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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Der Salon der Frau von Varnhagen.



I.

Rahel in ihrer Häuslichkeit. -- Herr von Barnhagen. -- Grüneisen; der
deutsche Gesang. -- Der Kronprinz. -- Freiherr von Reden; die Intriguen
wider Gcseniue und Wegscheider. -- Ein italienischer Diplomat und ein pol¬
nisch-preußischer Beamter. -- General Cordova für Rossini. -- Amerikanische
Wisigier. -- Gans über die Heiligkrit königlicher Eide.

Meine Erinnerungen von der Gesellschaft in Berlin sind etwas
verwirrt, ich habe meine Tage dort im beständigen Taumel zuge¬
bracht, im Taumel der Geschäfte und im Taumel der Zerstreuungen,
deren die große Stadt nur allzuviel bot. Nach den endlosen Cor--
fercnzen mit den preußischen Geschäftsmännern, denen die weitläufig¬
sten Wege fast immer die angenehmsten schienen, besuchte ich Abends
gewöhnlich die große Welt, einige Hofbälle, die Säle der Minister,
der Gesandten; langweilte mich aber bald in dem bunten Gewühl,
das in seiner Mannigfaltigkeit doch nur immer dieselben Gesichter
zeigte. Wenn auch manche der Anwesenden genug Geist und Leben
in sich hatten: die Versammlung gewann dabei Nichts, denn Niemand
wollte oder durfte hier etwas Anderes vorstellen, als den äußern
Rang, durch Geburt oder Amt überkommen, und somit war von
selbst aller Anspruch auf Geist, Talent oder Liebenswürdigkeit in Ruhe
gesetzt. Das Haus eines geadelten Kaufmanns, das man mir ge¬
rühmt hatte, konnte mir noch weniger gefallen; in seine Säle stürzte
ebenfalls, wie in die andern, die ganze Hofgesellschaft, es war auch
dort dasselbe langweilige Wesen, und wenn der Ton leichter war, so
war er dadurch nicht angenehmer. Ich ließ mich selten dort blicken,
und nur auf Viertelstunden.

Aber ich fand bald andere Kreise, in denen der Reiz der Ber¬
liner Geselligkeit, von dem ich so viel gehört hatte und an den ich
kaum noch glauben wollte, unerwartet sich mir enthüllte, und von
dem ich bald mächtig angezogen wurde. Ich nenne das reiche und
angesehene Haus Beer, wo um die heimischen schönen Talente die


Grcnzbolcnlväi. I. 23
Der Salon der Frau von Varnhagen.



I.

Rahel in ihrer Häuslichkeit. — Herr von Barnhagen. — Grüneisen; der
deutsche Gesang. — Der Kronprinz. — Freiherr von Reden; die Intriguen
wider Gcseniue und Wegscheider. — Ein italienischer Diplomat und ein pol¬
nisch-preußischer Beamter. — General Cordova für Rossini. — Amerikanische
Wisigier. — Gans über die Heiligkrit königlicher Eide.

Meine Erinnerungen von der Gesellschaft in Berlin sind etwas
verwirrt, ich habe meine Tage dort im beständigen Taumel zuge¬
bracht, im Taumel der Geschäfte und im Taumel der Zerstreuungen,
deren die große Stadt nur allzuviel bot. Nach den endlosen Cor--
fercnzen mit den preußischen Geschäftsmännern, denen die weitläufig¬
sten Wege fast immer die angenehmsten schienen, besuchte ich Abends
gewöhnlich die große Welt, einige Hofbälle, die Säle der Minister,
der Gesandten; langweilte mich aber bald in dem bunten Gewühl,
das in seiner Mannigfaltigkeit doch nur immer dieselben Gesichter
zeigte. Wenn auch manche der Anwesenden genug Geist und Leben
in sich hatten: die Versammlung gewann dabei Nichts, denn Niemand
wollte oder durfte hier etwas Anderes vorstellen, als den äußern
Rang, durch Geburt oder Amt überkommen, und somit war von
selbst aller Anspruch auf Geist, Talent oder Liebenswürdigkeit in Ruhe
gesetzt. Das Haus eines geadelten Kaufmanns, das man mir ge¬
rühmt hatte, konnte mir noch weniger gefallen; in seine Säle stürzte
ebenfalls, wie in die andern, die ganze Hofgesellschaft, es war auch
dort dasselbe langweilige Wesen, und wenn der Ton leichter war, so
war er dadurch nicht angenehmer. Ich ließ mich selten dort blicken,
und nur auf Viertelstunden.

Aber ich fand bald andere Kreise, in denen der Reiz der Ber¬
liner Geselligkeit, von dem ich so viel gehört hatte und an den ich
kaum noch glauben wollte, unerwartet sich mir enthüllte, und von
dem ich bald mächtig angezogen wurde. Ich nenne das reiche und
angesehene Haus Beer, wo um die heimischen schönen Talente die


Grcnzbolcnlväi. I. 23
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[0177] Der Salon der Frau von Varnhagen. I. Rahel in ihrer Häuslichkeit. — Herr von Barnhagen. — Grüneisen; der deutsche Gesang. — Der Kronprinz. — Freiherr von Reden; die Intriguen wider Gcseniue und Wegscheider. — Ein italienischer Diplomat und ein pol¬ nisch-preußischer Beamter. — General Cordova für Rossini. — Amerikanische Wisigier. — Gans über die Heiligkrit königlicher Eide. Meine Erinnerungen von der Gesellschaft in Berlin sind etwas verwirrt, ich habe meine Tage dort im beständigen Taumel zuge¬ bracht, im Taumel der Geschäfte und im Taumel der Zerstreuungen, deren die große Stadt nur allzuviel bot. Nach den endlosen Cor-- fercnzen mit den preußischen Geschäftsmännern, denen die weitläufig¬ sten Wege fast immer die angenehmsten schienen, besuchte ich Abends gewöhnlich die große Welt, einige Hofbälle, die Säle der Minister, der Gesandten; langweilte mich aber bald in dem bunten Gewühl, das in seiner Mannigfaltigkeit doch nur immer dieselben Gesichter zeigte. Wenn auch manche der Anwesenden genug Geist und Leben in sich hatten: die Versammlung gewann dabei Nichts, denn Niemand wollte oder durfte hier etwas Anderes vorstellen, als den äußern Rang, durch Geburt oder Amt überkommen, und somit war von selbst aller Anspruch auf Geist, Talent oder Liebenswürdigkeit in Ruhe gesetzt. Das Haus eines geadelten Kaufmanns, das man mir ge¬ rühmt hatte, konnte mir noch weniger gefallen; in seine Säle stürzte ebenfalls, wie in die andern, die ganze Hofgesellschaft, es war auch dort dasselbe langweilige Wesen, und wenn der Ton leichter war, so war er dadurch nicht angenehmer. Ich ließ mich selten dort blicken, und nur auf Viertelstunden. Aber ich fand bald andere Kreise, in denen der Reiz der Ber¬ liner Geselligkeit, von dem ich so viel gehört hatte und an den ich kaum noch glauben wollte, unerwartet sich mir enthüllte, und von dem ich bald mächtig angezogen wurde. Ich nenne das reiche und angesehene Haus Beer, wo um die heimischen schönen Talente die Grcnzbolcnlväi. I. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/177>, abgerufen am 22.12.2024.