Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

aber könnte eine solche Pariser Privatmittheilung auch wohl gut auf
einen Berliner Ursprung zurückgeführt werden. -- Von I>r. Klein
wird nächstens ein neues Trauerspiel "Zenobia" zur Aufführung kom¬
men; von einer Annahme des neusten Gutzkow'schen Werkes, dessen
große Erfolge sehr für dasselbe sprechen, von einer Aufführung des
"Urbild des Tartüffe" ist bis jetzt noch keine Rede gewesen.


- /?-
IV.
Das Urbild des Tartüffe, von Gutzkow.

Lustspiel -- Posse historische Anekdote -- historische Tableaur
-- Satyre -- man nenne das Stück wie man will, man sei ver¬
drießlich, daß man es nicht in die vorgeschriebenen uraltbestimmtcn
Fächer rangiren kann; man sage, das Stück fange erst im dritten
Akte an und ende in dem vierten, kurz man sage, was man will, der
Pedant ärgere sich wie Msr. Ehapelle der Akademiker; es wird doch
jeder zugestehen müssen: Ich habe mich bei diesem Urbild des Tartüffe
köstlich unterhalten; es ist ein sehr glücklicher Wurf; jeder dieser zu¬
sammenhangslosen Akte ist an sich ein kleines allerliebstes Lustspiel-
chen und in jeder dieser Scenen kommt doch ein Wort, ein Ge¬
danke vor, der wie eine Lanze in die Rippen unserer Zeit fahrt.--
Das Ganze ist ein geistreiches Feuerwerk. -- Unaufhörlich, bald hier,
bald dort, springen und platzen die Raketen; die eine zündet, die an¬
dere leuchtet, die dritte brennt sich tief ein, die vierte entwickelt sich
zum höhnischen Gesichte eines Satyrs.

Es ist viel Verbissenheit in dem Stücke. -- Gutzkow hat nie
aufgehört, Journalist zu sein; jetzt, da er kein Journal mehr schreibt,
ruft er von der Bühne dem Volke seinen Ingrimm zu, kritisirt, po-
lemisirt er, ist er witzig und geistreich auf den Brettern. -- Jede
Person dieses Stückes kommt Einem wie irgend ein Bestandtheil eines
Journales vor; Molare: leitender, aufrichtiger Artikel --Lamoignon:
satyrischer Aufsatz -- Minister, Leibarzt, Akademiker: Polemik gegen
verschiedene Stände -- Louis 2liV und Armand: moderne No¬
velle -- Mathieu: humoristischer Artikel -- Madelain": liebliche und
pikante Notiz ze. Das Ganze ist ein Journal für Politik, Litera¬
tur, Theater und geselliges Leben, redigirt von Gutzkow, dessen Cha¬
rakter das Journal trägt, dessen Sympathien und Antipathien es offen
ausspricht. -- Darum darf man Gutzkow z. R. die Polemik im vier¬
ten Akte gegen Theaterjammcr, Publicum, Verbot neuer Stücke, ge¬
gen den Neid der Dramatiker und gegen die Kritik nicht so übel neh¬
men, um so weniger, da die Polemik Meliere in den Mund gelegt
ist, dem sie gar wohl ansteht. In einem Journal ist Alles erlaubt;
die bitterste Polemik im Hauptaussatz wird ja durch die darauf fol-


aber könnte eine solche Pariser Privatmittheilung auch wohl gut auf
einen Berliner Ursprung zurückgeführt werden. — Von I>r. Klein
wird nächstens ein neues Trauerspiel „Zenobia" zur Aufführung kom¬
men; von einer Annahme des neusten Gutzkow'schen Werkes, dessen
große Erfolge sehr für dasselbe sprechen, von einer Aufführung des
„Urbild des Tartüffe" ist bis jetzt noch keine Rede gewesen.


- /?-
IV.
Das Urbild des Tartüffe, von Gutzkow.

Lustspiel — Posse historische Anekdote — historische Tableaur
— Satyre — man nenne das Stück wie man will, man sei ver¬
drießlich, daß man es nicht in die vorgeschriebenen uraltbestimmtcn
Fächer rangiren kann; man sage, das Stück fange erst im dritten
Akte an und ende in dem vierten, kurz man sage, was man will, der
Pedant ärgere sich wie Msr. Ehapelle der Akademiker; es wird doch
jeder zugestehen müssen: Ich habe mich bei diesem Urbild des Tartüffe
köstlich unterhalten; es ist ein sehr glücklicher Wurf; jeder dieser zu¬
sammenhangslosen Akte ist an sich ein kleines allerliebstes Lustspiel-
chen und in jeder dieser Scenen kommt doch ein Wort, ein Ge¬
danke vor, der wie eine Lanze in die Rippen unserer Zeit fahrt.--
Das Ganze ist ein geistreiches Feuerwerk. — Unaufhörlich, bald hier,
bald dort, springen und platzen die Raketen; die eine zündet, die an¬
dere leuchtet, die dritte brennt sich tief ein, die vierte entwickelt sich
zum höhnischen Gesichte eines Satyrs.

