Dem Vernünft'gen sind Lockspeise Schedschaai's Gedichte, Hundert Vögel wie ich fliegen begierig darauf. Geh mein Gedicht und küss' vor dem Herrn die Erde und sag' ihm: Du, die Tugend der Zeit, Tugendepoche bist du.
Einrede.
Um uns nun über das Verhältniss der Despoten zu den Ihrigen, und wiefern es noch menschlich sey, einigermassen aufzu- klären, auch uns über das knechtische Ver- fahren der Dichter vielleicht zu beruhigen, möge eine und die andere Stelle hier eige- schaltet seyn, welche Zeugniss giebt wie Geschichts- und Weltkenner hierüber geur- theilt. Ein bedächtiger Engländer drückt sich folgendermassen aus:
"Unumschränkte Gewalt, welche in Europa, durch Gewohnheiten und Umsicht einer gebildeten Zeit, zu gemässigten Re- gierungen gesänftiget wird, behält bey Asia-
Dem Vernünft’gen sind Lockspeise Schedschaai’s Gedichte, Hundert Vögel wie ich fliegen begierig darauf. Geh mein Gedicht und küſs’ vor dem Herrn die Erde und sag’ ihm: Du, die Tugend der Zeit, Tugendepoche bist du.
Einrede.
Um uns nun über das Verhältniſs der Despoten zu den Ihrigen, und wiefern es noch menschlich sey, einigermaſsen aufzu- klären, auch uns über das knechtische Ver- fahren der Dichter vielleicht zu beruhigen, möge eine und die andere Stelle hier eige- schaltet seyn, welche Zeugniſs giebt wie Geschichts- und Weltkenner hierüber geur- theilt. Ein bedächtiger Engländer drückt sich folgendermaſsen aus:
„Unumschränkte Gewalt, welche in Europa, durch Gewohnheiten und Umsicht einer gebildeten Zeit, zu gemäſsigten Re- gierungen gesänftiget wird, behält bey Asia-
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Dem Vernünft’gen sind Lockspeise Schedschaai’s
Gedichte,
Hundert Vögel wie ich fliegen begierig darauf.
Geh mein Gedicht und küſs’ vor dem Herrn die
Erde und sag’ ihm:
Du, die Tugend der Zeit, Tugendepoche bist du.
Einrede.
Um uns nun über das Verhältniſs der
Despoten zu den Ihrigen, und wiefern es
noch menschlich sey, einigermaſsen aufzu-
klären, auch uns über das knechtische Ver-
fahren der Dichter vielleicht zu beruhigen,
möge eine und die andere Stelle hier eige-
schaltet seyn, welche Zeugniſs giebt wie
Geschichts- und Weltkenner hierüber geur-
theilt. Ein bedächtiger Engländer drückt
sich folgendermaſsen aus:
„Unumschränkte Gewalt, welche in
Europa, durch Gewohnheiten und Umsicht
einer gebildeten Zeit, zu gemäſsigten Re-
gierungen gesänftiget wird, behält bey Asia-
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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/355>, abgerufen am 03.12.2024.
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