Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.Di" deutsche Monatsschrift. Man hat den deutschen Schriftstellern oft den Vorwurf gemocht, daß sie in'S Di« deutsche Monatsschrift. Man hat den deutschen Schriftstellern oft den Vorwurf gemocht, daß sie in'S <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0052" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266669"/> </div> <div n="3"> <head> Di« deutsche Monatsschrift.</head><lb/> <p xml:id="ID_110" next="#ID_111"> Man hat den deutschen Schriftstellern oft den Vorwurf gemocht, daß sie in'S<lb/> Blaue hinein schwärmen, und die unpraktischsten Ideen von der Welt zu Tage<lb/> fördern. Herr Karl Biedermann gehört nicht zu diesen Ideologen-, er be¬<lb/> faßt sich vielmehr mit den materiellen Interessen aus unmittelbar praktischer<lb/> Nähe und hat, um doch den deutschen Gelehrten nicht zu verleugnen, seine<lb/> utilitarischen Ansichten in ein System gebracht, das er mit vieler Konsequenz<lb/> in seiner „Deutschen Monatsschrift für Literatur und öffentliches Leben"<lb/> durchführt. Diese Monatsschrift ist von Wichtigkeit; sie entwickelt nicht nur<lb/> eine vielseitig anregende und befruchtende Thätigkeit für Alles, was praktische<lb/> Reform ist, sie zeigt auch offen und unverhüllt die Kehrseite des Materialis¬<lb/> mus. Wenn Biedermann den politischen Fortschritt, die Entwicklung freier<lb/> Staatsverfassungen, vom unaufhaltsamen Gang des umpflügenden und associi-<lb/> rcndcn Jndustrialismus erwartet und deshalb geduldiger in sei'n.n Forderungen<lb/> ist, so werden ihm selbst die Liberalen, obgleich unmuthig, Recht geben müsse»;<lb/> wenn er aber andrerseits Philosophie, Poesie und Wissenschaft nur vom Stand¬<lb/> punkt der materiellen Fortschrittsfragc mit haushälterischer Augen betrachtet,<lb/> wenn er noch jetzt nach 300 Jahren der deutschen Reformation einen der eng¬<lb/> lischen ähnlichen Gang geben möchte und, weil dies nicht geht, aus einer<lb/> Trennung von Staat und Kirche besteht, so wird ihm die entgegengesetzte<lb/> Partei mit Recht vorwerfen, daß er keinen, oder nur einen äußerlichen Grund<lb/> habe, sich als nationale Partei hinzustellen. Dieser Widerspruch hängt aber<lb/> mit dem Umstand zusammen, daß Biedermann, bei aller konstitutionellen Mä¬<lb/> ßigung, im Wesentlichen revolutionairer und gewaltsamer ist, als die ent¬<lb/> schiedensten Liberalen, so wie in seiner Indifferenz gegen die speculativ - theolo¬<lb/> gische Lösung uralter Räthsel eine crasserc Negation des Christenthums liegt,<lb/> wie in Strauß, Feuerbach und Bruno Bauer. In der That, was würden Sie<lb/> zu einem Freimuth sagen, der sich also äußerte: Strauß und Feuerbach haben<lb/> ganz Recht, jener geht mir sogar nicht weit genug, allein was haben wir für<lb/> positiven Nutzen davon? Was soll uns die unfruchtbare Erkenntniß ? Gebe»<lb/> wir die Kirche frei, betrachten wir die Religion bloß praktisch, als Cultus,<lb/> und jenes beunruhigende Philosophiren wird von selbst aufhören.— Das hieße,<lb/> noch etwas deutlicher gesprochen: Wir wollen thun, als wüßten wir nicht, was<lb/> wir wissen. Die Wahrheit wollen wir als einen zufälligen Fund, nicht als eine<lb/> nothwendige Frucht des Denkens betrachte» und wen» wir die Frucht vom<lb/> Baum der Erkenntniß nur entschlossen wegwerfe», wird der Baum selbst schon</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0052]
Di« deutsche Monatsschrift.
Man hat den deutschen Schriftstellern oft den Vorwurf gemocht, daß sie in'S
Blaue hinein schwärmen, und die unpraktischsten Ideen von der Welt zu Tage
fördern. Herr Karl Biedermann gehört nicht zu diesen Ideologen-, er be¬
faßt sich vielmehr mit den materiellen Interessen aus unmittelbar praktischer
Nähe und hat, um doch den deutschen Gelehrten nicht zu verleugnen, seine
utilitarischen Ansichten in ein System gebracht, das er mit vieler Konsequenz
in seiner „Deutschen Monatsschrift für Literatur und öffentliches Leben"
durchführt. Diese Monatsschrift ist von Wichtigkeit; sie entwickelt nicht nur
eine vielseitig anregende und befruchtende Thätigkeit für Alles, was praktische
Reform ist, sie zeigt auch offen und unverhüllt die Kehrseite des Materialis¬
mus. Wenn Biedermann den politischen Fortschritt, die Entwicklung freier
Staatsverfassungen, vom unaufhaltsamen Gang des umpflügenden und associi-
rcndcn Jndustrialismus erwartet und deshalb geduldiger in sei'n.n Forderungen
ist, so werden ihm selbst die Liberalen, obgleich unmuthig, Recht geben müsse»;
wenn er aber andrerseits Philosophie, Poesie und Wissenschaft nur vom Stand¬
punkt der materiellen Fortschrittsfragc mit haushälterischer Augen betrachtet,
wenn er noch jetzt nach 300 Jahren der deutschen Reformation einen der eng¬
lischen ähnlichen Gang geben möchte und, weil dies nicht geht, aus einer
Trennung von Staat und Kirche besteht, so wird ihm die entgegengesetzte
Partei mit Recht vorwerfen, daß er keinen, oder nur einen äußerlichen Grund
habe, sich als nationale Partei hinzustellen. Dieser Widerspruch hängt aber
mit dem Umstand zusammen, daß Biedermann, bei aller konstitutionellen Mä¬
ßigung, im Wesentlichen revolutionairer und gewaltsamer ist, als die ent¬
schiedensten Liberalen, so wie in seiner Indifferenz gegen die speculativ - theolo¬
gische Lösung uralter Räthsel eine crasserc Negation des Christenthums liegt,
wie in Strauß, Feuerbach und Bruno Bauer. In der That, was würden Sie
zu einem Freimuth sagen, der sich also äußerte: Strauß und Feuerbach haben
ganz Recht, jener geht mir sogar nicht weit genug, allein was haben wir für
positiven Nutzen davon? Was soll uns die unfruchtbare Erkenntniß ? Gebe»
wir die Kirche frei, betrachten wir die Religion bloß praktisch, als Cultus,
und jenes beunruhigende Philosophiren wird von selbst aufhören.— Das hieße,
noch etwas deutlicher gesprochen: Wir wollen thun, als wüßten wir nicht, was
wir wissen. Die Wahrheit wollen wir als einen zufälligen Fund, nicht als eine
nothwendige Frucht des Denkens betrachte» und wen» wir die Frucht vom
Baum der Erkenntniß nur entschlossen wegwerfe», wird der Baum selbst schon
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