Es ist viel Verbissenheit in dem Stücke. — Gutzkow hat nie
aufgehört, Journalist zu sein; jetzt, da er kein Journal mehr schreibt,
ruft er von der Bühne dem Volke seinen Ingrimm zu, kritisirt, po-
lemisirt er, ist er witzig und geistreich auf den Brettern. — Jede
Person dieses Stückes kommt Einem wie irgend ein Bestandtheil eines
Journales vor; Molare: leitender, aufrichtiger Artikel —Lamoignon:
satyrischer Aufsatz — Minister, Leibarzt, Akademiker: Polemik gegen
verschiedene Stände — Louis 2liV und Armand: moderne No¬
velle — Mathieu: humoristischer Artikel — Madelain«: liebliche und
pikante Notiz ze. Das Ganze ist ein Journal für Politik, Litera¬
tur, Theater und geselliges Leben, redigirt von Gutzkow, dessen Cha¬
rakter das Journal trägt, dessen Sympathien und Antipathien es offen
ausspricht. — Darum darf man Gutzkow z. R. die Polemik im vier¬
ten Akte gegen Theaterjammcr, Publicum, Verbot neuer Stücke, ge¬
gen den Neid der Dramatiker und gegen die Kritik nicht so übel neh¬
men, um so weniger, da die Polemik Meliere in den Mund gelegt
ist, dem sie gar wohl ansteht. In einem Journal ist Alles erlaubt;
die bitterste Polemik im Hauptaussatz wird ja durch die darauf fol-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0152" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/269569"/>
            <p xml:id="ID_449" prev="#ID_448"> aber könnte eine solche Pariser Privatmittheilung auch wohl gut auf<lb/>
einen Berliner Ursprung zurückgeführt werden. &#x2014; Von I&gt;r. Klein<lb/>
wird nächstens ein neues Trauerspiel &#x201E;Zenobia" zur Aufführung kom¬<lb/>
men; von einer Annahme des neusten Gutzkow'schen Werkes, dessen<lb/>
große Erfolge sehr für dasselbe sprechen, von einer Aufführung des<lb/>
&#x201E;Urbild des Tartüffe" ist bis jetzt noch keine Rede gewesen.</p><lb/>
            <note type="byline"> - /?-</note><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> IV.<lb/>
Das Urbild des Tartüffe, von Gutzkow.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_450"> Lustspiel &#x2014; Posse historische Anekdote &#x2014; historische Tableaur<lb/>
&#x2014; Satyre &#x2014; man nenne das Stück wie man will, man sei ver¬<lb/>
drießlich, daß man es nicht in die vorgeschriebenen uraltbestimmtcn<lb/>
Fächer rangiren kann; man sage, das Stück fange erst im dritten<lb/>
Akte an und ende in dem vierten, kurz man sage, was man will, der<lb/>
Pedant ärgere sich wie Msr. Ehapelle der Akademiker; es wird doch<lb/>
jeder zugestehen müssen: Ich habe mich bei diesem Urbild des Tartüffe<lb/>
köstlich unterhalten; es ist ein sehr glücklicher Wurf; jeder dieser zu¬<lb/>
sammenhangslosen Akte ist an sich ein kleines allerliebstes Lustspiel-<lb/>
chen und in jeder dieser Scenen kommt doch ein Wort, ein Ge¬<lb/>
danke vor, der wie eine Lanze in die Rippen unserer Zeit fahrt.--<lb/>
Das Ganze ist ein geistreiches Feuerwerk. &#x2014; Unaufhörlich, bald hier,<lb/>
bald dort, springen und platzen die Raketen; die eine zündet, die an¬<lb/>
dere leuchtet, die dritte brennt sich tief ein, die vierte entwickelt sich<lb/>
zum höhnischen Gesichte eines Satyrs.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_451" next="#ID_452"> Es ist viel Verbissenheit in dem Stücke. &#x2014; Gutzkow hat nie<lb/>
aufgehört, Journalist zu sein; jetzt, da er kein Journal mehr schreibt,<lb/>
ruft er von der Bühne dem Volke seinen Ingrimm zu, kritisirt, po-<lb/>
lemisirt er, ist er witzig und geistreich auf den Brettern. &#x2014; Jede<lb/>
Person dieses Stückes kommt Einem wie irgend ein Bestandtheil eines<lb/>
Journales vor; Molare: leitender, aufrichtiger Artikel &#x2014;Lamoignon:<lb/>
