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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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III.
Notizen.
Aus Marocco. -- Gurowsky.

-- Aus Marocco. (Privatmittheilung!) Geehrtester Herr Re¬
dacteur! Sie müssen sich durch das Datum dieses Briefes nicht ir¬
ren lassen; Schreiber dieser Zeilen ist nicht aus den mohamedanischen
Raubstaaten, sondern aus Lobenstein, also eigentlich auch ein Deut¬
scher und hat sogar Philologie studirt. Als stellvertretender Secretan
des H. Attache des fürstlich Fliedersheimschen Gesandten am Hose Sr.
Majestät des Kaisers von Fez und Marocco, ist er in die auswärtige
Politik eingeweiht und hat die diplomatische Carriere nicht ohne hohe
Protection und vielversprechende Aussichten betreten. Da er indeß
schon früher sich mit der Literatur beschäftigte und auch jetzt noch in
etwas genirenden Verhältnissen lebt, glaubt er dem Beispiel jener jun¬
gen Diplomaten, die durch politische Correspondenzen sich im Hos-
und Cabinetsstvl üben, um so eher folgen zu dürfen, als er in der
That durch Ihr geschätztes Blatt sich ein wesentliches Verdienst um
Lobenstein und das übrige Deutschland zu erwerben schmeicheln kann.
-- Ich bin, offen gesagt, kein Radicaler, weil dies mit meiner Stel¬
lung durchaus nicht vereinbar wäre; allein, obschon ich seit einigen
Jahren im Schatten des maroccanischen Thrones lebe und von Sr.
Majestät mehrmals mit besonderer Huld angeblickt wurde, habe ich
noch nicht allen Patriotismus verlernt; namentlich erwachte mein deut¬
sches Herz, als ,es sehen mußte, wie auch hier das Franzosenthum
einzudringen und durch seine sittenlosen, anarchischen Ideen das Hei¬
ligste zu untergraben bemüht ist.^ Meine gegenwärtige Tendenz ist
daher, erstens die undeutschen Einflüsse in Marocco zu bekämpfen, und
zweitens ein innigeres Verständniß zwischen dem maroccanischen und
dem germanischen Element zu vermitteln; daß hier auch weitere prak¬
tische Zwecke verfolgt werden,dürften Sie später selbst erkennen. In den
nachfolgenden Notizen schildere ich Ihnen vorläufig die hiesigen Zu¬
stände, wie sie sind, nicht wie sie mit gewohnter Lügenhaftigkeit von
den Pariser Blättern dargestellt werden.

Ich kann mir denken, daß man bei Ihnen Marocco für einen
barbarischen Staat hält. Es liegt das im Wesen der modernen Ober¬
flächlichkeit. Man kann jedoch darüber nur lächeln; denn was soll
nicht Alles barbarisch sein? Ist doch sogar Rußland dieser Vorwurf
gemacht worden! Marocco ist, nächst Modena und dem nordischen
Kaiserthum, einer von den sehr wenigen Staaten, die man Staaten
der Ordnung nennen darf; dieser Vorzug ist um so höher anzuschla¬
gen, als neuerdings auch die Türkei, der Hauptsitz legitimer Macht,
zu wanken beginnt und durch die Künsteleien der propagandistischen


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III.
Notizen.
Aus Marocco. — Gurowsky.

— Aus Marocco. (Privatmittheilung!) Geehrtester Herr Re¬
dacteur! Sie müssen sich durch das Datum dieses Briefes nicht ir¬
ren lassen; Schreiber dieser Zeilen ist nicht aus den mohamedanischen
Raubstaaten, sondern aus Lobenstein, also eigentlich auch ein Deut¬
scher und hat sogar Philologie studirt. Als stellvertretender Secretan
des H. Attache des fürstlich Fliedersheimschen Gesandten am Hose Sr.
Majestät des Kaisers von Fez und Marocco, ist er in die auswärtige
Politik eingeweiht und hat die diplomatische Carriere nicht ohne hohe
Protection und vielversprechende Aussichten betreten. Da er indeß
schon früher sich mit der Literatur beschäftigte und auch jetzt noch in
etwas genirenden Verhältnissen lebt, glaubt er dem Beispiel jener jun¬
gen Diplomaten, die durch politische Correspondenzen sich im Hos-
und Cabinetsstvl üben, um so eher folgen zu dürfen, als er in der
That durch Ihr geschätztes Blatt sich ein wesentliches Verdienst um
Lobenstein und das übrige Deutschland zu erwerben schmeicheln kann.
— Ich bin, offen gesagt, kein Radicaler, weil dies mit meiner Stel¬
lung durchaus nicht vereinbar wäre; allein, obschon ich seit einigen
Jahren im Schatten des maroccanischen Thrones lebe und von Sr.
Majestät mehrmals mit besonderer Huld angeblickt wurde, habe ich
noch nicht allen Patriotismus verlernt; namentlich erwachte mein deut¬
sches Herz, als ,es sehen mußte, wie auch hier das Franzosenthum
einzudringen und durch seine sittenlosen, anarchischen Ideen das Hei¬
ligste zu untergraben bemüht ist.^ Meine gegenwärtige Tendenz ist
daher, erstens die undeutschen Einflüsse in Marocco zu bekämpfen, und
zweitens ein innigeres Verständniß zwischen dem maroccanischen und
dem germanischen Element zu vermitteln; daß hier auch weitere prak¬
tische Zwecke verfolgt werden,dürften Sie später selbst erkennen. In den
nachfolgenden Notizen schildere ich Ihnen vorläufig die hiesigen Zu¬
stände, wie sie sind, nicht wie sie mit gewohnter Lügenhaftigkeit von
den Pariser Blättern dargestellt werden.

Ich kann mir denken, daß man bei Ihnen Marocco für einen
barbarischen Staat hält. Es liegt das im Wesen der modernen Ober¬
flächlichkeit. Man kann jedoch darüber nur lächeln; denn was soll
nicht Alles barbarisch sein? Ist doch sogar Rußland dieser Vorwurf
gemacht worden! Marocco ist, nächst Modena und dem nordischen
Kaiserthum, einer von den sehr wenigen Staaten, die man Staaten
der Ordnung nennen darf; dieser Vorzug ist um so höher anzuschla¬
gen, als neuerdings auch die Türkei, der Hauptsitz legitimer Macht,
zu wanken beginnt und durch die Künsteleien der propagandistischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/99>, abgerufen am 03.07.2024.