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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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dir Lust verlieren, neue Früchte zu tragen.--So ungefähr spricht Biedermann
in einem Artikel über Strauß und Feuerbach.

Biedermann setzt gleich im Eingang seiner Controverse als ausgemacht,
daß eine Versöhnung zwischen dem Glauben und der modernen Wissen¬
schaft, zwischen der christlichen und speculativen Weltanschauung unmöglich sei,
und zwar, indem er der letztern das Kompliment macht, daß man sie nicht
mehr widerlegen könne. . Dennoch scheint Biedermann zu verlangen, daß
man diese moderne Wissenschaft, obgleich oder vielmehr, weil sie gegen den posi¬
tiven Glauben im Rechte sei, mit Gewalt besiege, d. h. verwerfe. Denn in¬
dem er anerkennt, "daß die Strauß-Feuerbach'sche Richtung das unvermeid¬
liche Ergebniß des PhilosophirenS selbst und zwar des gründlichsten und
konsequentesten PhilosophirenS ist," wessen kann er die Philosophie noch ankla-
klagcn alö ihrer Existenz überhaupt'! Hier müßte er konsequenter Weise die
Akten schließen; der Poet, Phantasie- und Gefühlsmensch wird, auf diesem
Standpunkt angekommen, vielleicht seine Klage erheben über das Unglück des
menschlichen Geistes, der so traurige Siege erkämpft, der im Triumph des
Wissens zugleich den Untergang seiner glücklichen Kindheit, seiner naiven An¬
schauung feiert; und wer weiß, ob selbst diese Klage nicht blos von den Lippen
poetischer Schwächlinge ertönen wird? Aber selbst der Gefühlsmensch wird
jedenfalls einsehen, daß eine Wahrheit, einmal als Wahrheit erkannt, so wenig
sich vergesse" und beseitigen, als etwas Geschehenes ungeschehen machen läßt.
Hr. Biedermann aber gründet darauf eine radicale Polemik gegen das An"
sehen der speculativen Wissenschaft, gegen die Einbildung, als habe man ihr
irgend etwas zu verdanken. Und indem er dies beweisen will, beweist er wieder
blos ihre Begründung im Leben; denn er bestreitet ihr nicht den Werth der
freien Forschung, sondern das Verdienst der Initiative, wenn er fragt: (S.26.
"Hat nicht vielmehr der unwiderstehlich hervorbrechende Trieb nach empirischem
Wissen und nach praktischer Gewerbthätigkeit den ersten Anlaß zum freien
Forschen gegeben"!" und wenn er sich auf Strauß' Worte beruft- "haß die
mannichfachen Einwirkungen der Physik, Geographie, Astronomie u. s. w. es
waren, welche die biblischen und kirchlichen Vorstellungen von Himmel und
Erde, Gott und Schöpfung nach und nach in die Gestalt gebracht haben, in
welcher sie im philosophisch gebildeten Bewußtsein unserer Zeit vorhanden
sind." Ja, nachdem Hr. Biederm-", auch Hugo Grotius' vernunftmäßige Be¬
gründung des socialen Rechtes und zuletzt selbst die Reformation auf seine ma¬
teriellen Interessen zurückgeführt hat, schließt er- "Jene positiven Resultate,
welche die Philosophie für die Resultate ihrer Dialektik, ihrer Opposition gegen


dir Lust verlieren, neue Früchte zu tragen.—So ungefähr spricht Biedermann
in einem Artikel über Strauß und Feuerbach.

