Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

bach 2, 12-14); so die Fieber, welche, wie es scheint, durch das Klima hervorgerufen am Orinoko epidemisch sind (Humboldt b 4, 215), so und vor allen jene berüchtigte mexikanische Krankheit, Matlazahuatl von den Eingeborenen genannt, ein furchtbares, dem gelben Fieber verwandtes Gallenfieber mit Blutbrechen, das schon lange vor Cortes Ankunft in Mexiko, ja wohl schon im 11. Jahrhundert unter den Tolteken, die damals noch in Nordamerika waren, herrschte (Humboldt a 4, 379), wie sich denn überhaupt die Krankheit mit Leichtigkeit in die kalte Zone verpflanzt und ihr "die kupferfarbige Race in beiden amerikanischen Hälften seit undenklichen Zeiten unterworfen ist" (eb. 380). Wie furchtbar aber diese Krankheit wüthete, geht aus den Zahlen hervor, welche Torquemada für die beiden Epidemien 1545 und 1576 angibt: 1545 sollen 800,000, 1576 zwei Millionen Indianer gestorben sein (Humboldt a 1, 97). Mag auch Humboldt, obgleich er sich verwahrt, Torquemadas Glaubwürdigkeit anzuzweifeln, Recht haben -- und er hat es gewiss -- dass diese Zahlen nur auf ungefährer und ungenauer, vielleicht übertriebener Schätzung beruhen: auch wenn wir die Ziffern halbiren, welch furchtbarer Verlust an Menschenleben bleibt immer noch! Humboldt meint (a.a.O.), dass auch diese Krankheit sich alle hundert Jahre einmal zeige: da er aber 4, 379 die Jahre 1545, 1576, 1736, 1761 und 1762 als Jahre, worin die Krankheit wüthete, aufstellt, so ist, wenn anders die Periodicität dieser Krankheit richtig ist, ihr Erscheinen in den einzelnen Jahren dann auf Stämme und Landschaften eingeschränkt, welche sie früher nicht hatten.

Einen Hauptgrund für die furchtbare Wirksamkeit solcher eingeschleppter Krankheiten, auf den wir später zurückkommen, führt Humboldt an, wenn er a 4, 410-11 sagt: "Die Niedergeschlagenheit des Geistes und die Furcht vermehren natürlich die Prädisposition der Organe, um die Miasmen aufzunehmen; daher es kein Wunder ist, wenn solche Epidemien namentlich dann besonders heftig sind, wenn sie von siegreichen Eroberern eingeschleppt werden."



§ 4. Behandlung der Kranken bei den Naturvölkern.

Alle diese Krankheiten nun, welche den Naturvölkern durch die eigene Natur derselben gefährlich genug waren, wurden es noch mehr durch die ganz verkehrte Art, mit der jene Völker Krankheiten behandelten. Die Syphilis ward dadurch so gefährlich in Polynesien, dass man sich theils gar nicht um sie kümmerte, theils aber, wenn man es that, das Uebel nur vermehrte. So glaubte man in dem berauschenden Kavatrank, der aus den Wurzeln des Piper

bach 2, 12-14); so die Fieber, welche, wie es scheint, durch das Klima hervorgerufen am Orinoko epidemisch sind (Humboldt b 4, 215), so und vor allen jene berüchtigte mexikanische Krankheit, Matlazahuatl von den Eingeborenen genannt, ein furchtbares, dem gelben Fieber verwandtes Gallenfieber mit Blutbrechen, das schon lange vor Cortes Ankunft in Mexiko, ja wohl schon im 11. Jahrhundert unter den Tolteken, die damals noch in Nordamerika waren, herrschte (Humboldt a 4, 379), wie sich denn überhaupt die Krankheit mit Leichtigkeit in die kalte Zone verpflanzt und ihr »die kupferfarbige Raçe in beiden amerikanischen Hälften seit undenklichen Zeiten unterworfen ist« (eb. 380). Wie furchtbar aber diese Krankheit wüthete, geht aus den Zahlen hervor, welche Torquemada für die beiden Epidemien 1545 und 1576 angibt: 1545 sollen 800,000, 1576 zwei Millionen Indianer gestorben sein (Humboldt a 1, 97). Mag auch Humboldt, obgleich er sich verwahrt, Torquemadas Glaubwürdigkeit anzuzweifeln, Recht haben — und er hat es gewiss — dass diese Zahlen nur auf ungefährer und ungenauer, vielleicht übertriebener Schätzung beruhen: auch wenn wir die Ziffern halbiren, welch furchtbarer Verlust an Menschenleben bleibt immer noch! Humboldt meint (a.a.O.), dass auch diese Krankheit sich alle hundert Jahre einmal zeige: da er aber 4, 379 die Jahre 1545, 1576, 1736, 1761 und 1762 als Jahre, worin die Krankheit wüthete, aufstellt, so ist, wenn anders die Periodicität dieser Krankheit richtig ist, ihr Erscheinen in den einzelnen Jahren dann auf Stämme und Landschaften eingeschränkt, welche sie früher nicht hatten.

