Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

man sie nicht anzuwenden denkt. Eine Drohung, die man nicht ausführen
wird, ist bekanntlich sehr unpolitisch. Solche unvorsichtige Demonstrationen,
die nur das Mißtrauen in die Absichten der Regierungen anfachen, sind das
projectirte Eheschcidungsgcsetz, die Judencorporationen und selbst der Proceß
gegen Jacob". Man wird diesen eben so wenig auf die Festung schicken, als
man neue Judengassen mit Thoren und Fallgattern bauen oder unglückliche
Ehen dadurch zu glücklichen machen wird, daß man die unzufriedenen Eheleute
zwingt, sacramentsmäfiig beisammen zu bleiben. Dergleichen unhistorische, un¬
geheuerliche Mißgeburten mit langen Ohren und Fledermausflügeln sollte man,
wenn sie schon das Licht der Welt erblicken, geschwind und in aller Stille
begraben, nicht aber erst alle Gevattern und Basen zur Besichtigung laden.
Hier dürste man doch einmal an Gellert's Fabel von der Frau Orgon
denken.

Hauptsächlich aber ist es zu beklagen, daß sich die Regierung oder wenig¬
stens ein Theil derselben, das Kultusministerium, den Anschein gibt, als>höle bei
dem Streite der extremen, religiös-philosophischen Richtungen Partei nähme.
So ist sie in den Verdacht gekommen, daß sie dem Predigcrhülföverein Vor¬
schub leiste, der -- nach Art der Gcsmdcvcrmicther -- bekannt gemacht hat,
er könne die Vcnöthigtcn mit "frommen" Candidaten versorgen; daß sie
bei Verleihung von Gymnasiallehrer - und anderen Stellen vorzugsweise
"fromme" Candidaten begünstigen und so diese, meist armen jungen Leute der
Versuchung aussetzen wolle, aus Rücksicht auf ihr materielles Fortkommen zu
Heuchlern zu werden. Hoffentlich werden alle diese spukhaften Nebel und feuch¬
ten Sumpflüste vor einem kecken Windstoß und einem gnädigen Sonnenstrahl
verschwinden! ob sich nur bis dahin die öffentliche Meinung nicht ein wenig
erkältet haben wird'! --




3.
Aus Berlin.

Philvsl-pyische Wunderkinder -- Die Augsburger. -- W. v, Humboldt und Philaritc
ClMcS.

- ----Man hat mathematische Wunderkinder, Knaben von zwölf
Jahren, welche die schwierigsten Rechnungs-Aufgaben lösen: aber philosophische
Wunderknaben hatten wir bisher noch nicht. Noch drückte sich kein Kind in
einem naiven Tagebuch, wie Kant und Hegel aus. Dieß ist es, was der


man sie nicht anzuwenden denkt. Eine Drohung, die man nicht ausführen
wird, ist bekanntlich sehr unpolitisch. Solche unvorsichtige Demonstrationen,
die nur das Mißtrauen in die Absichten der Regierungen anfachen, sind das
projectirte Eheschcidungsgcsetz, die Judencorporationen und selbst der Proceß
gegen Jacob». Man wird diesen eben so wenig auf die Festung schicken, als
man neue Judengassen mit Thoren und Fallgattern bauen oder unglückliche
Ehen dadurch zu glücklichen machen wird, daß man die unzufriedenen Eheleute
zwingt, sacramentsmäfiig beisammen zu bleiben. Dergleichen unhistorische, un¬
geheuerliche Mißgeburten mit langen Ohren und Fledermausflügeln sollte man,
wenn sie schon das Licht der Welt erblicken, geschwind und in aller Stille
begraben, nicht aber erst alle Gevattern und Basen zur Besichtigung laden.
Hier dürste man doch einmal an Gellert's Fabel von der Frau Orgon
denken.

Hauptsächlich aber ist es zu beklagen, daß sich die Regierung oder wenig¬
stens ein Theil derselben, das Kultusministerium, den Anschein gibt, als>höle bei
dem Streite der extremen, religiös-philosophischen Richtungen Partei nähme.
So ist sie in den Verdacht gekommen, daß sie dem Predigcrhülföverein Vor¬
schub leiste, der — nach Art der Gcsmdcvcrmicther — bekannt gemacht hat,
er könne die Vcnöthigtcn mit „frommen" Candidaten versorgen; daß sie
bei Verleihung von Gymnasiallehrer - und anderen Stellen vorzugsweise
„fromme" Candidaten begünstigen und so diese, meist armen jungen Leute der
Versuchung aussetzen wolle, aus Rücksicht auf ihr materielles Fortkommen zu
Heuchlern zu werden. Hoffentlich werden alle diese spukhaften Nebel und feuch¬
ten Sumpflüste vor einem kecken Windstoß und einem gnädigen Sonnenstrahl
verschwinden! ob sich nur bis dahin die öffentliche Meinung nicht ein wenig
erkältet haben wird'! —




3.
Aus Berlin.

Philvsl-pyische Wunderkinder — Die Augsburger. — W. v, Humboldt und Philaritc
ClMcS.

