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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Briefe aus Se. Petersburg.



Stillschweigen über die Jubiläumsfcstlichkeitcn und dessen Ursachen. -- Der
Kaiser und seine mehrfache russische Benennung. -- Russische Generale.
-- Die Kaiserin Mutter. -- Erziehung und Vermählung des jetzigen
Kaisers. -- Seine Persönlichkeit und sein entsprechender Charakter. --
Gegensatz zu Alexander. -- Verschwörung bei Nicolaus' Thronbesteigung.
-- Kaukasus und Algier. -- Russische Verschwörungen und constitutionelle
Wo ksausstände. -- Tod des Herzogs von Orleans, -- Bedeutung der
zwölftägigen Hoftrauer.

Man scheint überall in Erstaunen und Verwunderung darüber
gerathen zu sein, daß die Petersburger Journale bei Gelegenheit der
Jubiläumsfeste vom Ü3ten Juli ein solches Stillschweigen beobachtet
haben. Man frug sich überall: was soll das bedeuten? Und da
man sich hierauf keine befriedigende, thatsächliche Antwort geben
konnte, so griff man -- besonders in englischen Journalen -- zu"
nächst nach der Vermuthung einer Verschwörung. Man schob die
Ursache auf die Unzufriedenheit des Adels und auf den mißvergnüg¬
ten Senat.

Eine Unzufriedenheit kann aber in Rußland nicht zu einer öf¬
fentlichen Offenbarung kommen, am allerwenigsten wagt sie es, sich
bei einer feierlichen Gelegenheit kund zu geben: sie kann nicht ein¬
mal aus den Mauern des Palastes hinaustreten, denn alsdann
würde sie eine Empörung und als solche wäre sie in den Augen
des Volkes selbst ein unverzeihliches Verbrechen. Niemand hat das
Recht, mit dem Hossudar (dem obersten Richter) unzufrieden zu


Briefe aus Se. Petersburg.



Stillschweigen über die Jubiläumsfcstlichkeitcn und dessen Ursachen. — Der
Kaiser und seine mehrfache russische Benennung. — Russische Generale.
— Die Kaiserin Mutter. — Erziehung und Vermählung des jetzigen
Kaisers. — Seine Persönlichkeit und sein entsprechender Charakter. —
Gegensatz zu Alexander. — Verschwörung bei Nicolaus' Thronbesteigung.
— Kaukasus und Algier. — Russische Verschwörungen und constitutionelle
Wo ksausstände. — Tod des Herzogs von Orleans, — Bedeutung der
zwölftägigen Hoftrauer.

Man scheint überall in Erstaunen und Verwunderung darüber
gerathen zu sein, daß die Petersburger Journale bei Gelegenheit der
Jubiläumsfeste vom Ü3ten Juli ein solches Stillschweigen beobachtet
haben. Man frug sich überall: was soll das bedeuten? Und da
man sich hierauf keine befriedigende, thatsächliche Antwort geben
konnte, so griff man — besonders in englischen Journalen — zu«
nächst nach der Vermuthung einer Verschwörung. Man schob die
Ursache auf die Unzufriedenheit des Adels und auf den mißvergnüg¬
ten Senat.

Eine Unzufriedenheit kann aber in Rußland nicht zu einer öf¬
fentlichen Offenbarung kommen, am allerwenigsten wagt sie es, sich
bei einer feierlichen Gelegenheit kund zu geben: sie kann nicht ein¬
mal aus den Mauern des Palastes hinaustreten, denn alsdann
würde sie eine Empörung und als solche wäre sie in den Augen
des Volkes selbst ein unverzeihliches Verbrechen. Niemand hat das
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[0338] Briefe aus Se. Petersburg. Stillschweigen über die Jubiläumsfcstlichkeitcn und dessen Ursachen. — Der Kaiser und seine mehrfache russische Benennung. — Russische Generale. — Die Kaiserin Mutter. — Erziehung und Vermählung des jetzigen Kaisers. — Seine Persönlichkeit und sein entsprechender Charakter. — Gegensatz zu Alexander. — Verschwörung bei Nicolaus' Thronbesteigung. — Kaukasus und Algier. — Russische Verschwörungen und constitutionelle Wo ksausstände. — Tod des Herzogs von Orleans, — Bedeutung der zwölftägigen Hoftrauer. Man scheint überall in Erstaunen und Verwunderung darüber gerathen zu sein, daß die Petersburger Journale bei Gelegenheit der Jubiläumsfeste vom Ü3ten Juli ein solches Stillschweigen beobachtet haben. Man frug sich überall: was soll das bedeuten? Und da man sich hierauf keine befriedigende, thatsächliche Antwort geben konnte, so griff man — besonders in englischen Journalen — zu« nächst nach der Vermuthung einer Verschwörung. Man schob die Ursache auf die Unzufriedenheit des Adels und auf den mißvergnüg¬ ten Senat. Eine Unzufriedenheit kann aber in Rußland nicht zu einer öf¬ fentlichen Offenbarung kommen, am allerwenigsten wagt sie es, sich bei einer feierlichen Gelegenheit kund zu geben: sie kann nicht ein¬ mal aus den Mauern des Palastes hinaustreten, denn alsdann würde sie eine Empörung und als solche wäre sie in den Augen des Volkes selbst ein unverzeihliches Verbrechen. Niemand hat das Recht, mit dem Hossudar (dem obersten Richter) unzufrieden zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/338>, abgerufen am 26.06.2024.