Das stolze Rom, das so oft mit Zittern und Zagen der Ankunft der Germanen vor seinen Thoren entgegensah, hatte allerdings ein Interesse dabei, wenn es ihr Land so entsetzlich und die Bewohner so außergewöhnlich wie möglich schilderte, denn die Gefährlichkeit und Größe der Gegner entschuldigte die Furcht und verringerte die Schmach der Niederlagen. Indessen können wir doch bei der Einstimmigkeit der Nachrichten nicht umhin, uns den Anblick Deutschlands, nicht bloß im Verhältniß zum Garten Italien, sondern überhaupt im hohen Grade uncultivirt und wild vorzustellen, hier mit Wäldern bedeckt, sumpfreich und reg- nerisch, dort rauh, öde und stürmisch. Bei aller möglichen Ueber- treibung leuchtet selbst aus Senecas rhetorischer Absichtlichkeit der Kern der Wahrheit uns entgegen, wenn wir die folgende Stelle lesen: "Betrachte dir," sagt er in seinem Buch von der Vor- sehung, "alle die Völker, bei denen der Friede Roms seine Gränze findet, ich meine die Germanen und was sonst für Völkerschaften jenseits der Donau wandernd umherschweifen. Ein beständiger Winter, ein trüber Himmel lastet auf ihnen, kärglich gewährt ihnen die Nahrung der unfruchtbare Boden, gegen den Regen schützen sie sich durch Schilf und Laub, über die Eisdecken der
Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 1
Erſtes Buch. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
Erſtes Kapitel. Urzeit und Urzuſtände.
Das ſtolze Rom, das ſo oft mit Zittern und Zagen der Ankunft der Germanen vor ſeinen Thoren entgegenſah, hatte allerdings ein Intereſſe dabei, wenn es ihr Land ſo entſetzlich und die Bewohner ſo außergewöhnlich wie möglich ſchilderte, denn die Gefährlichkeit und Größe der Gegner entſchuldigte die Furcht und verringerte die Schmach der Niederlagen. Indeſſen können wir doch bei der Einſtimmigkeit der Nachrichten nicht umhin, uns den Anblick Deutſchlands, nicht bloß im Verhältniß zum Garten Italien, ſondern überhaupt im hohen Grade uncultivirt und wild vorzuſtellen, hier mit Wäldern bedeckt, ſumpfreich und reg- neriſch, dort rauh, öde und ſtürmiſch. Bei aller möglichen Ueber- treibung leuchtet ſelbſt aus Senecas rhetoriſcher Abſichtlichkeit der Kern der Wahrheit uns entgegen, wenn wir die folgende Stelle leſen: „Betrachte dir,“ ſagt er in ſeinem Buch von der Vor- ſehung, „alle die Völker, bei denen der Friede Roms ſeine Gränze findet, ich meine die Germanen und was ſonſt für Völkerſchaften jenſeits der Donau wandernd umherſchweifen. Ein beſtändiger Winter, ein trüber Himmel laſtet auf ihnen, kärglich gewährt ihnen die Nahrung der unfruchtbare Boden, gegen den Regen ſchützen ſie ſich durch Schilf und Laub, über die Eisdecken der
Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 1
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Erſtes Buch.
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Urzeit und Urzuſtände.
Das ſtolze Rom, das ſo oft mit Zittern und Zagen der
Ankunft der Germanen vor ſeinen Thoren entgegenſah, hatte
allerdings ein Intereſſe dabei, wenn es ihr Land ſo entſetzlich und
die Bewohner ſo außergewöhnlich wie möglich ſchilderte, denn die
Gefährlichkeit und Größe der Gegner entſchuldigte die Furcht
und verringerte die Schmach der Niederlagen. Indeſſen können
wir doch bei der Einſtimmigkeit der Nachrichten nicht umhin, uns
den Anblick Deutſchlands, nicht bloß im Verhältniß zum Garten
Italien, ſondern überhaupt im hohen Grade uncultivirt und
wild vorzuſtellen, hier mit Wäldern bedeckt, ſumpfreich und reg-
neriſch, dort rauh, öde und ſtürmiſch. Bei aller möglichen Ueber-
treibung leuchtet ſelbſt aus Senecas rhetoriſcher Abſichtlichkeit der
Kern der Wahrheit uns entgegen, wenn wir die folgende Stelle
leſen: „Betrachte dir,“ ſagt er in ſeinem Buch von der Vor-
ſehung, „alle die Völker, bei denen der Friede Roms ſeine Gränze
findet, ich meine die Germanen und was ſonſt für Völkerſchaften
jenſeits der Donau wandernd umherſchweifen. Ein beſtändiger
Winter, ein trüber Himmel laſtet auf ihnen, kärglich gewährt
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Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 1
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/19>, abgerufen am 08.07.2024.
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