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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

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Er hustet, speit ein wenig Sand und Thon,
Dann hebt er an, ein grauer Seladon:

"Und wenn er kühn, so war sie schön,
Die heil'ge Frau im Ordenskleide!
Ihr möcht' der Weihel süßer stehn,
Als andern Güldenstück und Seide.
Kaum war sie holder an dem Tag,
Da ihr jungfräulich Haar man fällte,
Als ich an's Kirchenfenster schnellte,
Und schier Tobias Hündlein brach.
"Da stand die alte Gräfin, stand
Der alte Graf, geduldig harrend;
Er auf's Baretlein in der Hand,
Sie fest aufs Paternoster starrend;
Ehrbar, wie bronzen sein Gesicht --
Und aus der Mutter Wimpern glitten
Zwei Thränen auf der Schaube Mitten,
Doch ihre Lippe zuckte nicht.
"Und sie in ihrem Sammetkleid,
Von Perlen und Juwel' umfunkelt,
Bleich war sie, aber nicht von Leid,
Ihr Blick doch nicht von Gram umdunkelt.
So mild hat sie das Haupt gebeugt,
Als woll' auf den Altar sie legen
Des Haares königlichen Segen,
Vom Antlitz ging ein süß Geleucht.
"Doch als nun, wie am Blutgerüst,
Ein Mann die Seidenstränge packte,

Er huſtet, ſpeit ein wenig Sand und Thon,
Dann hebt er an, ein grauer Seladon:

„Und wenn er kühn, ſo war ſie ſchön,
Die heil'ge Frau im Ordenskleide!
Ihr möcht' der Weihel ſüßer ſtehn,
Als andern Güldenſtück und Seide.
Kaum war ſie holder an dem Tag,
Da ihr jungfräulich Haar man fällte,
Als ich an's Kirchenfenſter ſchnellte,
Und ſchier Tobias Hündlein brach.
„Da ſtand die alte Gräfin, ſtand
Der alte Graf, geduldig harrend;
Er auf's Baretlein in der Hand,
Sie feſt aufs Paternoſter ſtarrend;
Ehrbar, wie bronzen ſein Geſicht —
Und aus der Mutter Wimpern glitten
Zwei Thränen auf der Schaube Mitten,
Doch ihre Lippe zuckte nicht.
„Und ſie in ihrem Sammetkleid,
Von Perlen und Juwel' umfunkelt,
Bleich war ſie, aber nicht von Leid,
Ihr Blick doch nicht von Gram umdunkelt.
So mild hat ſie das Haupt gebeugt,
Als woll' auf den Altar ſie legen
Des Haares königlichen Segen,
Vom Antlitz ging ein ſüß Geleucht.
„Doch als nun, wie am Blutgerüſt,
Ein Mann die Seidenſtränge packte,
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[68/0082] Er huſtet, ſpeit ein wenig Sand und Thon, Dann hebt er an, ein grauer Seladon: „Und wenn er kühn, ſo war ſie ſchön, Die heil'ge Frau im Ordenskleide! Ihr möcht' der Weihel ſüßer ſtehn, Als andern Güldenſtück und Seide. Kaum war ſie holder an dem Tag, Da ihr jungfräulich Haar man fällte, Als ich an's Kirchenfenſter ſchnellte, Und ſchier Tobias Hündlein brach. „Da ſtand die alte Gräfin, ſtand Der alte Graf, geduldig harrend; Er auf's Baretlein in der Hand, Sie feſt aufs Paternoſter ſtarrend; Ehrbar, wie bronzen ſein Geſicht — Und aus der Mutter Wimpern glitten Zwei Thränen auf der Schaube Mitten, Doch ihre Lippe zuckte nicht. „Und ſie in ihrem Sammetkleid, Von Perlen und Juwel' umfunkelt, Bleich war ſie, aber nicht von Leid, Ihr Blick doch nicht von Gram umdunkelt. So mild hat ſie das Haupt gebeugt, Als woll' auf den Altar ſie legen Des Haares königlichen Segen, Vom Antlitz ging ein ſüß Geleucht. „Doch als nun, wie am Blutgerüſt, Ein Mann die Seidenſtränge packte,

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/82>, abgerufen am 27.04.2024.