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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

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Da faßte mich ein wild Gelüst,
Ich schlug die Scheiben, daß es knackte,
Und flattert' fort, als ob der Stahl
Nach meinem Nacken wolle zücken.
Ja wahrlich, über Kopf und Rücken
Fühlt' ich den ganzen Tag mich kahl!

"Und später sah ich manche Stund
Sie betend durch den Kreuzgang schreiten,
Ihr süßes Auge über'n Grund
Entlang die Todtenlager gleiten;
In's Quadrum flog ich dann hinab,
Spazierte auf dem Leichensteine,
Sang, oder suchte auch zum Scheine
Nach einem Regenwurm am Grab.
"Wie sie gestorben, weiß ich nicht;
Die Fenster hatte man verhangen,
Ich sah am Vorhang nur das Licht
Und hörte, wie die Schwestern sangen;
Auch hat man keinen Stein geschafft
In's Quadrum, doch ich hörte sagen,
Daß manchem Kranken Heil getragen
Der sel'gen Frauen Wunderkraft.
"Ein Loch gibt es am Kirchenend',
Da kann man in's Gewölbe schauen,
Wo matt die ew'ge Lampe brennt,
Steinsärge ragen, fein gehauen;

Da faßte mich ein wild Gelüſt,
Ich ſchlug die Scheiben, daß es knackte,
Und flattert' fort, als ob der Stahl
Nach meinem Nacken wolle zücken.
Ja wahrlich, über Kopf und Rücken
Fühlt' ich den ganzen Tag mich kahl!

„Und ſpäter ſah ich manche Stund
Sie betend durch den Kreuzgang ſchreiten,
Ihr ſüßes Auge über'n Grund
Entlang die Todtenlager gleiten;
In's Quadrum flog ich dann hinab,
Spazierte auf dem Leichenſteine,
Sang, oder ſuchte auch zum Scheine
Nach einem Regenwurm am Grab.
„Wie ſie geſtorben, weiß ich nicht;
Die Fenſter hatte man verhangen,
Ich ſah am Vorhang nur das Licht
Und hörte, wie die Schweſtern ſangen;
Auch hat man keinen Stein geſchafft
In's Quadrum, doch ich hörte ſagen,
Daß manchem Kranken Heil getragen
Der ſel'gen Frauen Wunderkraft.
„Ein Loch gibt es am Kirchenend',
Da kann man in's Gewölbe ſchauen,
Wo matt die ew'ge Lampe brennt,
Steinſärge ragen, fein gehauen;
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[69/0083] Da faßte mich ein wild Gelüſt, Ich ſchlug die Scheiben, daß es knackte, Und flattert' fort, als ob der Stahl Nach meinem Nacken wolle zücken. Ja wahrlich, über Kopf und Rücken Fühlt' ich den ganzen Tag mich kahl! „Und ſpäter ſah ich manche Stund Sie betend durch den Kreuzgang ſchreiten, Ihr ſüßes Auge über'n Grund Entlang die Todtenlager gleiten; In's Quadrum flog ich dann hinab, Spazierte auf dem Leichenſteine, Sang, oder ſuchte auch zum Scheine Nach einem Regenwurm am Grab. „Wie ſie geſtorben, weiß ich nicht; Die Fenſter hatte man verhangen, Ich ſah am Vorhang nur das Licht Und hörte, wie die Schweſtern ſangen; Auch hat man keinen Stein geſchafft In's Quadrum, doch ich hörte ſagen, Daß manchem Kranken Heil getragen Der ſel'gen Frauen Wunderkraft. „Ein Loch gibt es am Kirchenend', Da kann man in's Gewölbe ſchauen, Wo matt die ew'ge Lampe brennt, Steinſärge ragen, fein gehauen;

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/83>, abgerufen am 25.11.2024.