Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Baumwollenweber am Gnlengebirge.



Einführung der Baumwollenwebcrei im Anfang des Jahrhunderts. -- Das
Dorf Langenbielau. -- Das goldene Zeitalter. -- Uebervölkerung und Ausar¬
tung. -- Das eiserne Zeitalter. -- Die Fabriksulrane. -- Gewerbefreiheit und
Sklaverei. -- Das Budget des Häuslers. -- Aussichten und Borschläge.

Der Aufstand der schlesischen Baumwollenweber ist ein Gegen¬
stand von allgemeinerem deutschem Interesse geworden. Er war das
erste Wetterleuchten in der schwülen Atmosphäre, welche die Niederun¬
gen der Volkszustände überzieht und in einem großen grauenvollen
Ungewitter sich über den ganzen Staat zu entladen droht. Man
kennt jetzt genauer die Ereignisse der Junitage der Weber; man hat
Abschriften ihrer Marseillaise, womit sie den Krieg der Armen gegen
die Reichen begannen; man sieht, daß die Arbeiterclassen im Allge¬
meinen nicht länger die historischen Kreuzträger und Sündenböcke der
krankhaften Gesellschaftsentwicklung sein wollen, wornach die anarchi¬
schen Erwerbs- und Eristenzverhältnisse der Massen der Oligarchie
des Capitals und der Spekulation schutzlos anheimfallen.

Die Vorfälle in Prag und andern österreichischen Fabrikorten
haben auf das Signal des schlesischen Weberaufstandes die eigen¬
thümlichen Belege geliefert, daß äußere Anregungen, wie sie für
Schlesien albern genug der Presse schuldgegeben werden, den wirk¬
lichen Ausbruch des von Einsichtigen längst prophezeihten Krieges
nicht herbeigeführt haben. Nur die Feinde der gesinnungsvollen
Presse, denen die Kenntniß der Volkszustände überhaupt und die der
speciellen schlesischen Weberverhältnisse ganz besonders abging, konn¬
ten auf diese fernliegende Ursache verfallen.

Wenn diese der Betrachtung einen ungemein reichhaltigen Stoff
geben, wenn Theorie und Praris sich in seiner Erklärung und vor¬
schlagsweisen Neugestaltung den Rang abzulaufen suchen, wenn da¬
bei in naher Folgerung die Gegenwart und Zukunft des ganzen
Gesellschastsbildes in den Gesichtskreis gerückt werden kann, so müssen
die wahren tiefliegenden Grundursachen jener Thatsachen hierzu die


Die Baumwollenweber am Gnlengebirge.



Einführung der Baumwollenwebcrei im Anfang des Jahrhunderts. — Das
Dorf Langenbielau. — Das goldene Zeitalter. — Uebervölkerung und Ausar¬
tung. — Das eiserne Zeitalter. — Die Fabriksulrane. — Gewerbefreiheit und
Sklaverei. — Das Budget des Häuslers. — Aussichten und Borschläge.

Der Aufstand der schlesischen Baumwollenweber ist ein Gegen¬
stand von allgemeinerem deutschem Interesse geworden. Er war das
erste Wetterleuchten in der schwülen Atmosphäre, welche die Niederun¬
gen der Volkszustände überzieht und in einem großen grauenvollen
Ungewitter sich über den ganzen Staat zu entladen droht. Man
kennt jetzt genauer die Ereignisse der Junitage der Weber; man hat
Abschriften ihrer Marseillaise, womit sie den Krieg der Armen gegen
die Reichen begannen; man sieht, daß die Arbeiterclassen im Allge¬
meinen nicht länger die historischen Kreuzträger und Sündenböcke der
krankhaften Gesellschaftsentwicklung sein wollen, wornach die anarchi¬
schen Erwerbs- und Eristenzverhältnisse der Massen der Oligarchie
des Capitals und der Spekulation schutzlos anheimfallen.

Die Vorfälle in Prag und andern österreichischen Fabrikorten
haben auf das Signal des schlesischen Weberaufstandes die eigen¬
thümlichen Belege geliefert, daß äußere Anregungen, wie sie für
Schlesien albern genug der Presse schuldgegeben werden, den wirk¬
lichen Ausbruch des von Einsichtigen längst prophezeihten Krieges
nicht herbeigeführt haben. Nur die Feinde der gesinnungsvollen
Presse, denen die Kenntniß der Volkszustände überhaupt und die der
speciellen schlesischen Weberverhältnisse ganz besonders abging, konn¬
ten auf diese fernliegende Ursache verfallen.

