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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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geschicklichkeit des Nachrichters zu zürnen, der das schöne Haupt nach
so viel Hieben nicht vom Rumpf zu trennen weiß. Diese Politik
würde den spöttischen Dank des einen und den Fluch des andern
Theiles ernten; sie würde das Schauspiel eines Volks von Heimath¬
losen verewigen helfen, eines Volkes, das, ohne einen sogenannten
Gottesmord begangen zu haben, wie die Juden in alle vier Winde
zersprengt würde von seinen christlichen Brüdern, um ein ewiger le¬
bendiger Vorwurf durch Europa zu irren und mit gerechtem Hohn
jedes Herz aufzuschrecken, das seiner Heimath und seines Vaterlandes
froh werden will.

-- Eugen Sue's ewiger Jude hat seine Wanderung noch lange
nicht beendet und d^r Versasser kündigt schon wieder einen kolossalen,
seinem Titel nach eben so düsterfarbigen Roman an, der mit dem
Neujahr 1846 begonnen werden soll. Das Buch wird heißen: Die
sieben Todsünden. Es ist nur gut, daß man schon jetzt weiß, was
man zu thun hat. Man hat ein Jahr Zeit, sich zum Uebersetzen vor¬
zubereiten; wer noch nicht fest im Französischen ist, kann's lernen;
Herr Kollmann kann ein Jahr lang über die Abfassung des neuen
Contractcs mit Sue und Wefchv nachdenken, er kann sich mit den
Nechtsgelehrcen besprechen, auf welche Weise er sich gegen seine künf¬
tigen Concurrenten sicher stellen soll. Aber mancher deutsche Roman¬
autor ist bei der Nachricht von den sieben Todsünden vor Schrecken
gelähmt worden und die Feder, die er in der Hoffnung auf den
endlichen Tod des ewigen Juden ergrissen, entsinkt seiner Hand,
wie das Schwert voreinst manchem kleinen Fürsten, wenn er von
einem neuen Kriegszuge Napoleons hörte. Denn das ist nicht
zu läugnen, Sue nimmt wie ein unersättlicher Eroberer alle
unsere Publikümer ein, er erstürmt unsere Leihbibliotheken, er
gewinnt vor Allem Stubenmädchen und Nahtcrinnen. Und dennoch
hat selbst das Geschrei über seine französifchenCharlatanerien verstum¬
men müssen, als er, zum eigentlichen Kern der Erfindung vordrin¬
gend, die Jesuiten mit Macht und Geschick zu bekämpfen anfing.
Um ein französisches Talent von Sue's Virtuosität im äußern Erfolge
auszustechen, gehört ein deutsches Genie. Unsere Talente sind grade
innerlich und idealistisch genug, um nicht zu wirken,, wahrend
der äußerliche, praktische Franzose gerade Poesie genug im Leibe hat,
um zu packen. Ein deutsches Genie hat aber auch unvergänglichere
Lorbeeren, wenn es einmal todt ist.




Verlag von Fr. Ludw. Herbig. -- Redacteur I. Kuranda
Druck von Friedrich Andrä.

geschicklichkeit des Nachrichters zu zürnen, der das schöne Haupt nach
so viel Hieben nicht vom Rumpf zu trennen weiß. Diese Politik
würde den spöttischen Dank des einen und den Fluch des andern
Theiles ernten; sie würde das Schauspiel eines Volks von Heimath¬
losen verewigen helfen, eines Volkes, das, ohne einen sogenannten
Gottesmord begangen zu haben, wie die Juden in alle vier Winde
zersprengt würde von seinen christlichen Brüdern, um ein ewiger le¬
bendiger Vorwurf durch Europa zu irren und mit gerechtem Hohn
jedes Herz aufzuschrecken, das seiner Heimath und seines Vaterlandes
froh werden will.

