Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Stück machen können und es ärgert mich noch, daß ich
es nicht gethan habe."


Goethe sprach heute abermals mit Bewunderung
über Lord Byron. "Ich habe, sagte er, seinen Defor¬
med Transformed
wieder gelesen und muß sagen, daß
sein Talent mir immer größer vorkommt. Sein Teufel
ist aus meinem Mephistopheles hervorgegangen, aber es
ist keine Nachahmung, es ist alles durchaus originell
und neu, und alles knapp, tüchtig und geistreich. Es
ist keine Stelle darin, die schwach wäre, nicht so viel
Platz, um den Knopf einer Nadel hinzusetzen, wo man
nicht auf Erfindung und Geist träfe. Ihm ist nichts
im Wege als das Hypochondrische und Negative und
er wäre so groß wie Shakspeare und die Alten." Ich
wunderte mich. "Ja, sagte Goethe, Sie können es
mir glauben, ich habe ihn von neuem studirt und muß
ihm dieß immer mehr zugestehen."

In einem früheren Gespräche äußerte Goethe: "Lord
Byron habe zu viel Empirie." Ich verstand nicht
recht, was er damit sagen wollte, doch enthielt ich mich
ihn zu fragen und dachte der Sache im Stillen nach.
Es war aber durch Nachdenken nichts zu gewinnen und
ich mußte warten, bis meine vorschreitende Cultur oder

Stuͤck machen koͤnnen und es aͤrgert mich noch, daß ich
es nicht gethan habe.“


Goethe ſprach heute abermals mit Bewunderung
uͤber Lord Byron. „Ich habe, ſagte er, ſeinen Defor¬
med Transformed
wieder geleſen und muß ſagen, daß
ſein Talent mir immer groͤßer vorkommt. Sein Teufel
iſt aus meinem Mephiſtopheles hervorgegangen, aber es
iſt keine Nachahmung, es iſt alles durchaus originell
und neu, und alles knapp, tuͤchtig und geiſtreich. Es
iſt keine Stelle darin, die ſchwach waͤre, nicht ſo viel
Platz, um den Knopf einer Nadel hinzuſetzen, wo man
nicht auf Erfindung und Geiſt traͤfe. Ihm iſt nichts
im Wege als das Hypochondriſche und Negative und
er waͤre ſo groß wie Shakſpeare und die Alten.“ Ich
wunderte mich. „Ja, ſagte Goethe, Sie koͤnnen es
mir glauben, ich habe ihn von neuem ſtudirt und muß
ihm dieß immer mehr zugeſtehen.“

In einem fruͤheren Geſpraͤche aͤußerte Goethe: „Lord
Byron habe zu viel Empirie.“ Ich verſtand nicht
recht, was er damit ſagen wollte, doch enthielt ich mich
ihn zu fragen und dachte der Sache im Stillen nach.
Es war aber durch Nachdenken nichts zu gewinnen und
ich mußte warten, bis meine vorſchreitende Cultur oder

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0274" n="254"/>
Stu&#x0364;ck machen ko&#x0364;nnen und es a&#x0364;rgert mich noch, daß ich<lb/>
es nicht gethan habe.&#x201C;</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
        <div n="2">
          <dateline rendition="#right">Mittwoch den 8. November 1826.<lb/></dateline>
          <p>Goethe &#x017F;prach heute abermals mit Bewunderung<lb/>
u&#x0364;ber Lord Byron. &#x201E;Ich habe, &#x017F;agte er, &#x017F;einen <hi rendition="#aq">Defor¬<lb/>
med Transformed</hi> wieder gele&#x017F;en und muß &#x017F;agen, daß<lb/>
&#x017F;ein Talent mir immer gro&#x0364;ßer vorkommt. Sein Teufel<lb/>
i&#x017F;t aus meinem Mephi&#x017F;topheles hervorgegangen, aber es<lb/>
i&#x017F;t keine Nachahmung, es i&#x017F;t alles durchaus originell<lb/>
und neu, und alles knapp, tu&#x0364;chtig und gei&#x017F;treich. Es<lb/>
i&#x017F;t keine Stelle darin, die &#x017F;chwach wa&#x0364;re, nicht &#x017F;o viel<lb/>
Platz, um den Knopf einer Nadel hinzu&#x017F;etzen, wo man<lb/>
nicht auf Erfindung und Gei&#x017F;t tra&#x0364;fe. Ihm i&#x017F;t nichts<lb/>
im Wege als das Hypochondri&#x017F;che und Negative und<lb/>
er wa&#x0364;re &#x017F;o groß wie Shak&#x017F;peare und die Alten.&#x201C; Ich<lb/>
wunderte mich. &#x201E;Ja, &#x017F;agte Goethe, Sie ko&#x0364;nnen es<lb/>
mir glauben, ich habe ihn von neuem &#x017F;tudirt und muß<lb/>
ihm dieß immer mehr zuge&#x017F;tehen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>In einem fru&#x0364;heren Ge&#x017F;pra&#x0364;che a&#x0364;ußerte Goethe: &#x201E;Lord<lb/>
Byron habe zu viel Empirie.&#x201C; Ich ver&#x017F;tand nicht<lb/>
recht, was er damit &#x017F;agen wollte, doch enthielt ich mich<lb/>
ihn zu fragen und dachte der Sache im Stillen nach.<lb/>
Es war aber durch Nachdenken nichts zu gewinnen und<lb/>
ich mußte warten, bis meine vor&#x017F;chreitende Cultur oder<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[254/0274] Stuͤck machen koͤnnen und es aͤrgert mich noch, daß ich es nicht gethan habe.“ Mittwoch den 8. November 1826. Goethe ſprach heute abermals mit Bewunderung uͤber Lord Byron. „Ich habe, ſagte er, ſeinen Defor¬ med Transformed wieder geleſen und muß ſagen, daß ſein Talent mir immer groͤßer vorkommt. Sein Teufel iſt aus meinem Mephiſtopheles hervorgegangen, aber es iſt keine Nachahmung, es iſt alles durchaus originell und neu, und alles knapp, tuͤchtig und geiſtreich. Es iſt keine Stelle darin, die ſchwach waͤre, nicht ſo viel Platz, um den Knopf einer Nadel hinzuſetzen, wo man nicht auf Erfindung und Geiſt traͤfe. Ihm iſt nichts im Wege als das Hypochondriſche und Negative und er waͤre ſo groß wie Shakſpeare und die Alten.“ Ich wunderte mich. „Ja, ſagte Goethe, Sie koͤnnen es mir glauben, ich habe ihn von neuem ſtudirt und muß ihm dieß immer mehr zugeſtehen.“ In einem fruͤheren Geſpraͤche aͤußerte Goethe: „Lord Byron habe zu viel Empirie.“ Ich verſtand nicht recht, was er damit ſagen wollte, doch enthielt ich mich ihn zu fragen und dachte der Sache im Stillen nach. Es war aber durch Nachdenken nichts zu gewinnen und ich mußte warten, bis meine vorſchreitende Cultur oder

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/274
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/274>, abgerufen am 21.11.2024.