Wenn diese der Betrachtung einen ungemein reichhaltigen Stoff
geben, wenn Theorie und Praris sich in seiner Erklärung und vor¬
schlagsweisen Neugestaltung den Rang abzulaufen suchen, wenn da¬
bei in naher Folgerung die Gegenwart und Zukunft des ganzen
Gesellschastsbildes in den Gesichtskreis gerückt werden kann, so müssen
die wahren tiefliegenden Grundursachen jener Thatsachen hierzu die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0453" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181012"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Baumwollenweber am Gnlengebirge.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <note type="argument"> Einführung der Baumwollenwebcrei im Anfang des Jahrhunderts. &#x2014; Das<lb/>
Dorf Langenbielau. &#x2014; Das goldene Zeitalter. &#x2014; Uebervölkerung und Ausar¬<lb/>
tung. &#x2014; Das eiserne Zeitalter. &#x2014; Die Fabriksulrane. &#x2014; Gewerbefreiheit und<lb/>
Sklaverei. &#x2014; Das Budget des Häuslers. &#x2014; Aussichten und Borschläge.</note><lb/>
          <p xml:id="ID_1064"> Der Aufstand der schlesischen Baumwollenweber ist ein Gegen¬<lb/>
stand von allgemeinerem deutschem Interesse geworden. Er war das<lb/>
erste Wetterleuchten in der schwülen Atmosphäre, welche die Niederun¬<lb/>
gen der Volkszustände überzieht und in einem großen grauenvollen<lb/>
Ungewitter sich über den ganzen Staat zu entladen droht. Man<lb/>
kennt jetzt genauer die Ereignisse der Junitage der Weber; man hat<lb/>
Abschriften ihrer Marseillaise, womit sie den Krieg der Armen gegen<lb/>
die Reichen begannen; man sieht, daß die Arbeiterclassen im Allge¬<lb/>
meinen nicht länger die historischen Kreuzträger und Sündenböcke der<lb/>
krankhaften Gesellschaftsentwicklung sein wollen, wornach die anarchi¬<lb/>
schen Erwerbs- und Eristenzverhältnisse der Massen der Oligarchie<lb/>
des Capitals und der Spekulation schutzlos anheimfallen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1065"> Die Vorfälle in Prag und andern österreichischen Fabrikorten<lb/>
haben auf das Signal des schlesischen Weberaufstandes die eigen¬<lb/>
thümlichen Belege geliefert, daß äußere Anregungen, wie sie für<lb/>
Schlesien albern genug der Presse schuldgegeben werden, den wirk¬<lb/>
lichen Ausbruch des von Einsichtigen längst prophezeihten Krieges<lb/>
nicht herbeigeführt haben. Nur die Feinde der gesinnungsvollen<lb/>
Presse, denen die Kenntniß der Volkszustände überhaupt und die der<lb/>
speciellen schlesischen Weberverhältnisse ganz besonders abging, konn¬<lb/>
ten auf diese fernliegende Ursache verfallen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1066" next="#ID_1067"> Wenn diese der Betrachtung einen ungemein reichhaltigen Stoff<lb/>
geben, wenn Theorie und Praris sich in seiner Erklärung und vor¬<lb/>
schlagsweisen Neugestaltung den Rang abzulaufen suchen, wenn da¬<lb/>
bei in naher Folgerung die Gegenwart und Zukunft des ganzen<lb/>
Gesellschastsbildes in den Gesichtskreis gerückt werden kann, so müssen<lb/>
die wahren tiefliegenden Grundursachen jener Thatsachen hierzu die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0453] Die Baumwollenweber am Gnlengebirge. Einführung der Baumwollenwebcrei im Anfang des Jahrhunderts. — Das Dorf Langenbielau. — Das goldene Zeitalter. — Uebervölkerung und Ausar¬ tung. — Das eiserne Zeitalter. — Die Fabriksulrane. — Gewerbefreiheit und Sklaverei. — Das Budget des Häuslers. — Aussichten und Borschläge. Der Aufstand der schlesischen Baumwollenweber ist ein Gegen¬ stand von allgemeinerem deutschem Interesse geworden. Er war das erste Wetterleuchten in der schwülen Atmosphäre, welche die Niederun¬ gen der Volkszustände überzieht und in einem großen grauenvollen Ungewitter sich über den ganzen Staat zu entladen droht. Man kennt jetzt genauer die Ereignisse der Junitage der Weber; man hat Abschriften ihrer Marseillaise, womit sie den Krieg der Armen gegen die Reichen begannen; man sieht, daß die Arbeiterclassen im Allge¬ meinen nicht länger die historischen Kreuzträger und Sündenböcke der krankhaften Gesellschaftsentwicklung sein wollen, wornach die anarchi¬ schen Erwerbs- und Eristenzverhältnisse der Massen der Oligarchie des Capitals und der Spekulation schutzlos anheimfallen. Die Vorfälle in Prag und andern österreichischen Fabrikorten haben auf das Signal des schlesischen Weberaufstandes die eigen¬ thümlichen Belege geliefert, daß äußere Anregungen, wie sie für Schlesien albern genug der Presse schuldgegeben werden, den wirk¬ lichen Ausbruch des von Einsichtigen längst prophezeihten Krieges nicht herbeigeführt haben. Nur die Feinde der gesinnungsvollen Presse, denen die Kenntniß der Volkszustände überhaupt und die der speciellen schlesischen Weberverhältnisse ganz besonders abging, konn¬ ten auf diese fernliegende Ursache verfallen. Wenn diese der Betrachtung einen ungemein reichhaltigen Stoff geben, wenn Theorie und Praris sich in seiner Erklärung und vor¬ schlagsweisen Neugestaltung den Rang abzulaufen suchen, wenn da¬ bei in naher Folgerung die Gegenwart und Zukunft des ganzen Gesellschastsbildes in den Gesichtskreis gerückt werden kann, so müssen die wahren tiefliegenden Grundursachen jener Thatsachen hierzu die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/453
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/453>, abgerufen am 03.07.2024.