialstände und die
Reichsstände.



Dieselbe Macht der Geschichte, welche an die
Stelle der überlieferten Sitte die Gründe wä¬
gende Einsicht gesetzt hat, und eine öffent¬
liche Meinung an die Stelle der Stan-
dcßmeinung — eben sie ist es, welche die
alten Landstände zusammenrücken heißt zu einer
Volksvertretung, die allgemeinverbindliche
Gesetze und Gcldabgaben bewilligt.

Dahlmann.

Die preußischen Provinzialstände sind weder „Provinzialstände
im Geiste der ältern deutschen Verfassung", noch entsprechen sie der
„Eigenthümlichkeit des Staats" und dem „wahren Bedürfniß der
Zeit." Ruch der ältern deutschen Verfassung hatten die Stände das
Recht der Steuerbewilligung. Die Steuerverweigerung war rcichsge-
setzlich anerkannt, wie I. I. Moser beweist. „Das wichtigste Recht
der Landstände", versichert der kurhannoversche Kanzler Struben, „besteht
darin, daß ohne ihre Gcnchmhaltung keine Steuern von den Unter¬
thanen beigetrieben werden können." Die Provinzialstände entsprechen
der Eigenthümlichkeit des preußischen Staates nicht, der durch Cen¬
tralisation aller Kräfte erstarkte, indem sie statt zur Einheit zur Auf¬
lösung des Staates in Provinzen führen. Sie sind dem „wahren
Bedürfniß der Zeit", das keine Standes- und Kastenunterschiede an¬
erkennt, das eine gleiche Berechtigung Aller fordert, nicht gemäß. Die
Provinzialstände haben nur das mit der ältern deutschen Verfassung
gemein, daß nicht das Volk, sondern Particularinteressen einzelner
verschieden berechtigter Stände und Provinzen durch sie vertreten wer-
den, wodurch ein Geist der Versumpfung in Privat-, Standes- und


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[0570] Die prensiischen Provinzialstände und die Reichsstände. Dieselbe Macht der Geschichte, welche an die Stelle der überlieferten Sitte die Gründe wä¬ gende Einsicht gesetzt hat, und eine öffent¬ liche Meinung an die Stelle der Stan- dcßmeinung — eben sie ist es, welche die alten Landstände zusammenrücken heißt zu einer Volksvertretung, die allgemeinverbindliche Gesetze und Gcldabgaben bewilligt. Dahlmann. Die preußischen Provinzialstände sind weder „Provinzialstände im Geiste der ältern deutschen Verfassung", noch entsprechen sie der „Eigenthümlichkeit des Staats" und dem „wahren Bedürfniß der Zeit." Ruch der ältern deutschen Verfassung hatten die Stände das Recht der Steuerbewilligung. Die Steuerverweigerung war rcichsge- setzlich anerkannt, wie I. I. Moser beweist. „Das wichtigste Recht der Landstände", versichert der kurhannoversche Kanzler Struben, „besteht darin, daß ohne ihre Gcnchmhaltung keine Steuern von den Unter¬ thanen beigetrieben werden können." Die Provinzialstände entsprechen der Eigenthümlichkeit des preußischen Staates nicht, der durch Cen¬ tralisation aller Kräfte erstarkte, indem sie statt zur Einheit zur Auf¬ lösung des Staates in Provinzen führen. Sie sind dem „wahren Bedürfniß der Zeit", das keine Standes- und Kastenunterschiede an¬ erkennt, das eine gleiche Berechtigung Aller fordert, nicht gemäß. Die Provinzialstände haben nur das mit der ältern deutschen Verfassung gemein, daß nicht das Volk, sondern Particularinteressen einzelner verschieden berechtigter Stände und Provinzen durch sie vertreten wer- den, wodurch ein Geist der Versumpfung in Privat-, Standes- und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/570>, abgerufen am 22.07.2024.