- —--Man hat mathematische Wunderkinder, Knaben von zwölf
Jahren, welche die schwierigsten Rechnungs-Aufgaben lösen: aber philosophische
Wunderknaben hatten wir bisher noch nicht. Noch drückte sich kein Kind in
einem naiven Tagebuch, wie Kant und Hegel aus. Dieß ist es, was der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0300" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266917"/>
            <p xml:id="ID_792" prev="#ID_791"> man sie nicht anzuwenden denkt. Eine Drohung, die man nicht ausführen<lb/>
wird, ist bekanntlich sehr unpolitisch. Solche unvorsichtige Demonstrationen,<lb/>
die nur das Mißtrauen in die Absichten der Regierungen anfachen, sind das<lb/>
projectirte Eheschcidungsgcsetz, die Judencorporationen und selbst der Proceß<lb/>
gegen Jacob». Man wird diesen eben so wenig auf die Festung schicken, als<lb/>
man neue Judengassen mit Thoren und Fallgattern bauen oder unglückliche<lb/>
Ehen dadurch zu glücklichen machen wird, daß man die unzufriedenen Eheleute<lb/>
zwingt, sacramentsmäfiig beisammen zu bleiben. Dergleichen unhistorische, un¬<lb/>
geheuerliche Mißgeburten mit langen Ohren und Fledermausflügeln sollte man,<lb/>
wenn sie schon das Licht der Welt erblicken, geschwind und in aller Stille<lb/>
begraben, nicht aber erst alle Gevattern und Basen zur Besichtigung laden.<lb/>
Hier dürste man doch einmal an Gellert's Fabel von der Frau Orgon<lb/>
denken.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_793"> Hauptsächlich aber ist es zu beklagen, daß sich die Regierung oder wenig¬<lb/>
stens ein Theil derselben, das Kultusministerium, den Anschein gibt, als&gt;höle bei<lb/>
dem Streite der extremen, religiös-philosophischen Richtungen Partei nähme.<lb/>
So ist sie in den Verdacht gekommen, daß sie dem Predigcrhülföverein Vor¬<lb/>
schub leiste, der &#x2014; nach Art der Gcsmdcvcrmicther &#x2014; bekannt gemacht hat,<lb/>
er könne die Vcnöthigtcn mit &#x201E;frommen" Candidaten versorgen; daß sie<lb/>
bei Verleihung von Gymnasiallehrer - und anderen Stellen vorzugsweise<lb/>
&#x201E;fromme" Candidaten begünstigen und so diese, meist armen jungen Leute der<lb/>
Versuchung aussetzen wolle, aus Rücksicht auf ihr materielles Fortkommen zu<lb/>
Heuchlern zu werden. Hoffentlich werden alle diese spukhaften Nebel und feuch¬<lb/>
ten Sumpflüste vor einem kecken Windstoß und einem gnädigen Sonnenstrahl<lb/>
verschwinden! ob sich nur bis dahin die öffentliche Meinung nicht ein wenig<lb/>
erkältet haben wird'! &#x2014;</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> 3.<lb/>
Aus Berlin.</head><lb/>
            <note type="argument"> Philvsl-pyische Wunderkinder &#x2014; Die Augsburger. &#x2014; W. v, Humboldt und Philaritc<lb/>
ClMcS.</note><lb/>
            <p xml:id="ID_794" next="#ID_795"> - &#x2014;--Man hat mathematische Wunderkinder, Knaben von zwölf<lb/>
Jahren, welche die schwierigsten Rechnungs-Aufgaben lösen: aber philosophische<lb/>
Wunderknaben hatten wir bisher noch nicht. Noch drückte sich kein Kind in<lb/>
einem naiven Tagebuch, wie Kant und Hegel aus. Dieß ist es, was der</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0300] man sie nicht anzuwenden denkt. Eine Drohung, die man nicht ausführen wird, ist bekanntlich sehr unpolitisch. Solche unvorsichtige Demonstrationen, die nur das Mißtrauen in die Absichten der Regierungen anfachen, sind das projectirte Eheschcidungsgcsetz, die Judencorporationen und selbst der Proceß gegen Jacob». Man wird diesen eben so wenig auf die Festung schicken, als man neue Judengassen mit Thoren und Fallgattern bauen oder unglückliche Ehen dadurch zu glücklichen machen wird, daß man die unzufriedenen Eheleute zwingt, sacramentsmäfiig beisammen zu bleiben. Dergleichen unhistorische, un¬ geheuerliche Mißgeburten mit langen Ohren und Fledermausflügeln sollte man, wenn sie schon das Licht der Welt erblicken, geschwind und in aller Stille begraben, nicht aber erst alle Gevattern und Basen zur Besichtigung laden. Hier dürste man doch einmal an Gellert's Fabel von der Frau Orgon denken. Hauptsächlich aber ist es zu beklagen, daß sich die Regierung oder wenig¬ stens ein Theil derselben, das Kultusministerium, den Anschein gibt, als>höle bei dem Streite der extremen, religiös-philosophischen Richtungen Partei nähme. So ist sie in den Verdacht gekommen, daß sie dem Predigcrhülföverein Vor¬ schub leiste, der — nach Art der Gcsmdcvcrmicther — bekannt gemacht hat, er könne die Vcnöthigtcn mit „frommen" Candidaten versorgen; daß sie bei Verleihung von Gymnasiallehrer - und anderen Stellen vorzugsweise „fromme" Candidaten begünstigen und so diese, meist armen jungen Leute der Versuchung aussetzen wolle, aus Rücksicht auf ihr materielles Fortkommen zu Heuchlern zu werden. Hoffentlich werden alle diese spukhaften Nebel und feuch¬ ten Sumpflüste vor einem kecken Windstoß und einem gnädigen Sonnenstrahl verschwinden! ob sich nur bis dahin die öffentliche Meinung nicht ein wenig erkältet haben wird'! — 3. Aus Berlin. Philvsl-pyische Wunderkinder — Die Augsburger. — W. v, Humboldt und Philaritc ClMcS. - —--Man hat mathematische Wunderkinder, Knaben von zwölf Jahren, welche die schwierigsten Rechnungs-Aufgaben lösen: aber philosophische Wunderknaben hatten wir bisher noch nicht. Noch drückte sich kein Kind in einem naiven Tagebuch, wie Kant und Hegel aus. Dieß ist es, was der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/300
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/300>, abgerufen am 26.06.2024.