satyrischer Aufsatz &#x2014; Minister, Leibarzt, Akademiker: Polemik gegen<lb/>
verschiedene Stände &#x2014; Louis 2liV und Armand: moderne No¬<lb/>
velle &#x2014; Mathieu: humoristischer Artikel &#x2014; Madelain«: liebliche und<lb/>
pikante Notiz ze. Das Ganze ist ein Journal für Politik, Litera¬<lb/>
tur, Theater und geselliges Leben, redigirt von Gutzkow, dessen Cha¬<lb/>
rakter das Journal trägt, dessen Sympathien und Antipathien es offen<lb/>
ausspricht. &#x2014; Darum darf man Gutzkow z. R. die Polemik im vier¬<lb/>
ten Akte gegen Theaterjammcr, Publicum, Verbot neuer Stücke, ge¬<lb/>
gen den Neid der Dramatiker und gegen die Kritik nicht so übel neh¬<lb/>
men, um so weniger, da die Polemik Meliere in den Mund gelegt<lb/>
ist, dem sie gar wohl ansteht. In einem Journal ist Alles erlaubt;<lb/>
die bitterste Polemik im Hauptaussatz wird ja durch die darauf fol-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0152] aber könnte eine solche Pariser Privatmittheilung auch wohl gut auf einen Berliner Ursprung zurückgeführt werden. — Von I>r. Klein wird nächstens ein neues Trauerspiel „Zenobia" zur Aufführung kom¬ men; von einer Annahme des neusten Gutzkow'schen Werkes, dessen große Erfolge sehr für dasselbe sprechen, von einer Aufführung des „Urbild des Tartüffe" ist bis jetzt noch keine Rede gewesen. - /?- IV. Das Urbild des Tartüffe, von Gutzkow. Lustspiel — Posse historische Anekdote — historische Tableaur — Satyre — man nenne das Stück wie man will, man sei ver¬ drießlich, daß man es nicht in die vorgeschriebenen uraltbestimmtcn Fächer rangiren kann; man sage, das Stück fange erst im dritten Akte an und ende in dem vierten, kurz man sage, was man will, der Pedant ärgere sich wie Msr. Ehapelle der Akademiker; es wird doch jeder zugestehen müssen: Ich habe mich bei diesem Urbild des Tartüffe köstlich unterhalten; es ist ein sehr glücklicher Wurf; jeder dieser zu¬ sammenhangslosen Akte ist an sich ein kleines allerliebstes Lustspiel- chen und in jeder dieser Scenen kommt doch ein Wort, ein Ge¬ danke vor, der wie eine Lanze in die Rippen unserer Zeit fahrt.-- Das Ganze ist ein geistreiches Feuerwerk. — Unaufhörlich, bald hier, bald dort, springen und platzen die Raketen; die eine zündet, die an¬ dere leuchtet, die dritte brennt sich tief ein, die vierte entwickelt sich zum höhnischen Gesichte eines Satyrs. Es ist viel Verbissenheit in dem Stücke. — Gutzkow hat nie aufgehört, Journalist zu sein; jetzt, da er kein Journal mehr schreibt, ruft er von der Bühne dem Volke seinen Ingrimm zu, kritisirt, po- lemisirt er, ist er witzig und geistreich auf den Brettern. — Jede Person dieses Stückes kommt Einem wie irgend ein Bestandtheil eines Journales vor; Molare: leitender, aufrichtiger Artikel —Lamoignon: satyrischer Aufsatz — Minister, Leibarzt, Akademiker: Polemik gegen verschiedene Stände — Louis 2liV und Armand: moderne No¬ velle — Mathieu: humoristischer Artikel — Madelain«: liebliche und pikante Notiz ze. Das Ganze ist ein Journal für Politik, Litera¬ tur, Theater und geselliges Leben, redigirt von Gutzkow, dessen Cha¬ rakter das Journal trägt, dessen Sympathien und Antipathien es offen ausspricht. — Darum darf man Gutzkow z. R. die Polemik im vier¬ ten Akte gegen Theaterjammcr, Publicum, Verbot neuer Stücke, ge¬ gen den Neid der Dramatiker und gegen die Kritik nicht so übel neh¬ men, um so weniger, da die Polemik Meliere in den Mund gelegt ist, dem sie gar wohl ansteht. In einem Journal ist Alles erlaubt; die bitterste Polemik im Hauptaussatz wird ja durch die darauf fol-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/152
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/152>, abgerufen am 22.07.2024.