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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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schen Dichter hoch hinaushebt. Sein Witz ist aber auch nur ver¬
nichtend, wo er gewissermaßen parodistisch auftritt; wo er die Helden
des Tages vom hohen Roß auf das Steckenpferd setzt und die be¬
deutungslose Gewöhnlichkeit hinter vielbesungenen, vielbeschrieenen
und bejammerten Zeitereignissen nachweist. Er ist z. B. unwiderstehlich,
wenn er Dingelstedt ("bei späterer Gelegenheit") zu verstehen gibt:
Was die Leute für einen Lärm machen über Deine "Verhofrätherei!
Als wär' es nicht Alles eins, ob Du den Brutus spielst oder den
Hofrath; oder wenn er, die Debatten über seine eigene politische
Gesinnung verhöhnend, den Wölfen versichert, er werde stets "lit
ihnen heulen. -- Nicht seine Mißhandlung hoher und niederer Per¬
sönlichkeiten ist das Verletzende an ihm, sondern, daß all die Hoff¬
nungslosigkeit, die er in deutschem Streben und Wollen sieht, ihm
selbst weder eine Flamme edlen Zornes entlocken, noch eine Thräne
wahrhafter Wehmuth mehr erpressen kann. Er geräth zwar noch
manchmal auf einen Augenblick in eine melancholisch-patriotische
Aufwallung; aber Niemand würde diese Klänge ungläubiger verhöh¬
nen, als Heine, könnte er sie für die einer andern Leier halten. Denn
seine bekannten Selbstpersifflagen kommen uns vor, wie wenn sich
ein erfahrener Mönch mit der Geißel lasten. Der thut sich nicht
weh dabei. - - So viel von den "Zeitgedichten." Die erotischen
Lieder bieten mehr wie eine welke Rose, aber auch einen vollen Kranz
reizender Herbstblumen, die den wahren Liebling der Grazien wieder
erkennen lassen und mit dem übermüthigen Spötter versöhnen.
-- Wir dachten, die Polizei werde diesmal den privilegirten Sün¬
der ignoriren, da man Heine schon so oft verboten und es niemals
was genützt hat. Wir hören aber, daß die "Neuen Gedichte" doch,
gleich nach ihrer Ankunft, mit einem Verbot für die ganze preußische
Monarchie salutirt worden sind. --

Ein Glück für Freiligrath, daß sein Glaubensbekenntnis!5) gleich¬
zeitig mit der Heine'schen Liebeserklärung und nicht einige Monate
früher erschienen ist; er würde sonst in den "Neuen Gedichten" be¬
reits sich und seine "schiefer Stellung Qual" mit dem artigsten Cha-
rivari begrüßt sehen. Es ist in der That Nichts komischer, als dies
prosaische Auseinandersetzen seiner Stellung, Entwicklung und Gesi"-



") Ein Glaubensbekenntniß. Aeitgedichtc von Ferdinand Freiligrath. Mainz^
Verlag von Victor von Zabern. 1844.

schen Dichter hoch hinaushebt. Sein Witz ist aber auch nur ver¬
nichtend, wo er gewissermaßen parodistisch auftritt; wo er die Helden
des Tages vom hohen Roß auf das Steckenpferd setzt und die be¬
deutungslose Gewöhnlichkeit hinter vielbesungenen, vielbeschrieenen
und bejammerten Zeitereignissen nachweist. Er ist z. B. unwiderstehlich,
wenn er Dingelstedt („bei späterer Gelegenheit") zu verstehen gibt:
Was die Leute für einen Lärm machen über Deine „Verhofrätherei!
Als wär' es nicht Alles eins, ob Du den Brutus spielst oder den
Hofrath; oder wenn er, die Debatten über seine eigene politische
Gesinnung verhöhnend, den Wölfen versichert, er werde stets »lit
ihnen heulen. — Nicht seine Mißhandlung hoher und niederer Per¬
sönlichkeiten ist das Verletzende an ihm, sondern, daß all die Hoff¬
nungslosigkeit, die er in deutschem Streben und Wollen sieht, ihm
selbst weder eine Flamme edlen Zornes entlocken, noch eine Thräne
wahrhafter Wehmuth mehr erpressen kann. Er geräth zwar noch
manchmal auf einen Augenblick in eine melancholisch-patriotische
Aufwallung; aber Niemand würde diese Klänge ungläubiger verhöh¬
nen, als Heine, könnte er sie für die einer andern Leier halten. Denn
seine bekannten Selbstpersifflagen kommen uns vor, wie wenn sich
ein erfahrener Mönch mit der Geißel lasten. Der thut sich nicht
weh dabei. - - So viel von den „Zeitgedichten." Die erotischen
Lieder bieten mehr wie eine welke Rose, aber auch einen vollen Kranz
reizender Herbstblumen, die den wahren Liebling der Grazien wieder
erkennen lassen und mit dem übermüthigen Spötter versöhnen.
— Wir dachten, die Polizei werde diesmal den privilegirten Sün¬
der ignoriren, da man Heine schon so oft verboten und es niemals
was genützt hat. Wir hören aber, daß die „Neuen Gedichte" doch,
gleich nach ihrer Ankunft, mit einem Verbot für die ganze preußische
Monarchie salutirt worden sind. —

