Drittes Hauptstück. Zweeter Aufenthalt auf den Societäts-Inseln.
1774. May.
Ein rascher Wind führte uns schnell von Tahiti weg. Noch betrachteten wir die schönen Aussichten dieser Insel, als sich auf unserm eigenen Verdeck ein unerwarteter Anblick zeigte, der eines jeden Aufmerksamkeit an sich zog. Es war nichts geringeres, als eins der schönsten Mädchen, welches den Vor- satz gefaßt hatte, mit uns nach ihrem Vaterlande, der Insel Raietea, zurück- zugehen. Ihre Eltern, welchen sie, vor ein Paar Jahren, ein glücklicher Liebhaber, nach Tahiti entführt hatte, waren noch am Leben; und sie konnte der Sehnsucht, dieselben wieder zu sehen, jetzt nicht länger widerstehen. Ihren Unwillen fürchtete sie also nicht, vielmehr hoffte sie eine gütige Auf- nahme, und in der That muß auch da, wo Eigennutz und Ehrgeitz nur so wenig Herrschaft haben als hier, ein jugendlicher Fehltritt des Herzens leicht Verzeitzung finden. Sie hatte sich, bey O-Tuh's letzter Anwe- senheit auf dem Schiff, versteckt gehalten; weil er es ausdrücklich verboten, daß keine Frauensleute mit uns von der Insel weggehen sollten, und kam auch nicht ehe zum Vorschein, bis wir in offner See waren. Nächst ihr gieng auch Maheine, nebst seinem Bedienten und noch zwo andern Leuten von Borabora, in dem festen Zutrauen mit, daß sie bey uns eben so gut aufgehoben seyn würden, als ihr Landsmann Maheine während der vorigen Reise. Ihre Gesellschaft half uns, während der Ueberfahrt von Tahiti nach Huaheine, die Zeit ver- kürzen. Das Mädchen hatte eines Officiers Kleider angezogen, und gefiel sich in dieser Tracht so wohl, daß sie solche gar nicht wieder ablegen wollte. Sie trug kein Bedenken, in Gesellschaft der Officiers zu speisen, und lachte nur über das Vorurtheil, welches ihre Landsmänninnen abhielt, ein gleiches zu thun. Ueber- haupt zeigt sie viel gesunde Vernunft, und würde sich mit Hülfe einer guten Er- ziehung selbst unter den europäischen Damen vortheilhaft ausgezeichnet haben; denn auch ohne alle Bildung ihres Verstandes gefiel sie einem jeden, schon durch ihre natürliche Lebhaftigkeit und Freundlichkeit.
Nach-
Forſter’s Reiſe um die Welt
Drittes Hauptſtuͤck. Zweeter Aufenthalt auf den Societaͤts-Inſeln.
1774. May.
Ein raſcher Wind fuͤhrte uns ſchnell von Tahiti weg. Noch betrachteten wir die ſchoͤnen Ausſichten dieſer Inſel, als ſich auf unſerm eigenen Verdeck ein unerwarteter Anblick zeigte, der eines jeden Aufmerkſamkeit an ſich zog. Es war nichts geringeres, als eins der ſchoͤnſten Maͤdchen, welches den Vor- ſatz gefaßt hatte, mit uns nach ihrem Vaterlande, der Inſel Raietea, zuruͤck- zugehen. Ihre Eltern, welchen ſie, vor ein Paar Jahren, ein gluͤcklicher Liebhaber, nach Tahiti entfuͤhrt hatte, waren noch am Leben; und ſie konnte der Sehnſucht, dieſelben wieder zu ſehen, jetzt nicht laͤnger widerſtehen. Ihren Unwillen fuͤrchtete ſie alſo nicht, vielmehr hoffte ſie eine guͤtige Auf- nahme, und in der That muß auch da, wo Eigennutz und Ehrgeitz nur ſo wenig Herrſchaft haben als hier, ein jugendlicher Fehltritt des Herzens leicht Verzeitzung finden. Sie hatte ſich, bey O-Tuh’s letzter Anwe- ſenheit auf dem Schiff, verſteckt gehalten; weil er es ausdruͤcklich verboten, daß keine Frauensleute mit uns von der Inſel weggehen ſollten, und kam auch nicht ehe zum Vorſchein, bis wir in offner See waren. Naͤchſt ihr gieng auch Maheine, nebſt ſeinem Bedienten und noch zwo andern Leuten von Borabora, in dem feſten Zutrauen mit, daß ſie bey uns eben ſo gut aufgehoben ſeyn wuͤrden, als ihr Landsmann Maheine waͤhrend der vorigen Reiſe. Ihre Geſellſchaft half uns, waͤhrend der Ueberfahrt von Tahiti nach Huaheine, die Zeit ver- kuͤrzen. Das Maͤdchen hatte eines Officiers Kleider angezogen, und gefiel ſich in dieſer Tracht ſo wohl, daß ſie ſolche gar nicht wieder ablegen wollte. Sie trug kein Bedenken, in Geſellſchaft der Officiers zu ſpeiſen, und lachte nur uͤber das Vorurtheil, welches ihre Landsmaͤnninnen abhielt, ein gleiches zu thun. Ueber- haupt zeigt ſie viel geſunde Vernunft, und wuͤrde ſich mit Huͤlfe einer guten Er- ziehung ſelbſt unter den europaͤiſchen Damen vortheilhaft ausgezeichnet haben; denn auch ohne alle Bildung ihres Verſtandes gefiel ſie einem jeden, ſchon durch ihre natuͤrliche Lebhaftigkeit und Freundlichkeit.
