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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Literarische Blätter aus Oesterreich.
Von
Hieronymus L o r in.



,^ I. , ^ ^
Adall'art Stifters.

Ein Zufall hat Dich gezwungen, den mit Goldstaub überstreuten
Moder einer großen Stadt zu verlassen, und Du dünkst Dir fast kein
Mensch mehr, weil Du den gewohnten Veitstanz der Zeitbewegungen,
der sich in den Convulsionen deS Hungers, wie in den Verzweif-
lungSgebcrden der Uebersättigung äußert, nicht mehr vor Augen ha¬
ben kannst. In einem Dorf übernachtest Du und sehnst Dich weg
mit dem ersten Morgenstrahl, Dein Weg führt in die Berge, bald
hast Du den rechten Pfad verloren, aber Du denkst nicht daran,
ihn wieder zu gewinnen. Ein Segen überströmt Dich, wie einen
plötzlich Sehendgewordenen. Du setzest Dich auf ein Felsstück und
es wird Dir zu Muthe, als wärest Du in diesem Augenblicke erst,
aber schon mit wachem Bewußtsein und Hellem Verstände, auf die
Welt gekommen. Die Sonne scheint Dir bis in's Herz und auf
das Rauschen der Bäume antwortet, unabhängig von Dir, Deine
Seele mit einer Stimme, die Du bisher nicht in ihr vermuthet
hättest. Du erschrickst vor Dir selbst, der mit der Natur innig ver-
schwisterte Gott in Dir erwacht, wird unruhig und schlägt die Augen
auf, Dein gewohntes Selbst aber fühlt sich hier als ein anders
redender Fremdling; an Deinem Haupte, das weltumwälzende Ge¬
danken brütet, fliegt der nestbauende Vogel vorüber, er vollbringt
sein Tagewerk ohne Deinen weisen Rath; unbekümmert um den Phi-



') Studien von Adalbert Stifter. Pesth 1844. 2 Bde.
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Literarische Blätter aus Oesterreich.
Von
Hieronymus L o r in.



,^ I. , ^ ^
Adall'art Stifters.

Ein Zufall hat Dich gezwungen, den mit Goldstaub überstreuten
Moder einer großen Stadt zu verlassen, und Du dünkst Dir fast kein
Mensch mehr, weil Du den gewohnten Veitstanz der Zeitbewegungen,
der sich in den Convulsionen deS Hungers, wie in den Verzweif-
lungSgebcrden der Uebersättigung äußert, nicht mehr vor Augen ha¬
ben kannst. In einem Dorf übernachtest Du und sehnst Dich weg
mit dem ersten Morgenstrahl, Dein Weg führt in die Berge, bald
hast Du den rechten Pfad verloren, aber Du denkst nicht daran,
ihn wieder zu gewinnen. Ein Segen überströmt Dich, wie einen
plötzlich Sehendgewordenen. Du setzest Dich auf ein Felsstück und
es wird Dir zu Muthe, als wärest Du in diesem Augenblicke erst,
aber schon mit wachem Bewußtsein und Hellem Verstände, auf die
Welt gekommen. Die Sonne scheint Dir bis in's Herz und auf
das Rauschen der Bäume antwortet, unabhängig von Dir, Deine
Seele mit einer Stimme, die Du bisher nicht in ihr vermuthet
hättest. Du erschrickst vor Dir selbst, der mit der Natur innig ver-
schwisterte Gott in Dir erwacht, wird unruhig und schlägt die Augen
auf, Dein gewohntes Selbst aber fühlt sich hier als ein anders
redender Fremdling; an Deinem Haupte, das weltumwälzende Ge¬
danken brütet, fliegt der nestbauende Vogel vorüber, er vollbringt
sein Tagewerk ohne Deinen weisen Rath; unbekümmert um den Phi-



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[0503] Literarische Blätter aus Oesterreich. Von Hieronymus L o r in. ,^ I. , ^ ^ Adall'art Stifters. Ein Zufall hat Dich gezwungen, den mit Goldstaub überstreuten Moder einer großen Stadt zu verlassen, und Du dünkst Dir fast kein Mensch mehr, weil Du den gewohnten Veitstanz der Zeitbewegungen, der sich in den Convulsionen deS Hungers, wie in den Verzweif- lungSgebcrden der Uebersättigung äußert, nicht mehr vor Augen ha¬ ben kannst. In einem Dorf übernachtest Du und sehnst Dich weg mit dem ersten Morgenstrahl, Dein Weg führt in die Berge, bald hast Du den rechten Pfad verloren, aber Du denkst nicht daran, ihn wieder zu gewinnen. Ein Segen überströmt Dich, wie einen plötzlich Sehendgewordenen. Du setzest Dich auf ein Felsstück und es wird Dir zu Muthe, als wärest Du in diesem Augenblicke erst, aber schon mit wachem Bewußtsein und Hellem Verstände, auf die Welt gekommen. Die Sonne scheint Dir bis in's Herz und auf das Rauschen der Bäume antwortet, unabhängig von Dir, Deine Seele mit einer Stimme, die Du bisher nicht in ihr vermuthet hättest. Du erschrickst vor Dir selbst, der mit der Natur innig ver- schwisterte Gott in Dir erwacht, wird unruhig und schlägt die Augen auf, Dein gewohntes Selbst aber fühlt sich hier als ein anders redender Fremdling; an Deinem Haupte, das weltumwälzende Ge¬ danken brütet, fliegt der nestbauende Vogel vorüber, er vollbringt sein Tagewerk ohne Deinen weisen Rath; unbekümmert um den Phi- ') Studien von Adalbert Stifter. Pesth 1844. 2 Bde. 63 »

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/503>, abgerufen am 04.12.2024.