§. 25. In Rücksicht der Vollkommenheit des Mecha- nismus.
Alle Wesen auf ihrem Standort betrachtet, wo- hin sie der Schöpfer gestellt hat, so ist die Muschel, die an der Felse klebt, nicht unvollkommener, als der Adler, der sich gen Himmel schwingt. Wollen wir aber von Uns, als einem Maaßstabe ausgehen, so mögen manche Theile, deren sich die Thiere bey ihren Bedürfnissen bedienen, vielfacher, zusammengesetzter, einige Sinne, von denen vielleicht ihr ganzes Glück abhängt, mögen schärfer seyn: Kein Mensch z. B. hat das Auge des Habichts, keiner die fünftausend Muskeln der Weidenraupe; aber ihre Kunst ist äußerst eingeschränkt, da indessen des Menschen Fähigkeiten so zahlreich und so mannigfaltig sind. Thatsachen sol- len auch hier entscheiden.
Der Mensch theilt unter der Linie die Herrschaft mit dem Tiger und dem Löwen, und lebt unter dem Nordpol neben dem Bärn und dem Rennthier. Bis zu dem zwey und siebenzigsten, und vielleicht höhern Grad nördlicher Breite lebt der Grönländer und Es- kimo; unter dem Aequator der Neger, und auf der andern Seite des Aequators wird das Ende von Ame- rika, nämlich Feuerland, von den Pecherais und an- dern Stämmen bewohnt. Die Giagas und Anziker durchstreifen Afrika, um von den Bewohnern dieses brennenden Bodens Beute zu holen. Unter dem Pole lebt er in einer Kälte, die selbst den dort einheimi- schen stark behaarten Thieren unerträglich ist. Wenn die
Heher
§. 25. In Ruͤckſicht der Vollkommenheit des Mecha- nismus.
Alle Weſen auf ihrem Standort betrachtet, wo- hin ſie der Schoͤpfer geſtellt hat, ſo iſt die Muſchel, die an der Felſe klebt, nicht unvollkommener, als der Adler, der ſich gen Himmel ſchwingt. Wollen wir aber von Uns, als einem Maaßſtabe ausgehen, ſo moͤgen manche Theile, deren ſich die Thiere bey ihren Beduͤrfniſſen bedienen, vielfacher, zuſammengeſetzter, einige Sinne, von denen vielleicht ihr ganzes Gluͤck abhaͤngt, moͤgen ſchaͤrfer ſeyn: Kein Menſch z. B. hat das Auge des Habichts, keiner die fuͤnftauſend Muskeln der Weidenraupe; aber ihre Kunſt iſt aͤußerſt eingeſchraͤnkt, da indeſſen des Menſchen Faͤhigkeiten ſo zahlreich und ſo mannigfaltig ſind. Thatſachen ſol- len auch hier entſcheiden.
Der Menſch theilt unter der Linie die Herrſchaft mit dem Tiger und dem Loͤwen, und lebt unter dem Nordpol neben dem Baͤrn und dem Rennthier. Bis zu dem zwey und ſiebenzigſten, und vielleicht hoͤhern Grad noͤrdlicher Breite lebt der Groͤnlaͤnder und Es- kimo; unter dem Aequator der Neger, und auf der andern Seite des Aequators wird das Ende von Ame- rika, naͤmlich Feuerland, von den Pecherais und an- dern Staͤmmen bewohnt. Die Giagas und Anziker durchſtreifen Afrika, um von den Bewohnern dieſes brennenden Bodens Beute zu holen. Unter dem Pole lebt er in einer Kaͤlte, die ſelbſt den dort einheimi- ſchen ſtark behaarten Thieren unertraͤglich iſt. Wenn die
Heher
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0098"n="79"/><divn="3"><head>§. 25.<lb/><hirendition="#b">In Ruͤckſicht der Vollkommenheit des Mecha-<lb/>
nismus.</hi></head><lb/><p>Alle Weſen auf ihrem Standort betrachtet, wo-<lb/>
