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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.

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Gräfinn von G**
nem Unglücke Theil zu nehmen, weil ich, wie
sie hörte, ein halber Landsmann von ihr wä-
re. Sie that tausend Fragen an mich und
belohnte meine Erzählungen mit einer mitlei-
digen Aufmerksamkeit und mit einer Höflichkeit,
die mir alle Furcht benahm, frey und edel mit
ihr zu reden. Nichts hörte sie lieber als die
vortheilhaften Beschreibungen, die ich ihr von
euch machte, und die Wünsche, euch, meine
Gemahlinn, wieder zu sehn. Jch bedaure sie,
fieng sie an, nachdem sie wohl zwo Stunden
mit mir gesprochen hatte; und ich würde ihren
Verdiensten ein besser Schicksal anweisen,
wenn ich dem Hofe näher wäre. Vielleicht
ist es möglich, daß ich mit der Zeit noch etwas
zur Rückkehr in ihr Vaterland beytragen kann.
Die ausnehmende Liebe, die sie wider die Ge-
wohnheit ihres Geschlechts für ihre Gemah-
linn haben, und ihr Unglück sind genug, mich
zu ihrer Freundinn zu machen, und ich kann
ihnen meine Hochachtung nicht entziehn, wenn
gleich ihre Gebieter ihnen als einem Sclaven
begegnen. Gefällt ihnen mein Mitleiden:
so beruhigen sie sich damit in einem Lande, wo
die Barbarey die Stelle der Tugend zu ver-
treten scheint. Jch würde diesen Mittag mit
ihnen speisen, wenn ich meinem Willen fol-
gen dürfte. Darauf langte sie| von der Ta-

fel,
C 5

Graͤfinn von G**
nem Ungluͤcke Theil zu nehmen, weil ich, wie
ſie hoͤrte, ein halber Landsmann von ihr waͤ-
re. Sie that tauſend Fragen an mich und
belohnte meine Erzaͤhlungen mit einer mitlei-
digen Aufmerkſamkeit und mit einer Hoͤflichkeit,
die mir alle Furcht benahm, frey und edel mit
ihr zu reden. Nichts hoͤrte ſie lieber als die
vortheilhaften Beſchreibungen, die ich ihr von
euch machte, und die Wuͤnſche, euch, meine
Gemahlinn, wieder zu ſehn. Jch bedaure ſie,
fieng ſie an, nachdem ſie wohl zwo Stunden
mit mir geſprochen hatte; und ich wuͤrde ihren
Verdienſten ein beſſer Schickſal anweiſen,
wenn ich dem Hofe naͤher waͤre. Vielleicht
iſt es moͤglich, daß ich mit der Zeit noch etwas
zur Ruͤckkehr in ihr Vaterland beytragen kann.
Die ausnehmende Liebe, die ſie wider die Ge-
wohnheit ihres Geſchlechts fuͤr ihre Gemah-
linn haben, und ihr Ungluͤck ſind genug, mich
zu ihrer Freundinn zu machen, und ich kann
ihnen meine Hochachtung nicht entziehn, wenn
gleich ihre Gebieter ihnen als einem Sclaven
begegnen. Gefaͤllt ihnen mein Mitleiden:
ſo beruhigen ſie ſich damit in einem Lande, wo
die Barbarey die Stelle der Tugend zu ver-
treten ſcheint. Jch wuͤrde dieſen Mittag mit
ihnen ſpeiſen, wenn ich meinem Willen fol-
gen duͤrfte. Darauf langte ſie| von der Ta-

fel,
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[41/0041] Graͤfinn von G** nem Ungluͤcke Theil zu nehmen, weil ich, wie ſie hoͤrte, ein halber Landsmann von ihr waͤ- re. Sie that tauſend Fragen an mich und belohnte meine Erzaͤhlungen mit einer mitlei- digen Aufmerkſamkeit und mit einer Hoͤflichkeit, die mir alle Furcht benahm, frey und edel mit ihr zu reden. Nichts hoͤrte ſie lieber als die vortheilhaften Beſchreibungen, die ich ihr von euch machte, und die Wuͤnſche, euch, meine Gemahlinn, wieder zu ſehn. Jch bedaure ſie, fieng ſie an, nachdem ſie wohl zwo Stunden mit mir geſprochen hatte; und ich wuͤrde ihren Verdienſten ein beſſer Schickſal anweiſen, wenn ich dem Hofe naͤher waͤre. Vielleicht iſt es moͤglich, daß ich mit der Zeit noch etwas zur Ruͤckkehr in ihr Vaterland beytragen kann. Die ausnehmende Liebe, die ſie wider die Ge- wohnheit ihres Geſchlechts fuͤr ihre Gemah- linn haben, und ihr Ungluͤck ſind genug, mich zu ihrer Freundinn zu machen, und ich kann ihnen meine Hochachtung nicht entziehn, wenn gleich ihre Gebieter ihnen als einem Sclaven begegnen. Gefaͤllt ihnen mein Mitleiden: ſo beruhigen ſie ſich damit in einem Lande, wo die Barbarey die Stelle der Tugend zu ver- treten ſcheint. Jch wuͤrde dieſen Mittag mit ihnen ſpeiſen, wenn ich meinem Willen fol- gen duͤrfte. Darauf langte ſie| von der Ta- fel, C 5

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Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/41>, abgerufen am 26.04.2024.