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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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licher aufgefaßt werden, hätte ihr Biograph sich populärer auszudrüc¬
ken verstanden. Es ist eine schlimme Eigenheit der deutschen Litera-
ten, daß sie bei ihrem Schaffen so selten das Publicum im Auge be¬
halten, für welche es zunächst bestimmt. Die Franzosen verstehen das
bei weitem besser, oder vielmehr, sie schreiben so, daß fast immer jede
Classe von Lesern der Meinung ist, sie allein habe dem Autor vor¬
geschwebt. Könnten diese Worte dazu dienen, der Schrift Carric>re's
ihren Leserkreis recht bedeutend zu erweitern, so würden sie Gutes
stiften, denn jene Biographie wirst helle Lichter auf eine der Heroin¬
nen unserer Frau-nliteratur. -- Von hier aus hat man vor Kurzem
der "Jllustrirten Zeitung" von der bevorstehenden Eoncurrenz einer
Hamburger "Bilderzeitung" geschrieben. An dieser Nachricht war je¬
doch, wie sich aus allen eingezogenen Erkundigungen ergab, kein wahres
Wort, sondern sie entsprang einem literarisch-industriellen Gehirn, wel¬
ches auch in anderer Hinsicht bereits eine nicht geringe speculative Thä¬
tigkeit offenbarte.


V.
Notizen.

Betttcrlied von heute. -- Welch"-. -- Wie man in Marocco fiir Glück macht.

-- Es ist eine alte Wahrheit, daß die Menschen lieber Almosen ge¬
ben, als zahlen, lieber großmüthig thun, als ihre Pflicht erfüllen, so
wie die Könige lieber gnädig sind, als gerecht. Ein komisches Bei¬
spiel sind die preußischen Misstonsprojccte. Hinter den englischen Un¬
ternehmungen der Art steckt Politik und Eolonisationsgeist. Will
Preußen mit seiner "Amazone" Eroberungen in China und Japan
machen? Da sitzen einige gottselige theologische Professorinnen und
Ministerinnen zusammen und stricken und nähen; die Frau Professo¬
rin Strümpfe für die Hottentotten und Hottentottlein, die so unglück¬
lich sind, barfuß zu lausen; die Frau Ministerin Hemden, Schürzen
und Bauchbinden, denn sie erröthet bei dem Gedanken, daß der Kaffer
und seine Frau in sündhafter Nacktheit einhergehen. Schlesien aber
curirt man durch ein neues Wehrsystem und durch die Erklärung, daß
die dortige Noth eine Erfindung der Zeitungsschreiber sei. Aus Alt¬
preußen, wo dieses Treiben am ärgsten sein soll, ging' uns darüber
ein "Bcttlerlicd von heute" zu, aus dem hier einige Strophen ein
Plätzchen finden mögen.

Nach Indien, nach Afrika,
O wären wir doch Alle da,
Um unser Leid zu enden!
Sie sammeln hier von Haus zu Haus,

licher aufgefaßt werden, hätte ihr Biograph sich populärer auszudrüc¬
ken verstanden. Es ist eine schlimme Eigenheit der deutschen Litera-
ten, daß sie bei ihrem Schaffen so selten das Publicum im Auge be¬
halten, für welche es zunächst bestimmt. Die Franzosen verstehen das
bei weitem besser, oder vielmehr, sie schreiben so, daß fast immer jede
Classe von Lesern der Meinung ist, sie allein habe dem Autor vor¬
geschwebt. Könnten diese Worte dazu dienen, der Schrift Carric>re's
ihren Leserkreis recht bedeutend zu erweitern, so würden sie Gutes
stiften, denn jene Biographie wirst helle Lichter auf eine der Heroin¬
nen unserer Frau-nliteratur. — Von hier aus hat man vor Kurzem
der „Jllustrirten Zeitung" von der bevorstehenden Eoncurrenz einer
Hamburger „Bilderzeitung" geschrieben. An dieser Nachricht war je¬
doch, wie sich aus allen eingezogenen Erkundigungen ergab, kein wahres
Wort, sondern sie entsprang einem literarisch-industriellen Gehirn, wel¬
ches auch in anderer Hinsicht bereits eine nicht geringe speculative Thä¬
tigkeit offenbarte.


V.
Notizen.

Betttcrlied von heute. — Welch«-. — Wie man in Marocco fiir Glück macht.