hin ſie der Schoͤpfer geſtellt hat, ſo iſt die Muſchel,<lb/>
die an der Felſe klebt, nicht unvollkommener, als der<lb/>
Adler, der ſich gen Himmel ſchwingt. Wollen wir<lb/>
aber von Uns, als einem Maaßſtabe ausgehen, ſo<lb/>
moͤgen manche Theile, deren ſich die Thiere bey ihren<lb/>
Beduͤrfniſſen bedienen, vielfacher, zuſammengeſetzter,<lb/>
einige Sinne, von denen vielleicht ihr ganzes Gluͤck<lb/>
abhaͤngt, moͤgen ſchaͤrfer ſeyn: Kein Menſch z. B.<lb/>
hat das Auge des Habichts, keiner die fuͤnftauſend<lb/>
Muskeln der Weidenraupe; aber ihre Kunſt iſt aͤußerſt<lb/>
eingeſchraͤnkt, da indeſſen des Menſchen Faͤhigkeiten<lb/>ſo zahlreich und ſo mannigfaltig ſind. Thatſachen ſol-<lb/>
len auch hier entſcheiden.</p><lb/><p>Der Menſch theilt unter der Linie die Herrſchaft<lb/>
mit dem Tiger und dem Loͤwen, und lebt unter dem<lb/>
Nordpol neben dem Baͤrn und dem Rennthier. Bis<lb/>
zu dem zwey und ſiebenzigſten, und vielleicht hoͤhern<lb/>
Grad noͤrdlicher Breite lebt der Groͤnlaͤnder und Es-<lb/>
kimo; unter dem Aequator der Neger, und auf der<lb/>
andern Seite des Aequators wird das Ende von Ame-<lb/>
rika, naͤmlich Feuerland, von den Pecherais und an-<lb/>
dern Staͤmmen bewohnt. Die Giagas und Anziker<lb/>
durchſtreifen Afrika, um von den Bewohnern dieſes<lb/>
brennenden Bodens Beute zu holen. Unter dem Pole<lb/>
lebt er in einer Kaͤlte, die ſelbſt den dort einheimi-<lb/>ſchen ſtark behaarten Thieren unertraͤglich iſt. Wenn die<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Heher</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[79/0098]
§. 25.
In Ruͤckſicht der Vollkommenheit des Mecha-
nismus.
Alle Weſen auf ihrem Standort betrachtet, wo-
hin ſie der Schoͤpfer geſtellt hat, ſo iſt die Muſchel,
die an der Felſe klebt, nicht unvollkommener, als der
Adler, der ſich gen Himmel ſchwingt. Wollen wir
aber von Uns, als einem Maaßſtabe ausgehen, ſo
moͤgen manche Theile, deren ſich die Thiere bey ihren
Beduͤrfniſſen bedienen, vielfacher, zuſammengeſetzter,
einige Sinne, von denen vielleicht ihr ganzes Gluͤck
abhaͤngt, moͤgen ſchaͤrfer ſeyn: Kein Menſch z. B.
hat das Auge des Habichts, keiner die fuͤnftauſend
Muskeln der Weidenraupe; aber ihre Kunſt iſt aͤußerſt
eingeſchraͤnkt, da indeſſen des Menſchen Faͤhigkeiten
ſo zahlreich und ſo mannigfaltig ſind. Thatſachen ſol-
len auch hier entſcheiden.
Der Menſch theilt unter der Linie die Herrſchaft
mit dem Tiger und dem Loͤwen, und lebt unter dem
Nordpol neben dem Baͤrn und dem Rennthier. Bis
zu dem zwey und ſiebenzigſten, und vielleicht hoͤhern
Grad noͤrdlicher Breite lebt der Groͤnlaͤnder und Es-
kimo; unter dem Aequator der Neger, und auf der
andern Seite des Aequators wird das Ende von Ame-
rika, naͤmlich Feuerland, von den Pecherais und an-
dern Staͤmmen bewohnt. Die Giagas und Anziker
durchſtreifen Afrika, um von den Bewohnern dieſes
brennenden Bodens Beute zu holen. Unter dem Pole
lebt er in einer Kaͤlte, die ſelbſt den dort einheimi-
ſchen ſtark behaarten Thieren unertraͤglich iſt. Wenn die
Heher
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/98>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.