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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Liter arischeBlätter



Heine -- Fr eiligrath

Der gottlose Heine hat dem deutschen Publieum wieder eine
Liebeserklärung gemacht"), über welche die Tanten und Basen ein
großes Geschrei erheben werden. Doch ist der Verführer nicht so
gefährlich mehr, wie in früheren Jahren. Dieselben Tausende vou
Lesern, die über seine Witze den Lachkrampf bekommen, werden, so¬
bald sie sich ausgelacht, schon von selbst ein gestrenges Urtheil über
ihn fällen. Deutschland ist seit zehn Jahren ein anderes geworden,
nur Heine ist der Alte geblieben. Wie, hör' ich rufen, er glaubt nicht
einmal an unseren Fortschritt im Innern, "in der Tiefe des Gemüths",
er glaubt nicht einmal, daß wir je etwas ernstlich wollen konnten?
Nein, das ist zu arg. Und die mephitische Vision von unserer Zu¬
kunft, und endlich die bodenlose Verachtung, die in dem schlotternden
Negligve seiner Verse liegt! Würde er das als Franzose den Fran¬
zosen, als Brite den Briten zu bieten wagen?! -- So viel ist freilich ge¬
wiß, die politische Gegenwart Deutschlands kann einem so illusionslosen
klaren Geist, wie Heine bei aller zauberhaften Leichtigkeit der Phan¬
tasie ist, nicht recht imponiren. Intentionen, gute Vorsätze, große
Ueberzeugungen -- ohne Beweis von positiver Schöpfungskraft --
sind ihm eben Nichts. In Frankreich oder in England könnte er
mit seinen goldschimmernden Pfeilen der gefährlichste Feind einer
Partei sein: Deutschland gegenüber hat er den Vortheil deutscher
Universalität; er kann sich über die Schwächen aller Parteien, über
die Leichtgläubigkeit, die Frommheit, mit einem Wort über die Schle-
miehlsnatur der Nation lustig machen und seinem Spott eine höhere
Weihe geben, indem er mitten im unauslöschlichen Göttergelächter
den Humor über die Eitelkeit menschlicher Dinge durchschimmern
läßt. Das ist es, was ihn über den Chor der sogenannten potiti-



*) Neue Gedichte. Hamburg, Hoffmann und Campe. 1844.
Liter arischeBlätter



Heine — Fr eiligrath

Der gottlose Heine hat dem deutschen Publieum wieder eine
Liebeserklärung gemacht»), über welche die Tanten und Basen ein
großes Geschrei erheben werden. Doch ist der Verführer nicht so
gefährlich mehr, wie in früheren Jahren. Dieselben Tausende vou
Lesern, die über seine Witze den Lachkrampf bekommen, werden, so¬
bald sie sich ausgelacht, schon von selbst ein gestrenges Urtheil über
ihn fällen. Deutschland ist seit zehn Jahren ein anderes geworden,
nur Heine ist der Alte geblieben. Wie, hör' ich rufen, er glaubt nicht
einmal an unseren Fortschritt im Innern, „in der Tiefe des Gemüths",
er glaubt nicht einmal, daß wir je etwas ernstlich wollen konnten?
Nein, das ist zu arg. Und die mephitische Vision von unserer Zu¬
kunft, und endlich die bodenlose Verachtung, die in dem schlotternden
Negligve seiner Verse liegt! Würde er das als Franzose den Fran¬
zosen, als Brite den Briten zu bieten wagen?! — So viel ist freilich ge¬
wiß, die politische Gegenwart Deutschlands kann einem so illusionslosen
klaren Geist, wie Heine bei aller zauberhaften Leichtigkeit der Phan¬
tasie ist, nicht recht imponiren. Intentionen, gute Vorsätze, große
Ueberzeugungen — ohne Beweis von positiver Schöpfungskraft —
sind ihm eben Nichts. In Frankreich oder in England könnte er
mit seinen goldschimmernden Pfeilen der gefährlichste Feind einer
Partei sein: Deutschland gegenüber hat er den Vortheil deutscher
Universalität; er kann sich über die Schwächen aller Parteien, über
die Leichtgläubigkeit, die Frommheit, mit einem Wort über die Schle-
miehlsnatur der Nation lustig machen und seinem Spott eine höhere
Weihe geben, indem er mitten im unauslöschlichen Göttergelächter
den Humor über die Eitelkeit menschlicher Dinge durchschimmern
läßt. Das ist es, was ihn über den Chor der sogenannten potiti-



*) Neue Gedichte. Hamburg, Hoffmann und Campe. 1844.
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[0177] Liter arischeBlätter Heine — Fr eiligrath Der gottlose Heine hat dem deutschen Publieum wieder eine Liebeserklärung gemacht»), über welche die Tanten und Basen ein großes Geschrei erheben werden. Doch ist der Verführer nicht so gefährlich mehr, wie in früheren Jahren. Dieselben Tausende vou Lesern, die über seine Witze den Lachkrampf bekommen, werden, so¬ bald sie sich ausgelacht, schon von selbst ein gestrenges Urtheil über ihn fällen. Deutschland ist seit zehn Jahren ein anderes geworden, nur Heine ist der Alte geblieben. Wie, hör' ich rufen, er glaubt nicht einmal an unseren Fortschritt im Innern, „in der Tiefe des Gemüths", er glaubt nicht einmal, daß wir je etwas ernstlich wollen konnten? Nein, das ist zu arg. Und die mephitische Vision von unserer Zu¬ kunft, und endlich die bodenlose Verachtung, die in dem schlotternden Negligve seiner Verse liegt! Würde er das als Franzose den Fran¬ zosen, als Brite den Briten zu bieten wagen?! — So viel ist freilich ge¬ wiß, die politische Gegenwart Deutschlands kann einem so illusionslosen klaren Geist, wie Heine bei aller zauberhaften Leichtigkeit der Phan¬ tasie ist, nicht recht imponiren. Intentionen, gute Vorsätze, große Ueberzeugungen — ohne Beweis von positiver Schöpfungskraft — sind ihm eben Nichts. In Frankreich oder in England könnte er mit seinen goldschimmernden Pfeilen der gefährlichste Feind einer Partei sein: Deutschland gegenüber hat er den Vortheil deutscher Universalität; er kann sich über die Schwächen aller Parteien, über die Leichtgläubigkeit, die Frommheit, mit einem Wort über die Schle- miehlsnatur der Nation lustig machen und seinem Spott eine höhere Weihe geben, indem er mitten im unauslöschlichen Göttergelächter den Humor über die Eitelkeit menschlicher Dinge durchschimmern läßt. Das ist es, was ihn über den Chor der sogenannten potiti- *) Neue Gedichte. Hamburg, Hoffmann und Campe. 1844.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/177>, abgerufen am 04.12.2024.