Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.T a g e b u et). i. Politische und literarische Skizze". Nationalität. Noch nie ist die Heiligkeit der Nationalität so allgemein und Von diesem Gesichtspunkt betrachtet, hat das Schauspiel dieses T a g e b u et). i. Politische und literarische Skizze». Nationalität. Noch nie ist die Heiligkeit der Nationalität so allgemein und Von diesem Gesichtspunkt betrachtet, hat das Schauspiel dieses <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0046" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180605"/> </div> </div> <div n="1"> <head> T a g e b u et).</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="2"> <head> i.<lb/> Politische und literarische Skizze».</head><lb/> <div n="3"> <head> Nationalität.</head><lb/> <p xml:id="ID_75"> Noch nie ist die Heiligkeit der Nationalität so allgemein und<lb/> tief empfunden worden, wie in diesen Tagen einer immer allgemeiner<lb/> um sich greifenden, Alles gleich und glatt leckenden Weltbildung.<lb/> Selbst die kleinsten Volksstämme, die von der Weltcivilifation am<lb/> meisten bedroht werden, versuchen eine Schilderhebung gegen diese un¬<lb/> geheuere Macht für ihre Eigenthümlichkeit in Sprache, Sitten und<lb/> Bräuchen. Haben doch selbst die Finnen sich erhoben, um nicht Rus¬<lb/> sen zu werden; die Kelten möchten sich von den Briten scheiden und<lb/> bald finden vielleicht auch die von Wales ihren Tribunen. Es ist<lb/> ein Kampf der Individualitäten gegen den Strom der europäischen<lb/> Jdeenwanderung, oder besser, es ist der Verdauungsprozeß der Cultur.<lb/> Aber eine Cultur, wie die jetzige, ist unaushaltbar in ihrem Lauf, ehe<lb/> sie den Gipfelpunkt erreicht hat; ein Streit für die Nationalität wird<lb/> daher immer nichtig und unglückselig sein, wenn er nicht zugleich ein<lb/> Wettstreit in Cultur und Freiheit ist. Kleine und verlassene Völker-<lb/> individuen werden sich nur erhalten, wenn sie entweder sich zu be¬<lb/> schränken und von allen höheren Bedürfnissen der civilisirten Welt zu<lb/> emancipiren wissen, oder wenn sie den Inhalt der Civilisation in ei¬<lb/> gen Fleisch und Blut zu wandeln und individuell neuzugebären im<lb/> Stande sind. Wer nicht verdauen kann, wird verdaut werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_76" next="#ID_77"> Von diesem Gesichtspunkt betrachtet, hat das Schauspiel dieses<lb/> „Völkerfrühlings" seine sehr elegische Seite. Vereinsamte, im Schat¬<lb/> ten historischen Müßigganges oder Druckes verkümmerte Volksstämme,<lb/> oft die letzten Enkel einst mächtiger Nationen, raffen sich plötzlich auf,</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0046]
T a g e b u et).
i.
Politische und literarische Skizze».
Nationalität.
Noch nie ist die Heiligkeit der Nationalität so allgemein und
tief empfunden worden, wie in diesen Tagen einer immer allgemeiner
um sich greifenden, Alles gleich und glatt leckenden Weltbildung.
Selbst die kleinsten Volksstämme, die von der Weltcivilifation am
meisten bedroht werden, versuchen eine Schilderhebung gegen diese un¬
geheuere Macht für ihre Eigenthümlichkeit in Sprache, Sitten und
Bräuchen. Haben doch selbst die Finnen sich erhoben, um nicht Rus¬
sen zu werden; die Kelten möchten sich von den Briten scheiden und
bald finden vielleicht auch die von Wales ihren Tribunen. Es ist
ein Kampf der Individualitäten gegen den Strom der europäischen
Jdeenwanderung, oder besser, es ist der Verdauungsprozeß der Cultur.
Aber eine Cultur, wie die jetzige, ist unaushaltbar in ihrem Lauf, ehe
sie den Gipfelpunkt erreicht hat; ein Streit für die Nationalität wird
daher immer nichtig und unglückselig sein, wenn er nicht zugleich ein
Wettstreit in Cultur und Freiheit ist. Kleine und verlassene Völker-
individuen werden sich nur erhalten, wenn sie entweder sich zu be¬
schränken und von allen höheren Bedürfnissen der civilisirten Welt zu
emancipiren wissen, oder wenn sie den Inhalt der Civilisation in ei¬
gen Fleisch und Blut zu wandeln und individuell neuzugebären im
Stande sind. Wer nicht verdauen kann, wird verdaut werden.
Von diesem Gesichtspunkt betrachtet, hat das Schauspiel dieses
„Völkerfrühlings" seine sehr elegische Seite. Vereinsamte, im Schat¬
ten historischen Müßigganges oder Druckes verkümmerte Volksstämme,
oft die letzten Enkel einst mächtiger Nationen, raffen sich plötzlich auf,
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