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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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zu sterben. Wie das nun werden solle? -- Die "Kölnische Zeitung"
hebt hervor, welche Ungleichheit darin liege, daß der Preuße in Ru߬
land nach dem russischen, der Russe in Preußen nach dem preußischen
Gesetz bestraft werden solle; der Preuße könne demnach in Rußland
wegen einer Aollgesetzübertretung nach Sibirien, der Russe in Preußen
mit einer Geldstrafe loskommen u. s. w. Ferner seien mehrere Punkte
des Cartels der zweideutigsten Auslegung fähig, und Rußland habe
nur zu sehr die Mittel und den guten Willen, um die wenigen, aus
Noth gemachten Concessionen durch nachttägliche Bestimmungen und
Tarifsätze zu eludiren. Endlich -- so urtheilen die am meisten Be¬
theiligten in Königsberg und anderen Grenzorten -- sei das Cartel
nur für Rußland, nur für den Gegner nothwendig -- denn so
müsse man einen Staat bezeichnen, der, bei allen Freundschaftsver¬
sicherungen und in Friedenszeiten, den Nachbar durch solche Grenz-
sperre und Plackereien schädige. Das Cartel sei wie ein ohne Noth
und Schwertstreich geschlossener schlechter Frieden; denn die Handels¬
repressalien, die Preußen durch den Besitz der Weichselmündung zu
Gebot gestanden, seien nicht einmal in Gedanken versucht worden.
Statt der neulichen Angelegenheiten aber, durch die russische Emigra¬
tion, werde man wohl noch schrecklichere Scenen an der Grenze erle¬
ben. All diese nachträglichen Raisonnements werden das Cartel
nicht mehr aufheben, aber sie deuten auf großen Sturm. Die Wohl¬
thaten des Vertrages müssen sich nun bald zeigen, und die öffentliche
Meinung, die man beim Abschluß desselben etwas voreilig überhört,
oder gar nicht gefragt zu haben scheint, wird bei dieser schmerzlichen
Enttäuschung und bei der völligen Hoffnungslosigkeit aus eine Genug¬
thuung für die alten Unbilden, um so erbitterter an dem russisch¬
preußischen Bande zerren.

-- Während man in Berlin (siehe unsere heutige Berliner Cor-
respondenz Nro. I.) dem von Firmenich, von Holhcndorss und We¬
niger projectirten Nationalverein kaum die königliche Concession, ge¬
schweige besonderen Schutz voraussagt, cursiren anderwärts ganz ent¬
gegengesetzte Randglossen zu diesem seltsamen Unternehmen. Da in¬
dessen die Berliner erst durch auswärtige Blätter davon erfuhren, so
wäre es wohl möglich, daß sie auch über den Ursprung und mysteri¬
ösen Hintergrund der Aventure schlechtere Witterung hätten, als die
Fernstehenden; jedenfalls hat die außcrbcrlinische Ansicht viel innerliche
Wahrscheinlichkeit, sie lautet ungefähr folgendermaßen: Also ist von
Berlin aus wieder ein großer Trompetentusch erklungen durch die
deutschen "Gauen". Ein Nalionalvercin, mit allerhöchster Bewilligung
und geheimer Protection, proclamirt sich mit Einem Male, wie auf
festen Säulen gegründet, und bekennt den edlen Zweck, die Grenzen


zu sterben. Wie das nun werden solle? — Die „Kölnische Zeitung"
hebt hervor, welche Ungleichheit darin liege, daß der Preuße in Ru߬
land nach dem russischen, der Russe in Preußen nach dem preußischen
Gesetz bestraft werden solle; der Preuße könne demnach in Rußland
wegen einer Aollgesetzübertretung nach Sibirien, der Russe in Preußen
mit einer Geldstrafe loskommen u. s. w. Ferner seien mehrere Punkte
des Cartels der zweideutigsten Auslegung fähig, und Rußland habe
nur zu sehr die Mittel und den guten Willen, um die wenigen, aus
Noth gemachten Concessionen durch nachttägliche Bestimmungen und
Tarifsätze zu eludiren. Endlich — so urtheilen die am meisten Be¬
theiligten in Königsberg und anderen Grenzorten — sei das Cartel
nur für Rußland, nur für den Gegner nothwendig — denn so
müsse man einen Staat bezeichnen, der, bei allen Freundschaftsver¬
sicherungen und in Friedenszeiten, den Nachbar durch solche Grenz-
sperre und Plackereien schädige. Das Cartel sei wie ein ohne Noth
und Schwertstreich geschlossener schlechter Frieden; denn die Handels¬
repressalien, die Preußen durch den Besitz der Weichselmündung zu
Gebot gestanden, seien nicht einmal in Gedanken versucht worden.
Statt der neulichen Angelegenheiten aber, durch die russische Emigra¬
tion, werde man wohl noch schrecklichere Scenen an der Grenze erle¬
ben. All diese nachträglichen Raisonnements werden das Cartel
nicht mehr aufheben, aber sie deuten auf großen Sturm. Die Wohl¬
thaten des Vertrages müssen sich nun bald zeigen, und die öffentliche
Meinung, die man beim Abschluß desselben etwas voreilig überhört,
oder gar nicht gefragt zu haben scheint, wird bei dieser schmerzlichen
Enttäuschung und bei der völligen Hoffnungslosigkeit aus eine Genug¬
thuung für die alten Unbilden, um so erbitterter an dem russisch¬
preußischen Bande zerren.