Nach-
<TEI><text><body><pbfacs="#f0100"n="88"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><persName>Forſter’s</persName> Reiſe um die Welt</hi></fw><lb/><divn="1"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Drittes Hauptſtuͤck</hi>.<lb/>
Zweeter Aufenthalt auf den <placeName>Societaͤts-Inſeln</placeName>.</hi></head><lb/><noteplace="left">1774.<lb/>
May.</note><p><hirendition="#in">E</hi>in raſcher Wind fuͤhrte uns ſchnell von <hirendition="#fr"><placeName>Tahiti</placeName></hi> weg. <choice><sic>Roch</sic><corr>Noch</corr></choice> betrachteten<lb/>
wir die ſchoͤnen Ausſichten dieſer Inſel, als ſich auf unſerm eigenen Verdeck<lb/>
ein unerwarteter Anblick zeigte, der eines jeden Aufmerkſamkeit an ſich zog. Es<lb/>
war nichts geringeres, als eins der ſchoͤnſten Maͤdchen, welches den Vor-<lb/>ſatz gefaßt hatte, mit uns nach ihrem Vaterlande, der Inſel <hirendition="#fr"><placeName>Raietea</placeName></hi>, zuruͤck-<lb/>
zugehen. Ihre Eltern, welchen ſie, vor ein Paar Jahren, ein gluͤcklicher<lb/>
Liebhaber, nach <hirendition="#fr"><placeName>Tahiti</placeName></hi> entfuͤhrt hatte, waren noch am Leben; und ſie konnte<lb/>
der Sehnſucht, dieſelben wieder zu ſehen, jetzt nicht laͤnger widerſtehen.<lb/>
Ihren Unwillen fuͤrchtete ſie alſo nicht, vielmehr hoffte ſie eine guͤtige Auf-<lb/>
nahme, und in der That muß auch da, wo Eigennutz und Ehrgeitz nur<lb/>ſo wenig Herrſchaft haben als hier, ein jugendlicher Fehltritt des Herzens<lb/>
leicht Verzeitzung finden. Sie hatte ſich, bey <hirendition="#fr"><persName>O-Tuh’s</persName></hi> letzter Anwe-<lb/>ſenheit auf dem Schiff, verſteckt gehalten; weil er es ausdruͤcklich verboten,<lb/>
daß keine Frauensleute mit uns von der Inſel weggehen ſollten, und kam auch<lb/>
nicht ehe zum Vorſchein, bis wir in offner See waren. Naͤchſt ihr gieng auch<lb/><hirendition="#fr"><persName>Maheine</persName>,</hi> nebſt ſeinem Bedienten und noch zwo andern Leuten von <hirendition="#fr"><placeName>Borabora</placeName>,</hi><lb/>
in dem feſten Zutrauen mit, daß ſie bey uns eben ſo gut aufgehoben ſeyn wuͤrden,<lb/>
als ihr Landsmann <hirendition="#fr"><persName>Maheine</persName></hi> waͤhrend der vorigen Reiſe. Ihre Geſellſchaft<lb/>
half uns, waͤhrend der Ueberfahrt von <hirendition="#fr"><placeName>Tahiti</placeName></hi> nach <hirendition="#fr"><placeName>Huaheine</placeName>,</hi> die Zeit ver-<lb/>
kuͤrzen. Das Maͤdchen hatte eines Officiers Kleider angezogen, und gefiel ſich<lb/>
in dieſer Tracht ſo wohl, daß ſie ſolche gar nicht wieder ablegen wollte. Sie trug<lb/>
kein Bedenken, in Geſellſchaft der Officiers zu ſpeiſen, und lachte nur uͤber das<lb/>
Vorurtheil, welches ihre Landsmaͤnninnen abhielt, ein gleiches zu thun. Ueber-<lb/>