Einen Hauptgrund für die furchtbare Wirksamkeit solcher eingeschleppter Krankheiten, auf den wir später zurückkommen, führt Humboldt an, wenn er a 4, 410-11 sagt: »Die Niedergeschlagenheit des Geistes und die Furcht vermehren natürlich die Prädisposition der Organe, um die Miasmen aufzunehmen; daher es kein Wunder ist, wenn solche Epidemien namentlich dann besonders heftig sind, wenn sie von siegreichen Eroberern eingeschleppt werden.«



§ 4. Behandlung der Kranken bei den Naturvölkern.

Alle diese Krankheiten nun, welche den Naturvölkern durch die eigene Natur derselben gefährlich genug waren, wurden es noch mehr durch die ganz verkehrte Art, mit der jene Völker Krankheiten behandelten. Die Syphilis ward dadurch so gefährlich in Polynesien, dass man sich theils gar nicht um sie kümmerte, theils aber, wenn man es that, das Uebel nur vermehrte. So glaubte man in dem berauschenden Kavatrank, der aus den Wurzeln des Piper

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0032"/>
bach 2, 12-14); so die Fieber, welche, wie es scheint,
 durch das Klima hervorgerufen am Orinoko epidemisch sind (Humboldt
 b 4, 215), so und vor allen jene berüchtigte mexikanische
 Krankheit, Matlazahuatl von den Eingeborenen genannt, ein
 furchtbares, dem gelben Fieber verwandtes Gallenfieber mit
 Blutbrechen, das schon lange vor Cortes Ankunft in Mexiko, ja wohl
 schon im 11. Jahrhundert unter den Tolteken, die damals noch in
 Nordamerika waren, herrschte (Humboldt a 4, 379), wie sich denn
 überhaupt die Krankheit mit Leichtigkeit in die kalte Zone
 verpflanzt und ihr »die kupferfarbige Raçe in beiden
 amerikanischen Hälften seit undenklichen Zeiten unterworfen
 ist« (eb. 380). Wie furchtbar aber diese Krankheit
 wüthete, geht aus den Zahlen hervor, welche Torquemada
 für die beiden Epidemien 1545 und 1576 angibt: 1545 sollen
 800,000, 1576 zwei Millionen Indianer gestorben sein (Humboldt a 1,
 97). Mag auch Humboldt, obgleich er sich verwahrt, Torquemadas
 Glaubwürdigkeit anzuzweifeln, Recht haben &#x2014; und er hat
 es gewiss &#x2014; dass diese Zahlen nur auf ungefährer und
 ungenauer, vielleicht übertriebener Schätzung beruhen:
 auch wenn wir die Ziffern halbiren, welch furchtbarer Verlust an
 Menschenleben bleibt immer noch! Humboldt meint (a.a.O.), dass auch
 diese Krankheit sich alle hundert Jahre einmal zeige: da er aber 4,
 379 die Jahre 1545, 1576, 1736, 1761 und 1762 als Jahre, worin die
 Krankheit wüthete, aufstellt, so ist, wenn anders die
 Periodicität dieser Krankheit richtig ist, ihr Erscheinen in
 den einzelnen Jahren dann auf Stämme und Landschaften
 eingeschränkt, welche sie früher nicht hatten.</p>
        <p>Einen Hauptgrund für die furchtbare Wirksamkeit solcher
 eingeschleppter Krankheiten, auf den wir später
 zurückkommen, führt Humboldt an, wenn er a 4, 410-11
 sagt: »Die Niedergeschlagenheit des Geistes und die Furcht
 vermehren natürlich die Prädisposition der Organe, um die
 Miasmen aufzunehmen; daher es kein Wunder ist, wenn solche
 Epidemien namentlich dann besonders heftig sind, wenn sie von
 siegreichen Eroberern eingeschleppt werden.«</p>
      </div>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div n="1">
        <head>§ 4. <hi rendition="#i"><hi rendition="#i">Behandlung der Kranken bei den Naturvölkern.</hi></hi></head><lb/>
        <p>Alle diese Krankheiten nun, welche den Naturvölkern durch
