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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Heyez an die Seite. Des Letzten "beide FoScari" und Maria
Stuart von Volksart sind die letzten Scenen großartiger Trauer¬
spiele. Wer wird da noch nach Technik fragen und nach anderwei¬
tigen Zuthaten?'

Ary Scheffers, des Franzosen, "Laßt die Kleinen zu mir
kommen," ist das deutscheste Bild in dieser Ausstellung. Diese Ro¬
mantik, diese tiefe Mystik ist keinem Franzosen eigen. Das ist ja
wie eine Phantasie Leopold Schefer'S, oder wie ein Lichtbild aus den
Träumen von Novalis! Diese Luft weht eben so wenig in deutschen
Wäldern, als auf den Fluren von Damaskus. Das ist Luft des
Himmels. Werden deutsche Journalisten nach diesem Bilde noch
lange herumstreiten, ob Ary Scheffer Franzose ist oder Deutscher?
Wie lange sah ich Bettina vor diesem Bilde stehen! Wie der Hei¬
land da liegt im Palmenschatten, die Kindlein alle herangelaufen
kommen, auf ihm herumklettern und mit dem Gottmenschen so ver¬
traulich spielen; wie die Mütter, an die Bäume gelehnt, liebend auf
ihn hinüberblicken, da begreift man auch, wie die Kinder der alten
Welt in seine Arme liefert und gläubig den balsamischen Worten
horchten. -- Gleich daneben hängt ein Horace Vernet. DaS
ist ein Franzose, wer wollt' es läugnen? Eine Scene aus dem
Giaour von Byron. Die wilde Muth, die Pracht, orientali¬
sches Feuer neben moslemitischem Sklavenphlcgma, sind vortrefflich
ausgedrückt; das ist noch der alte Horace Vernet mit allem
Bestechenden, mit allen theatralischen Effecten, den ich in dem
kleinen Bildchen: eine Schlittenfahrt, gar nicht wieder erkannte.
Das kennen ja auch unsere Düsseldorfer, und hat der Künstler
nichts Bedeutenderes von seiner russischen Reise mitgebracht, war er
unglücklicher, als sein Landsnicmn Custine, oder hat sich sein Pin¬
sel von der Petersburger Gastfreundschaft bestechen lassen und schweigt?
Da ist Elise Baumann viel aufrichtiger. Diese geniale Frau
malt das polnische Elend im Jahr 1831 so ergreifend, so erschüt¬
ternd, wie Mickiewicz in seinen herrlichsten Gedichten. Die beiden
"flüchtigen polnischen Familien" gehören zu dem Schönsten der Ber¬
liner Ausstellung; ja wir leben in der Zeit der weiblichen Genies,
das beweist Elise Baumann mit ihrer Kollegin, deren Namen ich
leider vergessen habe. Die "Iphigenia" und die "Esther" der letzte¬
ren tragen dazu bei, daß die Ausstellung nicht eine so ganz und gar


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Heyez an die Seite. Des Letzten „beide FoScari" und Maria
Stuart von Volksart sind die letzten Scenen großartiger Trauer¬
spiele. Wer wird da noch nach Technik fragen und nach anderwei¬
tigen Zuthaten?'