haupt zeigt ſie viel geſunde Vernunft, und wuͤrde ſich mit Huͤlfe einer guten Er-<lb/>
ziehung ſelbſt unter den europaͤiſchen Damen vortheilhaft ausgezeichnet haben;<lb/>
denn auch ohne alle Bildung ihres Verſtandes gefiel ſie einem jeden, ſchon durch<lb/>
ihre natuͤrliche Lebhaftigkeit und Freundlichkeit.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Nach-</fw><lb/></div></body></text></TEI>
[88/0100]
Forſter’s Reiſe um die Welt
Drittes Hauptſtuͤck.
Zweeter Aufenthalt auf den Societaͤts-Inſeln.
Ein raſcher Wind fuͤhrte uns ſchnell von Tahiti weg. Noch betrachteten
wir die ſchoͤnen Ausſichten dieſer Inſel, als ſich auf unſerm eigenen Verdeck
ein unerwarteter Anblick zeigte, der eines jeden Aufmerkſamkeit an ſich zog. Es
war nichts geringeres, als eins der ſchoͤnſten Maͤdchen, welches den Vor-
ſatz gefaßt hatte, mit uns nach ihrem Vaterlande, der Inſel Raietea, zuruͤck-
zugehen. Ihre Eltern, welchen ſie, vor ein Paar Jahren, ein gluͤcklicher
Liebhaber, nach Tahiti entfuͤhrt hatte, waren noch am Leben; und ſie konnte
der Sehnſucht, dieſelben wieder zu ſehen, jetzt nicht laͤnger widerſtehen.
Ihren Unwillen fuͤrchtete ſie alſo nicht, vielmehr hoffte ſie eine guͤtige Auf-
nahme, und in der That muß auch da, wo Eigennutz und Ehrgeitz nur
ſo wenig Herrſchaft haben als hier, ein jugendlicher Fehltritt des Herzens
leicht Verzeitzung finden. Sie hatte ſich, bey O-Tuh’s letzter Anwe-
ſenheit auf dem Schiff, verſteckt gehalten; weil er es ausdruͤcklich verboten,
daß keine Frauensleute mit uns von der Inſel weggehen ſollten, und kam auch
nicht ehe zum Vorſchein, bis wir in offner See waren. Naͤchſt ihr gieng auch
Maheine, nebſt ſeinem Bedienten und noch zwo andern Leuten von Borabora,
in dem feſten Zutrauen mit, daß ſie bey uns eben ſo gut aufgehoben ſeyn wuͤrden,
als ihr Landsmann Maheine waͤhrend der vorigen Reiſe. Ihre Geſellſchaft
half uns, waͤhrend der Ueberfahrt von Tahiti nach Huaheine, die Zeit ver-
kuͤrzen. Das Maͤdchen hatte eines Officiers Kleider angezogen, und gefiel ſich
in dieſer Tracht ſo wohl, daß ſie ſolche gar nicht wieder ablegen wollte. Sie trug
kein Bedenken, in Geſellſchaft der Officiers zu ſpeiſen, und lachte nur uͤber das
Vorurtheil, welches ihre Landsmaͤnninnen abhielt, ein gleiches zu thun. Ueber-
haupt zeigt ſie viel geſunde Vernunft, und wuͤrde ſich mit Huͤlfe einer guten Er-
ziehung ſelbſt unter den europaͤiſchen Damen vortheilhaft ausgezeichnet haben;
denn auch ohne alle Bildung ihres Verſtandes gefiel ſie einem jeden, ſchon durch
ihre natuͤrliche Lebhaftigkeit und Freundlichkeit.
Nach-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/100>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.