— Während man in Berlin (siehe unsere heutige Berliner Cor-
respondenz Nro. I.) dem von Firmenich, von Holhcndorss und We¬
niger projectirten Nationalverein kaum die königliche Concession, ge¬
schweige besonderen Schutz voraussagt, cursiren anderwärts ganz ent¬
gegengesetzte Randglossen zu diesem seltsamen Unternehmen. Da in¬
dessen die Berliner erst durch auswärtige Blätter davon erfuhren, so
wäre es wohl möglich, daß sie auch über den Ursprung und mysteri¬
ösen Hintergrund der Aventure schlechtere Witterung hätten, als die
Fernstehenden; jedenfalls hat die außcrbcrlinische Ansicht viel innerliche
Wahrscheinlichkeit, sie lautet ungefähr folgendermaßen: Also ist von
Berlin aus wieder ein großer Trompetentusch erklungen durch die
deutschen „Gauen". Ein Nalionalvercin, mit allerhöchster Bewilligung
und geheimer Protection, proclamirt sich mit Einem Male, wie auf
festen Säulen gegründet, und bekennt den edlen Zweck, die Grenzen


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[0242] zu sterben. Wie das nun werden solle? — Die „Kölnische Zeitung" hebt hervor, welche Ungleichheit darin liege, daß der Preuße in Ru߬ land nach dem russischen, der Russe in Preußen nach dem preußischen Gesetz bestraft werden solle; der Preuße könne demnach in Rußland wegen einer Aollgesetzübertretung nach Sibirien, der Russe in Preußen mit einer Geldstrafe loskommen u. s. w. Ferner seien mehrere Punkte des Cartels der zweideutigsten Auslegung fähig, und Rußland habe nur zu sehr die Mittel und den guten Willen, um die wenigen, aus Noth gemachten Concessionen durch nachttägliche Bestimmungen und Tarifsätze zu eludiren. Endlich — so urtheilen die am meisten Be¬ theiligten in Königsberg und anderen Grenzorten — sei das Cartel nur für Rußland, nur für den Gegner nothwendig — denn so müsse man einen Staat bezeichnen, der, bei allen Freundschaftsver¬ sicherungen und in Friedenszeiten, den Nachbar durch solche Grenz- sperre und Plackereien schädige. Das Cartel sei wie ein ohne Noth und Schwertstreich geschlossener schlechter Frieden; denn die Handels¬ repressalien, die Preußen durch den Besitz der Weichselmündung zu Gebot gestanden, seien nicht einmal in Gedanken versucht worden. Statt der neulichen Angelegenheiten aber, durch die russische Emigra¬ tion, werde man wohl noch schrecklichere Scenen an der Grenze erle¬ ben. All diese nachträglichen Raisonnements werden das Cartel nicht mehr aufheben, aber sie deuten auf großen Sturm. Die Wohl¬ thaten des Vertrages müssen sich nun bald zeigen, und die öffentliche Meinung, die man beim Abschluß desselben etwas voreilig überhört, oder gar nicht gefragt zu haben scheint, wird bei dieser schmerzlichen Enttäuschung und bei der völligen Hoffnungslosigkeit aus eine Genug¬ thuung für die alten Unbilden, um so erbitterter an dem russisch¬ preußischen Bande zerren. — Während man in Berlin (siehe unsere heutige Berliner Cor- respondenz Nro. I.) dem von Firmenich, von Holhcndorss und We¬ niger projectirten Nationalverein kaum die königliche Concession, ge¬ schweige besonderen Schutz voraussagt, cursiren anderwärts ganz ent¬ gegengesetzte Randglossen zu diesem seltsamen Unternehmen. Da in¬ dessen die Berliner erst durch auswärtige Blätter davon erfuhren, so wäre es wohl möglich, daß sie auch über den Ursprung und mysteri¬ ösen Hintergrund der Aventure schlechtere Witterung hätten, als die Fernstehenden; jedenfalls hat die außcrbcrlinische Ansicht viel innerliche Wahrscheinlichkeit, sie lautet ungefähr folgendermaßen: Also ist von Berlin aus wieder ein großer Trompetentusch erklungen durch die deutschen „Gauen". Ein Nalionalvercin, mit allerhöchster Bewilligung und geheimer Protection, proclamirt sich mit Einem Male, wie auf festen Säulen gegründet, und bekennt den edlen Zweck, die Grenzen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/242>, abgerufen am 22.12.2024.