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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Werfönlichkeite" der französischen Kammer



i.
Der Alterspräsident Laffitte.

Es war einmal ein Zimmermeister, welchem der Himmel viel
Rechtschaffenheit, viel Talent, sehr wenig Geld und zehn Kinder ge¬
geben hatte. Eines der letzteren ward Jacques genannt; eine muthwillige
Fee nahm ihn unter ihren Schutz. Der arme Jacques wurde ein Mil¬
lionär und protegirte seine Freunde, protegirte seine Feinde, protegirte
die ganze Welt. Zu derselben Zeit gab es einen so alten, abge¬
nutzten und durch Revolutionen geschwächten Thron, daß er nur
mühsam aufrecht erhalten werden konnte. Der König vergaß eines
Tages, sich mit Behutsamkeit darauf zu setzen; er ließ sich unvorsich¬
tig darauf nieder, und der Thron brach zusammen. Es galt jetzt,
einen neuen zu bauen. Jacques, welcher das Handwerk seines Va¬
ters nicht vergessen hatte, brachte mit einem kräftigen Faustschlag die
vier mit Sammt überzogenen Bretter, welche die Grundlage des so¬
cialen Gebäudes bilden, wieder in's Gefüge. Aber das brachte ihn
in's Unglück; sein Schutzgeist wandte ihm den Rücken, seine Kasse
wurde leer wie durch Zauberei, sein Gefolge von Freunden verwan¬
delte sich in eine Schaar von Gläubigern, und wenn nicht einige
von Denen, die ihm Nichts schuldeten, ein wenig von dem Golde
gegeben hätten, welches er so großmüthig verschwendet hatte, hätte
er kein Obdach für sein Haupt gehabt. Zu dieser schwierigen Lage ver¬
lor Jacques jedoch nicht den Muth; in seinen alten Tagen begann


Grenzboten 1844. I. 57
Werfönlichkeite« der französischen Kammer



i.
Der Alterspräsident Laffitte.

Es war einmal ein Zimmermeister, welchem der Himmel viel
Rechtschaffenheit, viel Talent, sehr wenig Geld und zehn Kinder ge¬
geben hatte. Eines der letzteren ward Jacques genannt; eine muthwillige
Fee nahm ihn unter ihren Schutz. Der arme Jacques wurde ein Mil¬
lionär und protegirte seine Freunde, protegirte seine Feinde, protegirte
die ganze Welt. Zu derselben Zeit gab es einen so alten, abge¬
nutzten und durch Revolutionen geschwächten Thron, daß er nur
mühsam aufrecht erhalten werden konnte. Der König vergaß eines
Tages, sich mit Behutsamkeit darauf zu setzen; er ließ sich unvorsich¬
tig darauf nieder, und der Thron brach zusammen. Es galt jetzt,
einen neuen zu bauen. Jacques, welcher das Handwerk seines Va¬
ters nicht vergessen hatte, brachte mit einem kräftigen Faustschlag die
vier mit Sammt überzogenen Bretter, welche die Grundlage des so¬
cialen Gebäudes bilden, wieder in's Gefüge. Aber das brachte ihn
in's Unglück; sein Schutzgeist wandte ihm den Rücken, seine Kasse
wurde leer wie durch Zauberei, sein Gefolge von Freunden verwan¬
delte sich in eine Schaar von Gläubigern, und wenn nicht einige
von Denen, die ihm Nichts schuldeten, ein wenig von dem Golde
gegeben hätten, welches er so großmüthig verschwendet hatte, hätte
er kein Obdach für sein Haupt gehabt. Zu dieser schwierigen Lage ver¬
lor Jacques jedoch nicht den Muth; in seinen alten Tagen begann


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[0441] Werfönlichkeite« der französischen Kammer i. Der Alterspräsident Laffitte. Es war einmal ein Zimmermeister, welchem der Himmel viel Rechtschaffenheit, viel Talent, sehr wenig Geld und zehn Kinder ge¬ geben hatte. Eines der letzteren ward Jacques genannt; eine muthwillige Fee nahm ihn unter ihren Schutz. Der arme Jacques wurde ein Mil¬ lionär und protegirte seine Freunde, protegirte seine Feinde, protegirte die ganze Welt. Zu derselben Zeit gab es einen so alten, abge¬ nutzten und durch Revolutionen geschwächten Thron, daß er nur mühsam aufrecht erhalten werden konnte. Der König vergaß eines Tages, sich mit Behutsamkeit darauf zu setzen; er ließ sich unvorsich¬ tig darauf nieder, und der Thron brach zusammen. Es galt jetzt, einen neuen zu bauen. Jacques, welcher das Handwerk seines Va¬ ters nicht vergessen hatte, brachte mit einem kräftigen Faustschlag die vier mit Sammt überzogenen Bretter, welche die Grundlage des so¬ cialen Gebäudes bilden, wieder in's Gefüge. Aber das brachte ihn in's Unglück; sein Schutzgeist wandte ihm den Rücken, seine Kasse wurde leer wie durch Zauberei, sein Gefolge von Freunden verwan¬ delte sich in eine Schaar von Gläubigern, und wenn nicht einige von Denen, die ihm Nichts schuldeten, ein wenig von dem Golde gegeben hätten, welches er so großmüthig verschwendet hatte, hätte er kein Obdach für sein Haupt gehabt. Zu dieser schwierigen Lage ver¬ lor Jacques jedoch nicht den Muth; in seinen alten Tagen begann Grenzboten 1844. I. 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/441>, abgerufen am 22.12.2024.