Ary Scheffers, des Franzosen, „Laßt die Kleinen zu mir
kommen," ist das deutscheste Bild in dieser Ausstellung. Diese Ro¬
mantik, diese tiefe Mystik ist keinem Franzosen eigen. Das ist ja
wie eine Phantasie Leopold Schefer'S, oder wie ein Lichtbild aus den
Träumen von Novalis! Diese Luft weht eben so wenig in deutschen
Wäldern, als auf den Fluren von Damaskus. Das ist Luft des
Himmels. Werden deutsche Journalisten nach diesem Bilde noch
lange herumstreiten, ob Ary Scheffer Franzose ist oder Deutscher?
Wie lange sah ich Bettina vor diesem Bilde stehen! Wie der Hei¬
land da liegt im Palmenschatten, die Kindlein alle herangelaufen
kommen, auf ihm herumklettern und mit dem Gottmenschen so ver¬
traulich spielen; wie die Mütter, an die Bäume gelehnt, liebend auf
ihn hinüberblicken, da begreift man auch, wie die Kinder der alten
Welt in seine Arme liefert und gläubig den balsamischen Worten
horchten. — Gleich daneben hängt ein Horace Vernet. DaS
ist ein Franzose, wer wollt' es läugnen? Eine Scene aus dem
Giaour von Byron. Die wilde Muth, die Pracht, orientali¬
sches Feuer neben moslemitischem Sklavenphlcgma, sind vortrefflich
ausgedrückt; das ist noch der alte Horace Vernet mit allem
Bestechenden, mit allen theatralischen Effecten, den ich in dem
kleinen Bildchen: eine Schlittenfahrt, gar nicht wieder erkannte.
Das kennen ja auch unsere Düsseldorfer, und hat der Künstler
nichts Bedeutenderes von seiner russischen Reise mitgebracht, war er
unglücklicher, als sein Landsnicmn Custine, oder hat sich sein Pin¬
sel von der Petersburger Gastfreundschaft bestechen lassen und schweigt?
Da ist Elise Baumann viel aufrichtiger. Diese geniale Frau
malt das polnische Elend im Jahr 1831 so ergreifend, so erschüt¬
ternd, wie Mickiewicz in seinen herrlichsten Gedichten. Die beiden
„flüchtigen polnischen Familien" gehören zu dem Schönsten der Ber¬
liner Ausstellung; ja wir leben in der Zeit der weiblichen Genies,
das beweist Elise Baumann mit ihrer Kollegin, deren Namen ich
leider vergessen habe. Die „Iphigenia" und die „Esther" der letzte¬
ren tragen dazu bei, daß die Ausstellung nicht eine so ganz und gar


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[0231] Heyez an die Seite. Des Letzten „beide FoScari" und Maria Stuart von Volksart sind die letzten Scenen großartiger Trauer¬ spiele. Wer wird da noch nach Technik fragen und nach anderwei¬ tigen Zuthaten?' Ary Scheffers, des Franzosen, „Laßt die Kleinen zu mir kommen," ist das deutscheste Bild in dieser Ausstellung. Diese Ro¬ mantik, diese tiefe Mystik ist keinem Franzosen eigen. Das ist ja wie eine Phantasie Leopold Schefer'S, oder wie ein Lichtbild aus den Träumen von Novalis! Diese Luft weht eben so wenig in deutschen Wäldern, als auf den Fluren von Damaskus. Das ist Luft des Himmels. Werden deutsche Journalisten nach diesem Bilde noch lange herumstreiten, ob Ary Scheffer Franzose ist oder Deutscher? Wie lange sah ich Bettina vor diesem Bilde stehen! Wie der Hei¬ land da liegt im Palmenschatten, die Kindlein alle herangelaufen kommen, auf ihm herumklettern und mit dem Gottmenschen so ver¬ traulich spielen; wie die Mütter, an die Bäume gelehnt, liebend auf ihn hinüberblicken, da begreift man auch, wie die Kinder der alten Welt in seine Arme liefert und gläubig den balsamischen Worten horchten. — Gleich daneben hängt ein Horace Vernet. DaS ist ein Franzose, wer wollt' es läugnen? Eine Scene aus dem Giaour von Byron. Die wilde Muth, die Pracht, orientali¬ sches Feuer neben moslemitischem Sklavenphlcgma, sind vortrefflich ausgedrückt; das ist noch der alte Horace Vernet mit allem Bestechenden, mit allen theatralischen Effecten, den ich in dem kleinen Bildchen: eine Schlittenfahrt, gar nicht wieder erkannte. Das kennen ja auch unsere Düsseldorfer, und hat der Künstler nichts Bedeutenderes von seiner russischen Reise mitgebracht, war er unglücklicher, als sein Landsnicmn Custine, oder hat sich sein Pin¬ sel von der Petersburger Gastfreundschaft bestechen lassen und schweigt? Da ist Elise Baumann viel aufrichtiger. Diese geniale Frau malt das polnische Elend im Jahr 1831 so ergreifend, so erschüt¬ ternd, wie Mickiewicz in seinen herrlichsten Gedichten. Die beiden „flüchtigen polnischen Familien" gehören zu dem Schönsten der Ber¬ liner Ausstellung; ja wir leben in der Zeit der weiblichen Genies, das beweist Elise Baumann mit ihrer Kollegin, deren Namen ich leider vergessen habe. Die „Iphigenia" und die „Esther" der letzte¬ ren tragen dazu bei, daß die Ausstellung nicht eine so ganz und gar 29 »

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/231>, abgerufen am 05.12.2024.