— Eugen Sue's ewiger Jude hat seine Wanderung noch lange
nicht beendet und d^r Versasser kündigt schon wieder einen kolossalen,
seinem Titel nach eben so düsterfarbigen Roman an, der mit dem
Neujahr 1846 begonnen werden soll. Das Buch wird heißen: Die
sieben Todsünden. Es ist nur gut, daß man schon jetzt weiß, was
man zu thun hat. Man hat ein Jahr Zeit, sich zum Uebersetzen vor¬
zubereiten; wer noch nicht fest im Französischen ist, kann's lernen;
Herr Kollmann kann ein Jahr lang über die Abfassung des neuen
Contractcs mit Sue und Wefchv nachdenken, er kann sich mit den
Nechtsgelehrcen besprechen, auf welche Weise er sich gegen seine künf¬
tigen Concurrenten sicher stellen soll. Aber mancher deutsche Roman¬
autor ist bei der Nachricht von den sieben Todsünden vor Schrecken
gelähmt worden und die Feder, die er in der Hoffnung auf den
endlichen Tod des ewigen Juden ergrissen, entsinkt seiner Hand,
wie das Schwert voreinst manchem kleinen Fürsten, wenn er von
einem neuen Kriegszuge Napoleons hörte. Denn das ist nicht
zu läugnen, Sue nimmt wie ein unersättlicher Eroberer alle
unsere Publikümer ein, er erstürmt unsere Leihbibliotheken, er
gewinnt vor Allem Stubenmädchen und Nahtcrinnen. Und dennoch
hat selbst das Geschrei über seine französifchenCharlatanerien verstum¬
men müssen, als er, zum eigentlichen Kern der Erfindung vordrin¬
gend, die Jesuiten mit Macht und Geschick zu bekämpfen anfing.
Um ein französisches Talent von Sue's Virtuosität im äußern Erfolge
auszustechen, gehört ein deutsches Genie. Unsere Talente sind grade
innerlich und idealistisch genug, um nicht zu wirken,, wahrend
der äußerliche, praktische Franzose gerade Poesie genug im Leibe hat,
um zu packen. Ein deutsches Genie hat aber auch unvergänglichere
Lorbeeren, wenn es einmal todt ist.




Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda
Druck von Friedrich Andrä.
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[0524] geschicklichkeit des Nachrichters zu zürnen, der das schöne Haupt nach so viel Hieben nicht vom Rumpf zu trennen weiß. Diese Politik würde den spöttischen Dank des einen und den Fluch des andern Theiles ernten; sie würde das Schauspiel eines Volks von Heimath¬ losen verewigen helfen, eines Volkes, das, ohne einen sogenannten Gottesmord begangen zu haben, wie die Juden in alle vier Winde zersprengt würde von seinen christlichen Brüdern, um ein ewiger le¬ bendiger Vorwurf durch Europa zu irren und mit gerechtem Hohn jedes Herz aufzuschrecken, das seiner Heimath und seines Vaterlandes froh werden will. — Eugen Sue's ewiger Jude hat seine Wanderung noch lange nicht beendet und d^r Versasser kündigt schon wieder einen kolossalen, seinem Titel nach eben so düsterfarbigen Roman an, der mit dem Neujahr 1846 begonnen werden soll. Das Buch wird heißen: Die sieben Todsünden. Es ist nur gut, daß man schon jetzt weiß, was man zu thun hat. Man hat ein Jahr Zeit, sich zum Uebersetzen vor¬ zubereiten; wer noch nicht fest im Französischen ist, kann's lernen; Herr Kollmann kann ein Jahr lang über die Abfassung des neuen Contractcs mit Sue und Wefchv nachdenken, er kann sich mit den Nechtsgelehrcen besprechen, auf welche Weise er sich gegen seine künf¬ tigen Concurrenten sicher stellen soll. Aber mancher deutsche Roman¬ autor ist bei der Nachricht von den sieben Todsünden vor Schrecken gelähmt worden und die Feder, die er in der Hoffnung auf den endlichen Tod des ewigen Juden ergrissen, entsinkt seiner Hand, wie das Schwert voreinst manchem kleinen Fürsten, wenn er von einem neuen Kriegszuge Napoleons hörte. Denn das ist nicht zu läugnen, Sue nimmt wie ein unersättlicher Eroberer alle unsere Publikümer ein, er erstürmt unsere Leihbibliotheken, er gewinnt vor Allem Stubenmädchen und Nahtcrinnen. Und dennoch hat selbst das Geschrei über seine französifchenCharlatanerien verstum¬ men müssen, als er, zum eigentlichen Kern der Erfindung vordrin¬ gend, die Jesuiten mit Macht und Geschick zu bekämpfen anfing. Um ein französisches Talent von Sue's Virtuosität im äußern Erfolge auszustechen, gehört ein deutsches Genie. Unsere Talente sind grade innerlich und idealistisch genug, um nicht zu wirken,, wahrend der äußerliche, praktische Franzose gerade Poesie genug im Leibe hat, um zu packen. Ein deutsches Genie hat aber auch unvergänglichere Lorbeeren, wenn es einmal todt ist. Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda Druck von Friedrich Andrä.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/524>, abgerufen am 27.07.2024.