Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860.IX. Ein Abend in High-Street. Ich habe schon in einem früheren Kapitel hervorgehoben, wie das Straßenleben Alt-Edinburg's etwas Südländisches hat. Man geht nicht vor die Thore, um sich im Freien, im Grünen zu vergnügen, man schlendert nur zwischen Canongate und Edinburg-Castle auf und ab, gesellt sich zu dieser oder jener Gruppe, lauscht einen Augenblick, spricht auch wohl und schreitet zur nächsten Ecke weiter, um dort ein ähnliches Treiben vorzufinden wie das, was man so eben verlassen hat. Die Gin-Shops und Whisky-Läden (übrigens von ziemlich dürftigem Aussehen und nicht zu vergleichen mit ähnlichen Etablissements in London) laden überall zum Eintritt ein und die Temperanz-Prediger, die sich allabendlich vor einem auf- und abgehenden Publikum, das die Stummelpfeife im Munde und die Hände in den Hosentaschen hat, hören lassen, scheinen mir nicht in der Lage, den verführerischen Eckläden eine erhebliche Concurrenz zu machen. Wie dem aber auch sei, das Straßenpredigerthum im allerweitesten Sinne, der öffent- IX. Ein Abend in High-Street. Ich habe schon in einem früheren Kapitel hervorgehoben, wie das Straßenleben Alt-Edinburg’s etwas Südländisches hat. Man geht nicht vor die Thore, um sich im Freien, im Grünen zu vergnügen, man schlendert nur zwischen Canongate und Edinburg-Castle auf und ab, gesellt sich zu dieser oder jener Gruppe, lauscht einen Augenblick, spricht auch wohl und schreitet zur nächsten Ecke weiter, um dort ein ähnliches Treiben vorzufinden wie das, was man so eben verlassen hat. Die Gin-Shops und Whisky-Läden (übrigens von ziemlich dürftigem Aussehen und nicht zu vergleichen mit ähnlichen Etablissements in London) laden überall zum Eintritt ein und die Temperanz-Prediger, die sich allabendlich vor einem auf- und abgehenden Publikum, das die Stummelpfeife im Munde und die Hände in den Hosentaschen hat, hören lassen, scheinen mir nicht in der Lage, den verführerischen Eckläden eine erhebliche Concurrenz zu machen. Wie dem aber auch sei, das Straßenpredigerthum im allerweitesten Sinne, der öffent- <TEI> <text> <body> <div> <pb facs="#f0120" n="106"/> <div> <head><hi rendition="#aq">IX</hi>.<lb/><hi rendition="#b">Ein Abend in High-Street.</hi></head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Ich habe schon in einem früheren Kapitel hervorgehoben, wie das Straßenleben Alt-Edinburg’s etwas Südländisches hat. Man geht nicht vor die Thore, um sich im Freien, im Grünen zu vergnügen, man schlendert nur zwischen Canongate und Edinburg-Castle auf und ab, gesellt sich zu dieser oder jener Gruppe, lauscht einen Augenblick, spricht auch wohl und schreitet zur nächsten Ecke weiter, um dort ein ähnliches Treiben vorzufinden wie das, was man so eben verlassen hat. Die Gin-Shops und Whisky-Läden (übrigens von ziemlich dürftigem Aussehen und nicht zu vergleichen mit ähnlichen Etablissements in London) laden überall zum Eintritt ein und die Temperanz-Prediger, die sich allabendlich vor einem auf- und abgehenden Publikum, das die Stummelpfeife im Munde und die Hände in den Hosentaschen hat, hören lassen, scheinen mir nicht in der Lage, den verführerischen Eckläden eine erhebliche Concurrenz zu machen. Wie dem aber auch sei, das <hi rendition="#g">Straßenpredigerthum</hi> im allerweitesten Sinne, der öffent-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [106/0120]
IX.
Ein Abend in High-Street.
Ich habe schon in einem früheren Kapitel hervorgehoben, wie das Straßenleben Alt-Edinburg’s etwas Südländisches hat. Man geht nicht vor die Thore, um sich im Freien, im Grünen zu vergnügen, man schlendert nur zwischen Canongate und Edinburg-Castle auf und ab, gesellt sich zu dieser oder jener Gruppe, lauscht einen Augenblick, spricht auch wohl und schreitet zur nächsten Ecke weiter, um dort ein ähnliches Treiben vorzufinden wie das, was man so eben verlassen hat. Die Gin-Shops und Whisky-Läden (übrigens von ziemlich dürftigem Aussehen und nicht zu vergleichen mit ähnlichen Etablissements in London) laden überall zum Eintritt ein und die Temperanz-Prediger, die sich allabendlich vor einem auf- und abgehenden Publikum, das die Stummelpfeife im Munde und die Hände in den Hosentaschen hat, hören lassen, scheinen mir nicht in der Lage, den verführerischen Eckläden eine erhebliche Concurrenz zu machen. Wie dem aber auch sei, das Straßenpredigerthum im allerweitesten Sinne, der öffent-
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Zitationshilfe: | Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860/120>, abgerufen am 03.03.2025. |