Ein Glück für Freiligrath, daß sein Glaubensbekenntnis!5) gleich¬
zeitig mit der Heine'schen Liebeserklärung und nicht einige Monate
früher erschienen ist; er würde sonst in den „Neuen Gedichten" be¬
reits sich und seine „schiefer Stellung Qual" mit dem artigsten Cha-
rivari begrüßt sehen. Es ist in der That Nichts komischer, als dies
prosaische Auseinandersetzen seiner Stellung, Entwicklung und Gesi"-



") Ein Glaubensbekenntniß. Aeitgedichtc von Ferdinand Freiligrath. Mainz^
Verlag von Victor von Zabern. 1844.
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[0178] schen Dichter hoch hinaushebt. Sein Witz ist aber auch nur ver¬ nichtend, wo er gewissermaßen parodistisch auftritt; wo er die Helden des Tages vom hohen Roß auf das Steckenpferd setzt und die be¬ deutungslose Gewöhnlichkeit hinter vielbesungenen, vielbeschrieenen und bejammerten Zeitereignissen nachweist. Er ist z. B. unwiderstehlich, wenn er Dingelstedt („bei späterer Gelegenheit") zu verstehen gibt: Was die Leute für einen Lärm machen über Deine „Verhofrätherei! Als wär' es nicht Alles eins, ob Du den Brutus spielst oder den Hofrath; oder wenn er, die Debatten über seine eigene politische Gesinnung verhöhnend, den Wölfen versichert, er werde stets »lit ihnen heulen. — Nicht seine Mißhandlung hoher und niederer Per¬ sönlichkeiten ist das Verletzende an ihm, sondern, daß all die Hoff¬ nungslosigkeit, die er in deutschem Streben und Wollen sieht, ihm selbst weder eine Flamme edlen Zornes entlocken, noch eine Thräne wahrhafter Wehmuth mehr erpressen kann. Er geräth zwar noch manchmal auf einen Augenblick in eine melancholisch-patriotische Aufwallung; aber Niemand würde diese Klänge ungläubiger verhöh¬ nen, als Heine, könnte er sie für die einer andern Leier halten. Denn seine bekannten Selbstpersifflagen kommen uns vor, wie wenn sich ein erfahrener Mönch mit der Geißel lasten. Der thut sich nicht weh dabei. - - So viel von den „Zeitgedichten." Die erotischen Lieder bieten mehr wie eine welke Rose, aber auch einen vollen Kranz reizender Herbstblumen, die den wahren Liebling der Grazien wieder erkennen lassen und mit dem übermüthigen Spötter versöhnen. — Wir dachten, die Polizei werde diesmal den privilegirten Sün¬ der ignoriren, da man Heine schon so oft verboten und es niemals was genützt hat. Wir hören aber, daß die „Neuen Gedichte" doch, gleich nach ihrer Ankunft, mit einem Verbot für die ganze preußische Monarchie salutirt worden sind. — Ein Glück für Freiligrath, daß sein Glaubensbekenntnis!5) gleich¬ zeitig mit der Heine'schen Liebeserklärung und nicht einige Monate früher erschienen ist; er würde sonst in den „Neuen Gedichten" be¬ reits sich und seine „schiefer Stellung Qual" mit dem artigsten Cha- rivari begrüßt sehen. Es ist in der That Nichts komischer, als dies prosaische Auseinandersetzen seiner Stellung, Entwicklung und Gesi"- ") Ein Glaubensbekenntniß. Aeitgedichtc von Ferdinand Freiligrath. Mainz^ Verlag von Victor von Zabern. 1844.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/178>, abgerufen am 06.10.2024.