Biedermann setzt gleich im Eingang seiner Controverse als ausgemacht,
daß eine Versöhnung zwischen dem Glauben und der modernen Wissen¬
schaft, zwischen der christlichen und speculativen Weltanschauung unmöglich sei,
und zwar, indem er der letztern das Kompliment macht, daß man sie nicht
mehr widerlegen könne. . Dennoch scheint Biedermann zu verlangen, daß
man diese moderne Wissenschaft, obgleich oder vielmehr, weil sie gegen den posi¬
tiven Glauben im Rechte sei, mit Gewalt besiege, d. h. verwerfe. Denn in¬
dem er anerkennt, „daß die Strauß-Feuerbach'sche Richtung das unvermeid¬
liche Ergebniß des PhilosophirenS selbst und zwar des gründlichsten und
konsequentesten PhilosophirenS ist," wessen kann er die Philosophie noch ankla-
klagcn alö ihrer Existenz überhaupt'! Hier müßte er konsequenter Weise die
Akten schließen; der Poet, Phantasie- und Gefühlsmensch wird, auf diesem
Standpunkt angekommen, vielleicht seine Klage erheben über das Unglück des
menschlichen Geistes, der so traurige Siege erkämpft, der im Triumph des
Wissens zugleich den Untergang seiner glücklichen Kindheit, seiner naiven An¬
schauung feiert; und wer weiß, ob selbst diese Klage nicht blos von den Lippen
poetischer Schwächlinge ertönen wird? Aber selbst der Gefühlsmensch wird
jedenfalls einsehen, daß eine Wahrheit, einmal als Wahrheit erkannt, so wenig
sich vergesse» und beseitigen, als etwas Geschehenes ungeschehen machen läßt.
Hr. Biedermann aber gründet darauf eine radicale Polemik gegen das An»
sehen der speculativen Wissenschaft, gegen die Einbildung, als habe man ihr
irgend etwas zu verdanken. Und indem er dies beweisen will, beweist er wieder
blos ihre Begründung im Leben; denn er bestreitet ihr nicht den Werth der
freien Forschung, sondern das Verdienst der Initiative, wenn er fragt: (S.26.
„Hat nicht vielmehr der unwiderstehlich hervorbrechende Trieb nach empirischem
Wissen und nach praktischer Gewerbthätigkeit den ersten Anlaß zum freien
Forschen gegeben"!" und wenn er sich auf Strauß' Worte beruft- „haß die
mannichfachen Einwirkungen der Physik, Geographie, Astronomie u. s. w. es
waren, welche die biblischen und kirchlichen Vorstellungen von Himmel und
Erde, Gott und Schöpfung nach und nach in die Gestalt gebracht haben, in
welcher sie im philosophisch gebildeten Bewußtsein unserer Zeit vorhanden
sind." Ja, nachdem Hr. Biederm-», auch Hugo Grotius' vernunftmäßige Be¬
gründung des socialen Rechtes und zuletzt selbst die Reformation auf seine ma¬
teriellen Interessen zurückgeführt hat, schließt er- „Jene positiven Resultate,
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[0053] dir Lust verlieren, neue Früchte zu tragen.—So ungefähr spricht Biedermann in einem Artikel über Strauß und Feuerbach. Biedermann setzt gleich im Eingang seiner Controverse als ausgemacht, daß eine Versöhnung zwischen dem Glauben und der modernen Wissen¬ schaft, zwischen der christlichen und speculativen Weltanschauung unmöglich sei, und zwar, indem er der letztern das Kompliment macht, daß man sie nicht mehr widerlegen könne. . Dennoch scheint Biedermann zu verlangen, daß man diese moderne Wissenschaft, obgleich oder vielmehr, weil sie gegen den posi¬ tiven Glauben im Rechte sei, mit Gewalt besiege, d. h. verwerfe. Denn in¬ dem er anerkennt, „daß die Strauß-Feuerbach'sche Richtung das unvermeid¬ liche Ergebniß des PhilosophirenS selbst und zwar des gründlichsten und konsequentesten PhilosophirenS ist," wessen kann er die Philosophie noch ankla- klagcn alö ihrer Existenz überhaupt'! Hier müßte er konsequenter Weise die Akten schließen; der Poet, Phantasie- und Gefühlsmensch wird, auf diesem Standpunkt angekommen, vielleicht seine Klage erheben über das Unglück des menschlichen Geistes, der so traurige Siege erkämpft, der im Triumph des Wissens zugleich den Untergang seiner glücklichen Kindheit, seiner naiven An¬ schauung feiert; und wer weiß, ob selbst diese Klage nicht blos von den Lippen poetischer Schwächlinge ertönen wird? Aber selbst der Gefühlsmensch wird jedenfalls einsehen, daß eine Wahrheit, einmal als Wahrheit erkannt, so wenig sich vergesse» und beseitigen, als etwas Geschehenes ungeschehen machen läßt. Hr. Biedermann aber gründet darauf eine radicale Polemik gegen das An» sehen der speculativen Wissenschaft, gegen die Einbildung, als habe man ihr irgend etwas zu verdanken. Und indem er dies beweisen will, beweist er wieder blos ihre Begründung im Leben; denn er bestreitet ihr nicht den Werth der freien Forschung, sondern das Verdienst der Initiative, wenn er fragt: (S.26. „Hat nicht vielmehr der unwiderstehlich hervorbrechende Trieb nach empirischem Wissen und nach praktischer Gewerbthätigkeit den ersten Anlaß zum freien Forschen gegeben"!" und wenn er sich auf Strauß' Worte beruft- „haß die mannichfachen Einwirkungen der Physik, Geographie, Astronomie u. s. w. es waren, welche die biblischen und kirchlichen Vorstellungen von Himmel und Erde, Gott und Schöpfung nach und nach in die Gestalt gebracht haben, in welcher sie im philosophisch gebildeten Bewußtsein unserer Zeit vorhanden sind." Ja, nachdem Hr. Biederm-», auch Hugo Grotius' vernunftmäßige Be¬ gründung des socialen Rechtes und zuletzt selbst die Reformation auf seine ma¬ teriellen Interessen zurückgeführt hat, schließt er- „Jene positiven Resultate, welche die Philosophie für die Resultate ihrer Dialektik, ihrer Opposition gegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/53>, abgerufen am 18.06.2024.