Drei Jahre waren vergangen, und Effi be¬ wohnte seit fast eben so langer Zeit eine kleine Wohnung in der Königgrätzerstraße, zwischen As¬ kanischem Platz und Halleschem Thor: ein Vorder- und Hinterzimmer, und hinter diesem die Küche mit Mädchengelaß, alles so durchschnittsmäßig und all¬ täglich wie nur möglich. Und doch war es eine apart hübsche Wohnung, die jedem, der sie sah, an¬ genehm auffiel, am meisten vielleicht dem alten Ge¬ heimrat Rummschüttel, der, dann und wann vor¬ sprechend, der armen jungen Frau nicht bloß die nun weit zurückliegende Rheumatismus- und Neuralgie- Komödie, sondern auch alles, was seitdem sonst noch vorgekommen war, längst verziehen hatte, wenn es für ihn der Verzeihung überhaupt bedurfte. Denn Rummschüttel kannte noch ganz anderes. Er war jetzt ausgangs siebzig, aber wenn Effi, die seit einiger Zeit ziemlich viel kränkelte, ihn brieflich um seinen Besuch bat, so war er am anderen Vormittag auch
Zweiunddreißigſtes Kapitel.
Drei Jahre waren vergangen, und Effi be¬ wohnte ſeit faſt eben ſo langer Zeit eine kleine Wohnung in der Königgrätzerſtraße, zwiſchen As¬ kaniſchem Platz und Halleſchem Thor: ein Vorder- und Hinterzimmer, und hinter dieſem die Küche mit Mädchengelaß, alles ſo durchſchnittsmäßig und all¬ täglich wie nur möglich. Und doch war es eine apart hübſche Wohnung, die jedem, der ſie ſah, an¬ genehm auffiel, am meiſten vielleicht dem alten Ge¬ heimrat Rummſchüttel, der, dann und wann vor¬ ſprechend, der armen jungen Frau nicht bloß die nun weit zurückliegende Rheumatismus- und Neuralgie- Komödie, ſondern auch alles, was ſeitdem ſonſt noch vorgekommen war, längſt verziehen hatte, wenn es für ihn der Verzeihung überhaupt bedurfte. Denn Rummſchüttel kannte noch ganz anderes. Er war jetzt ausgangs ſiebzig, aber wenn Effi, die ſeit einiger Zeit ziemlich viel kränkelte, ihn brieflich um ſeinen Beſuch bat, ſo war er am anderen Vormittag auch
<TEI><text><body><pbfacs="#f0463"n="[454]"/><divn="1"><head><hirendition="#g">Zweiunddreißigſtes Kapitel</hi>.<lb/></head><p>Drei Jahre waren vergangen, und Effi be¬<lb/>
wohnte ſeit faſt eben ſo langer Zeit eine kleine<lb/>
Wohnung in der Königgrätzerſtraße, zwiſchen As¬<lb/>
kaniſchem Platz und Halleſchem Thor: ein Vorder-<lb/>
und Hinterzimmer, und hinter dieſem die Küche mit<lb/>
Mädchengelaß, alles ſo durchſchnittsmäßig und all¬<lb/>
täglich wie nur möglich. Und doch war es eine<lb/>
apart hübſche Wohnung, die jedem, der ſie ſah, an¬<lb/>
genehm auffiel, am meiſten vielleicht dem alten Ge¬<lb/>
heimrat Rummſchüttel, der, dann und wann vor¬<lb/>ſprechend, der armen jungen Frau nicht bloß die nun<lb/>
weit zurückliegende Rheumatismus- und Neuralgie-<lb/>
Komödie, ſondern auch alles, was ſeitdem ſonſt noch<lb/>
vorgekommen war, längſt verziehen hatte, wenn es<lb/>
für ihn der Verzeihung überhaupt bedurfte. Denn<lb/>
Rummſchüttel kannte noch ganz anderes. Er war<lb/>
jetzt ausgangs ſiebzig, aber wenn Effi, die ſeit einiger<lb/>
Zeit ziemlich viel kränkelte, ihn brieflich um ſeinen<lb/>
Beſuch bat, ſo war er am anderen Vormittag auch<lb/></p></div></body></text></TEI>
[[454]/0463]
Zweiunddreißigſtes Kapitel.
Drei Jahre waren vergangen, und Effi be¬
wohnte ſeit faſt eben ſo langer Zeit eine kleine
Wohnung in der Königgrätzerſtraße, zwiſchen As¬
kaniſchem Platz und Halleſchem Thor: ein Vorder-
und Hinterzimmer, und hinter dieſem die Küche mit
Mädchengelaß, alles ſo durchſchnittsmäßig und all¬
täglich wie nur möglich. Und doch war es eine
apart hübſche Wohnung, die jedem, der ſie ſah, an¬
genehm auffiel, am meiſten vielleicht dem alten Ge¬
heimrat Rummſchüttel, der, dann und wann vor¬
ſprechend, der armen jungen Frau nicht bloß die nun
weit zurückliegende Rheumatismus- und Neuralgie-
Komödie, ſondern auch alles, was ſeitdem ſonſt noch
vorgekommen war, längſt verziehen hatte, wenn es
für ihn der Verzeihung überhaupt bedurfte. Denn
Rummſchüttel kannte noch ganz anderes. Er war
jetzt ausgangs ſiebzig, aber wenn Effi, die ſeit einiger
Zeit ziemlich viel kränkelte, ihn brieflich um ſeinen
Beſuch bat, ſo war er am anderen Vormittag auch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. [454]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/463>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.