 die eigene Natur derselben gefährlich genug waren, wurden es
 noch mehr durch die ganz verkehrte Art, mit der jene Völker
 Krankheiten behandelten. Die Syphilis ward dadurch so
 gefährlich in Polynesien, dass man sich theils gar nicht um
 sie kümmerte, theils aber, wenn man es that, das Uebel nur
 vermehrte. So glaubte man in dem berauschenden Kavatrank, der aus
 den Wurzeln des Piper
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0032] bach 2, 12-14); so die Fieber, welche, wie es scheint, durch das Klima hervorgerufen am Orinoko epidemisch sind (Humboldt b 4, 215), so und vor allen jene berüchtigte mexikanische Krankheit, Matlazahuatl von den Eingeborenen genannt, ein furchtbares, dem gelben Fieber verwandtes Gallenfieber mit Blutbrechen, das schon lange vor Cortes Ankunft in Mexiko, ja wohl schon im 11. Jahrhundert unter den Tolteken, die damals noch in Nordamerika waren, herrschte (Humboldt a 4, 379), wie sich denn überhaupt die Krankheit mit Leichtigkeit in die kalte Zone verpflanzt und ihr »die kupferfarbige Raçe in beiden amerikanischen Hälften seit undenklichen Zeiten unterworfen ist« (eb. 380). Wie furchtbar aber diese Krankheit wüthete, geht aus den Zahlen hervor, welche Torquemada für die beiden Epidemien 1545 und 1576 angibt: 1545 sollen 800,000, 1576 zwei Millionen Indianer gestorben sein (Humboldt a 1, 97). Mag auch Humboldt, obgleich er sich verwahrt, Torquemadas Glaubwürdigkeit anzuzweifeln, Recht haben — und er hat es gewiss — dass diese Zahlen nur auf ungefährer und ungenauer, vielleicht übertriebener Schätzung beruhen: auch wenn wir die Ziffern halbiren, welch furchtbarer Verlust an Menschenleben bleibt immer noch! Humboldt meint (a.a.O.), dass auch diese Krankheit sich alle hundert Jahre einmal zeige: da er aber 4, 379 die Jahre 1545, 1576, 1736, 1761 und 1762 als Jahre, worin die Krankheit wüthete, aufstellt, so ist, wenn anders die Periodicität dieser Krankheit richtig ist, ihr Erscheinen in den einzelnen Jahren dann auf Stämme und Landschaften eingeschränkt, welche sie früher nicht hatten. Einen Hauptgrund für die furchtbare Wirksamkeit solcher eingeschleppter Krankheiten, auf den wir später zurückkommen, führt Humboldt an, wenn er a 4, 410-11 sagt: »Die Niedergeschlagenheit des Geistes und die Furcht vermehren natürlich die Prädisposition der Organe, um die Miasmen aufzunehmen; daher es kein Wunder ist, wenn solche Epidemien namentlich dann besonders heftig sind, wenn sie von siegreichen Eroberern eingeschleppt werden.« § 4. Behandlung der Kranken bei den Naturvölkern. Alle diese Krankheiten nun, welche den Naturvölkern durch die eigene Natur derselben gefährlich genug waren, wurden es noch mehr durch die ganz verkehrte Art, mit der jene Völker Krankheiten behandelten. Die Syphilis ward dadurch so gefährlich in Polynesien, dass man sich theils gar nicht um sie kümmerte, theils aber, wenn man es that, das Uebel nur vermehrte. So glaubte man in dem berauschenden Kavatrank, der aus den Wurzeln des Piper

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML. (2012-11-06T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-06T13:54:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-06T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Die Transkription entspricht den DTA-Richtlinien.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/32
Zitationshilfe: Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/32>, abgerufen am 03.12.2024.