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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Gin Blick auf die Berliner Kunstausstellung.

(Von einem Reisenden.)


Sollen die Journale der wahrhafte Ausdruck der Zeit sein, so
muß ich Ihnen wirklich das traurige Compliment machen, daß Ihre
Zeitschrift dieser Anforderung ganz und gar entspricht. Sie bringen
einen langen philosophirenden Artikel über die Gewcrbeausstellung und
kümmern sich den Teufel um unsere Kunst. Parbleu! Sind Sie
wirklich so ganz und gar zeitgemäß? Ich will diese Blanc von Ih¬
nen nehmen, indem ich Sie wenigstens auf die Glanzpunkte der dies¬
jährigen, an Rahmen so reichen und an Kunst so armen Kunstaus¬
stellung aufmerksam mache.

Gleich im ersten Saale ein großes herrliches Bild: Maria
Stuart nimmt Abschied von ihren Lieben. Welche herrliche
Gruppirung! Anna Kennedy, die treue Amme allein, wagt es, die
halb verklärte Maria zu umfassen mit dem schmerzlichsten Ausdrucke
einer Mutterseele, als könnte sie sie von dem fürchterlichen Gange
zurückhalten. Ein Hoffräulein blickt zurück und erstarrt wie Niobe.
"Der Henker steht vor der Thüre." Welche Kraft und welch männ¬
licher Schmerz liegt in der Stellung des jungen Schotten rechts!
Er ist so schön, wie ein Scott'scher Held aus den Hochlanden. Was
aber eine verklärende Milde über das ganze Bild ausgießt, ist der
kleine blonde Knabe, der rechts von Maria kniet und, wie zu einer
Heiligen, zu ihr aufblickt. Man steht es ihm an, er gehört zu einer
alten katholischen Familie Schottlands und ist gewöhnt, vor Madon¬
nen zu knieen. Oder soll in ihm die Nachwelt verherrlicht sein, die
Maria Stuart immer nur im Kerker und auf dem Schmerzenswege
steht und gerne ihre Sünden vergißt? Ich kenne Volksart nicht,
aber nach diesem ersten Bilde stelle ich ihn dein großen Vcnetraner


Gin Blick auf die Berliner Kunstausstellung.

(Von einem Reisenden.)


Sollen die Journale der wahrhafte Ausdruck der Zeit sein, so
muß ich Ihnen wirklich das traurige Compliment machen, daß Ihre
Zeitschrift dieser Anforderung ganz und gar entspricht. Sie bringen
einen langen philosophirenden Artikel über die Gewcrbeausstellung und
kümmern sich den Teufel um unsere Kunst. Parbleu! Sind Sie
wirklich so ganz und gar zeitgemäß? Ich will diese Blanc von Ih¬
nen nehmen, indem ich Sie wenigstens auf die Glanzpunkte der dies¬
jährigen, an Rahmen so reichen und an Kunst so armen Kunstaus¬
stellung aufmerksam mache.

Gleich im ersten Saale ein großes herrliches Bild: Maria
Stuart nimmt Abschied von ihren Lieben. Welche herrliche
Gruppirung! Anna Kennedy, die treue Amme allein, wagt es, die
halb verklärte Maria zu umfassen mit dem schmerzlichsten Ausdrucke
einer Mutterseele, als könnte sie sie von dem fürchterlichen Gange
zurückhalten. Ein Hoffräulein blickt zurück und erstarrt wie Niobe.
„Der Henker steht vor der Thüre." Welche Kraft und welch männ¬
licher Schmerz liegt in der Stellung des jungen Schotten rechts!
Er ist so schön, wie ein Scott'scher Held aus den Hochlanden. Was
aber eine verklärende Milde über das ganze Bild ausgießt, ist der
kleine blonde Knabe, der rechts von Maria kniet und, wie zu einer
Heiligen, zu ihr aufblickt. Man steht es ihm an, er gehört zu einer
alten katholischen Familie Schottlands und ist gewöhnt, vor Madon¬
nen zu knieen. Oder soll in ihm die Nachwelt verherrlicht sein, die
Maria Stuart immer nur im Kerker und auf dem Schmerzenswege
steht und gerne ihre Sünden vergißt? Ich kenne Volksart nicht,
aber nach diesem ersten Bilde stelle ich ihn dein großen Vcnetraner


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[0230] Gin Blick auf die Berliner Kunstausstellung. (Von einem Reisenden.) Sollen die Journale der wahrhafte Ausdruck der Zeit sein, so muß ich Ihnen wirklich das traurige Compliment machen, daß Ihre Zeitschrift dieser Anforderung ganz und gar entspricht. Sie bringen einen langen philosophirenden Artikel über die Gewcrbeausstellung und kümmern sich den Teufel um unsere Kunst. Parbleu! Sind Sie wirklich so ganz und gar zeitgemäß? Ich will diese Blanc von Ih¬ nen nehmen, indem ich Sie wenigstens auf die Glanzpunkte der dies¬ jährigen, an Rahmen so reichen und an Kunst so armen Kunstaus¬ stellung aufmerksam mache. Gleich im ersten Saale ein großes herrliches Bild: Maria Stuart nimmt Abschied von ihren Lieben. Welche herrliche Gruppirung! Anna Kennedy, die treue Amme allein, wagt es, die halb verklärte Maria zu umfassen mit dem schmerzlichsten Ausdrucke einer Mutterseele, als könnte sie sie von dem fürchterlichen Gange zurückhalten. Ein Hoffräulein blickt zurück und erstarrt wie Niobe. „Der Henker steht vor der Thüre." Welche Kraft und welch männ¬ licher Schmerz liegt in der Stellung des jungen Schotten rechts! Er ist so schön, wie ein Scott'scher Held aus den Hochlanden. Was aber eine verklärende Milde über das ganze Bild ausgießt, ist der kleine blonde Knabe, der rechts von Maria kniet und, wie zu einer Heiligen, zu ihr aufblickt. Man steht es ihm an, er gehört zu einer alten katholischen Familie Schottlands und ist gewöhnt, vor Madon¬ nen zu knieen. Oder soll in ihm die Nachwelt verherrlicht sein, die Maria Stuart immer nur im Kerker und auf dem Schmerzenswege steht und gerne ihre Sünden vergißt? Ich kenne Volksart nicht, aber nach diesem ersten Bilde stelle ich ihn dein großen Vcnetraner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/230>, abgerufen am 04.12.2024.