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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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kommt kaum zum Lob, ... weil man bewundert. Da ist eine Ruhe,
eine Würde in der kleinsten Kleinigkeit, die so unbedacht thut, daß
sie der Augenblick geschaffen zu haben scheint; eine Gediegenheit, eine
Pracht, die die Modellirung des Einzelnen bis aufs Höchste treibt.
Van Dyk konnte nicht schöner malen, ... hier ist Rubens's Natur¬
wahrheit, aber getrennt von seiner oft unverkennbaren, übertriebenen
Derbheit. Es ist in diesem Bilde eine so künstlerische Anordnung
und Ausführung des Beiwerkes, aber doch eine so verständige Mäßi¬
gung in Betreff der Hauptsache, daß das Auge mit wahrem Ver¬
gnügen von dem Sammt und der Seide der Gewänder auf den
wappengekrönten, vergoldeten Sessel übergeht. Das nennt man ma¬
len! wahrhaftig! ... das nennt man malen. -- Warum kann
Lessing nicht so coloriren, dann würde kein Streit mehr sein zwischen
ihm und den Belgiern. Aber trotz dem soll und muß der Streit
zu seinen Gunsten ausfallen, denn er vertritt die Richtung des
Idealen, während seine Nachbarn der Apotheose des Fleisches
huldigen!

In meinen nächsten Briefen werde ich auf das vorerwähnte
neu eingerichtete Institut des Kunsthändlers Kuhr, auf die perma¬
nente Ausstellung einheimischer und fremder Bilder zum Verkauf
eingehen.


Notizen.

Noch einmal das Cartel! -- Der Nationalvkrein. -- Das Briefgeheimniß. --
Der ewige Jude in Deutschland. -- Der Osteroder König. -- Se. Lava-
tus. -- Pepita von Boas-

-- Ueber die Cartelerneuerung zwischen Rußland und Preußen,
welche von einigen tonangebenden Berliner Correspondenten mit Ruhe
aufgenommen und beruhigend mitgetheilt wurde, erheben sich jetzt doch
sehr besorgte, nichts weniger als preisende Stimmen. Die Erneuer¬
ung, heißt es, sei gar nickt mehr erwartet, ja für eine der gewöhn¬
lichen Erfindungen der "schlechten Presse" gehalten worden. Die
"Weserzeitung" bemerkt, es werde nun vorkommen, daß Deutsche ge¬
gen Deutsche auf die Jagd würden gehen müssen; in Polen gebe es
eine große Anzahl von eingewanderten Deutschen, die ihren Glauben
und ihre Sprache bewahrt hätten und sich nicht entschließen könnten,
ihre deutsch erzogenen Söhne dem barbarischen russischen Militärdienst
zu opfern; seit dem Erlöschen des vorigen Cartels seien die meisten
dieser jungen Leute, aus einem großen Bezirk im Weichselthale, über
die Grenze geflohen und gerettet worden, bis auf Einen, der das Un¬
glück hatte, von den Kosaken erjagt zu werden und unter der Knute


Ercnzbot-n II. Zg

kommt kaum zum Lob, ... weil man bewundert. Da ist eine Ruhe,
eine Würde in der kleinsten Kleinigkeit, die so unbedacht thut, daß
sie der Augenblick geschaffen zu haben scheint; eine Gediegenheit, eine
Pracht, die die Modellirung des Einzelnen bis aufs Höchste treibt.
Van Dyk konnte nicht schöner malen, ... hier ist Rubens's Natur¬
wahrheit, aber getrennt von seiner oft unverkennbaren, übertriebenen
Derbheit. Es ist in diesem Bilde eine so künstlerische Anordnung
und Ausführung des Beiwerkes, aber doch eine so verständige Mäßi¬
gung in Betreff der Hauptsache, daß das Auge mit wahrem Ver¬
gnügen von dem Sammt und der Seide der Gewänder auf den
wappengekrönten, vergoldeten Sessel übergeht. Das nennt man ma¬
len! wahrhaftig! ... das nennt man malen. — Warum kann
Lessing nicht so coloriren, dann würde kein Streit mehr sein zwischen
ihm und den Belgiern. Aber trotz dem soll und muß der Streit
zu seinen Gunsten ausfallen, denn er vertritt die Richtung des
Idealen, während seine Nachbarn der Apotheose des Fleisches
huldigen!

In meinen nächsten Briefen werde ich auf das vorerwähnte
neu eingerichtete Institut des Kunsthändlers Kuhr, auf die perma¬
nente Ausstellung einheimischer und fremder Bilder zum Verkauf
eingehen.


Notizen.

Noch einmal das Cartel! — Der Nationalvkrein. — Das Briefgeheimniß. —
Der ewige Jude in Deutschland. — Der Osteroder König. — Se. Lava-
tus. — Pepita von Boas-

— Ueber die Cartelerneuerung zwischen Rußland und Preußen,
welche von einigen tonangebenden Berliner Correspondenten mit Ruhe
aufgenommen und beruhigend mitgetheilt wurde, erheben sich jetzt doch
sehr besorgte, nichts weniger als preisende Stimmen. Die Erneuer¬
ung, heißt es, sei gar nickt mehr erwartet, ja für eine der gewöhn¬
lichen Erfindungen der „schlechten Presse" gehalten worden. Die
„Weserzeitung" bemerkt, es werde nun vorkommen, daß Deutsche ge¬
gen Deutsche auf die Jagd würden gehen müssen; in Polen gebe es
eine große Anzahl von eingewanderten Deutschen, die ihren Glauben
und ihre Sprache bewahrt hätten und sich nicht entschließen könnten,
ihre deutsch erzogenen Söhne dem barbarischen russischen Militärdienst
zu opfern; seit dem Erlöschen des vorigen Cartels seien die meisten
dieser jungen Leute, aus einem großen Bezirk im Weichselthale, über
die Grenze geflohen und gerettet worden, bis auf Einen, der das Un¬
glück hatte, von den Kosaken erjagt zu werden und unter der Knute


Ercnzbot-n II. Zg
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/241>, abgerufen am 22.12.2024.