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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Nach hundert Jahren!



Wenn wir bei jeder zweideutigen Handlung, die wir zu begehen
im Begriff stehen, bedächten, welcher Schatten dadurch auf das Bild
der Erinnerung geworfen würde, das wir unseren Nachkommen zu
überliefern gedenken, so könnte aus solchem Bedenken manches Hemm-
niß unserer Thorheit hervorgehen. Besonders möchte unseren fungi-
renden Staatsmännern zu rathen sein, sich zuweilen in müßigen
Stunden die Frage vorzulegen, was einst die Geschichte zu ihrem
jetzigen Treiben sagen werde: denn ich bin überzeugt, wir würden
uns dann über manche zeitwidrige Maßregel weniger zu beklagen
haben.

Aus jeden Fall ist es ein unschuldiges Spiel der Phantasie, sich
auf diese Art mit der Zukunft zu beschäftigen, und ich nehme mir die
Erlaubniß, dieses Spiel, in Ermangelung eines besseren, ein wenig
zu treiben, indem ich die hoffentlich nicht ganz unnütze Frage zu be¬
antworten suche, wie sich wohl die Gestalten und Angele¬
genheiten der Gegenwart im Spiegel der Zukunft aus¬
nehmen und was unsere Enkel und Urenkel dazu sagen
werden.

Versetzen wir uns demgemäß um einen Zeitraum von hundert
Jahren vorwärts in die Zukunft. -- Also nach einem Jahrhundert,
wenn, wie zu hoffen uns freisteht, in Deutschland die Stützen ge¬
brochen sein werden, welche man jetzt so sorgfältig dem morschen
Gebäude des politischen und kirchlichen Absolutismus unterschiebt,
wenn keine Kerker für die verhaßte Freisinnigkeit, keine Stifte, Klö¬
ster und Klosterschulen zur Pflege der Dummheit, am wenigsten aber
zudringliche jesuitische Spitzköpfe mehr sein werden, wenn der
Papst mit seiner dreifachen Krone und die daran eknüpfte geistliche


Grenzboten I8ii.
Nach hundert Jahren!



Wenn wir bei jeder zweideutigen Handlung, die wir zu begehen
im Begriff stehen, bedächten, welcher Schatten dadurch auf das Bild
der Erinnerung geworfen würde, das wir unseren Nachkommen zu
überliefern gedenken, so könnte aus solchem Bedenken manches Hemm-
niß unserer Thorheit hervorgehen. Besonders möchte unseren fungi-
renden Staatsmännern zu rathen sein, sich zuweilen in müßigen
Stunden die Frage vorzulegen, was einst die Geschichte zu ihrem
jetzigen Treiben sagen werde: denn ich bin überzeugt, wir würden
uns dann über manche zeitwidrige Maßregel weniger zu beklagen
haben.

Aus jeden Fall ist es ein unschuldiges Spiel der Phantasie, sich
auf diese Art mit der Zukunft zu beschäftigen, und ich nehme mir die
Erlaubniß, dieses Spiel, in Ermangelung eines besseren, ein wenig
zu treiben, indem ich die hoffentlich nicht ganz unnütze Frage zu be¬
antworten suche, wie sich wohl die Gestalten und Angele¬
genheiten der Gegenwart im Spiegel der Zukunft aus¬
nehmen und was unsere Enkel und Urenkel dazu sagen
werden.

Versetzen wir uns demgemäß um einen Zeitraum von hundert
Jahren vorwärts in die Zukunft. — Also nach einem Jahrhundert,
wenn, wie zu hoffen uns freisteht, in Deutschland die Stützen ge¬
brochen sein werden, welche man jetzt so sorgfältig dem morschen
Gebäude des politischen und kirchlichen Absolutismus unterschiebt,
wenn keine Kerker für die verhaßte Freisinnigkeit, keine Stifte, Klö¬
ster und Klosterschulen zur Pflege der Dummheit, am wenigsten aber
zudringliche jesuitische Spitzköpfe mehr sein werden, wenn der
Papst mit seiner dreifachen Krone und die daran eknüpfte geistliche


Grenzboten I8ii.
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[0525] Nach hundert Jahren! Wenn wir bei jeder zweideutigen Handlung, die wir zu begehen im Begriff stehen, bedächten, welcher Schatten dadurch auf das Bild der Erinnerung geworfen würde, das wir unseren Nachkommen zu überliefern gedenken, so könnte aus solchem Bedenken manches Hemm- niß unserer Thorheit hervorgehen. Besonders möchte unseren fungi- renden Staatsmännern zu rathen sein, sich zuweilen in müßigen Stunden die Frage vorzulegen, was einst die Geschichte zu ihrem jetzigen Treiben sagen werde: denn ich bin überzeugt, wir würden uns dann über manche zeitwidrige Maßregel weniger zu beklagen haben. Aus jeden Fall ist es ein unschuldiges Spiel der Phantasie, sich auf diese Art mit der Zukunft zu beschäftigen, und ich nehme mir die Erlaubniß, dieses Spiel, in Ermangelung eines besseren, ein wenig zu treiben, indem ich die hoffentlich nicht ganz unnütze Frage zu be¬ antworten suche, wie sich wohl die Gestalten und Angele¬ genheiten der Gegenwart im Spiegel der Zukunft aus¬ nehmen und was unsere Enkel und Urenkel dazu sagen werden. Versetzen wir uns demgemäß um einen Zeitraum von hundert Jahren vorwärts in die Zukunft. — Also nach einem Jahrhundert, wenn, wie zu hoffen uns freisteht, in Deutschland die Stützen ge¬ brochen sein werden, welche man jetzt so sorgfältig dem morschen Gebäude des politischen und kirchlichen Absolutismus unterschiebt, wenn keine Kerker für die verhaßte Freisinnigkeit, keine Stifte, Klö¬ ster und Klosterschulen zur Pflege der Dummheit, am wenigsten aber zudringliche jesuitische Spitzköpfe mehr sein werden, wenn der Papst mit seiner dreifachen Krone und die daran eknüpfte geistliche Grenzboten I8ii.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/525>, abgerufen am 27.07.2024.