— Es ist eine alte Wahrheit, daß die Menschen lieber Almosen ge¬
ben, als zahlen, lieber großmüthig thun, als ihre Pflicht erfüllen, so
wie die Könige lieber gnädig sind, als gerecht. Ein komisches Bei¬
spiel sind die preußischen Misstonsprojccte. Hinter den englischen Un¬
ternehmungen der Art steckt Politik und Eolonisationsgeist. Will
Preußen mit seiner „Amazone" Eroberungen in China und Japan
machen? Da sitzen einige gottselige theologische Professorinnen und
Ministerinnen zusammen und stricken und nähen; die Frau Professo¬
rin Strümpfe für die Hottentotten und Hottentottlein, die so unglück¬
lich sind, barfuß zu lausen; die Frau Ministerin Hemden, Schürzen
und Bauchbinden, denn sie erröthet bei dem Gedanken, daß der Kaffer
und seine Frau in sündhafter Nacktheit einhergehen. Schlesien aber
curirt man durch ein neues Wehrsystem und durch die Erklärung, daß
die dortige Noth eine Erfindung der Zeitungsschreiber sei. Aus Alt¬
preußen, wo dieses Treiben am ärgsten sein soll, ging' uns darüber
ein „Bcttlerlicd von heute" zu, aus dem hier einige Strophen ein
Plätzchen finden mögen.

Nach Indien, nach Afrika,
O wären wir doch Alle da,
Um unser Leid zu enden!
Sie sammeln hier von Haus zu Haus,

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[0391] licher aufgefaßt werden, hätte ihr Biograph sich populärer auszudrüc¬ ken verstanden. Es ist eine schlimme Eigenheit der deutschen Litera- ten, daß sie bei ihrem Schaffen so selten das Publicum im Auge be¬ halten, für welche es zunächst bestimmt. Die Franzosen verstehen das bei weitem besser, oder vielmehr, sie schreiben so, daß fast immer jede Classe von Lesern der Meinung ist, sie allein habe dem Autor vor¬ geschwebt. Könnten diese Worte dazu dienen, der Schrift Carric>re's ihren Leserkreis recht bedeutend zu erweitern, so würden sie Gutes stiften, denn jene Biographie wirst helle Lichter auf eine der Heroin¬ nen unserer Frau-nliteratur. — Von hier aus hat man vor Kurzem der „Jllustrirten Zeitung" von der bevorstehenden Eoncurrenz einer Hamburger „Bilderzeitung" geschrieben. An dieser Nachricht war je¬ doch, wie sich aus allen eingezogenen Erkundigungen ergab, kein wahres Wort, sondern sie entsprang einem literarisch-industriellen Gehirn, wel¬ ches auch in anderer Hinsicht bereits eine nicht geringe speculative Thä¬ tigkeit offenbarte. V. Notizen. Betttcrlied von heute. — Welch«-. — Wie man in Marocco fiir Glück macht. — Es ist eine alte Wahrheit, daß die Menschen lieber Almosen ge¬ ben, als zahlen, lieber großmüthig thun, als ihre Pflicht erfüllen, so wie die Könige lieber gnädig sind, als gerecht. Ein komisches Bei¬ spiel sind die preußischen Misstonsprojccte. Hinter den englischen Un¬ ternehmungen der Art steckt Politik und Eolonisationsgeist. Will Preußen mit seiner „Amazone" Eroberungen in China und Japan machen? Da sitzen einige gottselige theologische Professorinnen und Ministerinnen zusammen und stricken und nähen; die Frau Professo¬ rin Strümpfe für die Hottentotten und Hottentottlein, die so unglück¬ lich sind, barfuß zu lausen; die Frau Ministerin Hemden, Schürzen und Bauchbinden, denn sie erröthet bei dem Gedanken, daß der Kaffer und seine Frau in sündhafter Nacktheit einhergehen. Schlesien aber curirt man durch ein neues Wehrsystem und durch die Erklärung, daß die dortige Noth eine Erfindung der Zeitungsschreiber sei. Aus Alt¬ preußen, wo dieses Treiben am ärgsten sein soll, ging' uns darüber ein „Bcttlerlicd von heute" zu, aus dem hier einige Strophen ein Plätzchen finden mögen. Nach Indien, nach Afrika, O wären wir doch Alle da, Um unser Leid zu enden! Sie sammeln hier von Haus zu Haus,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/391>, abgerufen am 29.06.2024.