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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Ueiseblckttör ctus dem sutor.
Von E. Robert.



Wir haben nun den Schnee der Gletscher vollständig abgeschüttelt;
die süße Sonne der Lombardei Hat unsre Mäntel getrocknet. Italien,
wir wollen Deine lauen Zephyre und Dein harmonisches Gemurmel tie¬
fer einathmen, wir wollen uns von Deiner wohlthuenden Wärme durch¬
dringen lassen, während sie daheim im lieben Vaterlande die Kälte schau¬
dern macht. Wir gehen nach Venedig, der Heimath der Gondoliere,
dem Eldorado der Romanzen, dem Farbenbrett der dramatischen Dich¬
ter! Venedig ist Bagdad sür uns Westländer, wie Granada Benares
für uns ist. Seit fast 50 Jahren leben unsre Dichter von Venedig und
Granada. Ohne Venedig und Granada wäre die halbe romantische
Literatur Hungers gestorben, aber wie wenige dieser großen Männer,
die so schön davon gesprochen, haben es sich einfallen lassen, sie zu be¬
suchen! Und doch hat Venedig eine Existenz von Fleisch, Bein und
Marmor, wie jede andre Stadt hienieden; zwischen Mailand und der
"Feenstadt" ist eine große Straße, eine der langweiligsten großen Heerstra¬
ßen, der ganzen Welt, und auf dieser Heerstraße fährt eine Eilpost, die
eine deutsche Meile in einer Stunde macht (die Venezianische Eil¬
post, ein Mißklang sür meine Ohren, als sagte man die Athener Om¬
nibus oder die Eisenbahn von Delphi) und in dieser Eilpost sitzen Hand¬
lungsreisende, grade wie in der zwischen der Frankfurter und der Leip¬
ziger Messe. Ach, warum können wir nicht mehr unsre Heldenfahrten
als' Fußgänger fortsetzen! In unsrer Zeit sind Studenten und Fuhr¬
leute allein eines solchen Muthes fähig. Man muß lombardische Heer¬
straßen gesehen haben, um sich einen Begriff von ihrer Monotonie zu


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Ueiseblckttör ctus dem sutor.
Von E. Robert.



Wir haben nun den Schnee der Gletscher vollständig abgeschüttelt;
die süße Sonne der Lombardei Hat unsre Mäntel getrocknet. Italien,
wir wollen Deine lauen Zephyre und Dein harmonisches Gemurmel tie¬
fer einathmen, wir wollen uns von Deiner wohlthuenden Wärme durch¬
dringen lassen, während sie daheim im lieben Vaterlande die Kälte schau¬
dern macht. Wir gehen nach Venedig, der Heimath der Gondoliere,
dem Eldorado der Romanzen, dem Farbenbrett der dramatischen Dich¬
ter! Venedig ist Bagdad sür uns Westländer, wie Granada Benares
für uns ist. Seit fast 50 Jahren leben unsre Dichter von Venedig und
Granada. Ohne Venedig und Granada wäre die halbe romantische
Literatur Hungers gestorben, aber wie wenige dieser großen Männer,
die so schön davon gesprochen, haben es sich einfallen lassen, sie zu be¬
suchen! Und doch hat Venedig eine Existenz von Fleisch, Bein und
Marmor, wie jede andre Stadt hienieden; zwischen Mailand und der
«Feenstadt" ist eine große Straße, eine der langweiligsten großen Heerstra¬
ßen, der ganzen Welt, und auf dieser Heerstraße fährt eine Eilpost, die
eine deutsche Meile in einer Stunde macht (die Venezianische Eil¬
post, ein Mißklang sür meine Ohren, als sagte man die Athener Om¬
nibus oder die Eisenbahn von Delphi) und in dieser Eilpost sitzen Hand¬
lungsreisende, grade wie in der zwischen der Frankfurter und der Leip¬
ziger Messe. Ach, warum können wir nicht mehr unsre Heldenfahrten
als' Fußgänger fortsetzen! In unsrer Zeit sind Studenten und Fuhr¬
leute allein eines solchen Muthes fähig. Man muß lombardische Heer¬
straßen gesehen haben, um sich einen Begriff von ihrer Monotonie zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/331>, abgerufen am 27.06.2024.