Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

Was irgend eine Lippe sprach.
Und sahst du ihn, gespannt und stumm,
Sein Ohr dem trüben Warner leih'n,
So sog es andre Kunde ein,
Als die des Herzens Rinde bricht;
Ihm ward ein ungenügend Licht.
"Armsel'ger Narr! verrückter Wicht!"
Das war die ganze Litanei,
Das Requiem für Johannes May.
Und auf sein Feldbett streckte sich
Der Braunschweig so gelassen schier
Als ging es morgen zum Turnier;
Nur einmal seine Rechte strich
Die Locken aufwärts, dies allein
Mocht' Zeichen tiefrer Regung seyn,
Und dann -- die Wimpern schlossen sich.
So groß war seine Willenskraft,
Daß sie dem Schlummer selbst gebot,
Die Sinne hielt in steter Haft;
Er konnte, wie es eben Noth,
Die Ruhe scheuchen Wochen lang,
Und schlafen unter Schwertes Hang.
Jetzt, wo Geschick die Würfel hält
Zum letzten Satz um Land und Ehr',
Sähst du ihn schlummern unter'm Zelt:
Du dächtest, nur von Sehnen schwer
Verträum' ein achtzehnjährig Kind
In süßem Wahn die Nächte lind.
Wie edel seine Formen sind!
Die Stirne, hochgewölbt und rein,

Was irgend eine Lippe ſprach.
Und ſahſt du ihn, geſpannt und ſtumm,
Sein Ohr dem trüben Warner leih'n,
So ſog es andre Kunde ein,
Als die des Herzens Rinde bricht;
Ihm ward ein ungenügend Licht.
„Armſel'ger Narr! verrückter Wicht!“
Das war die ganze Litanei,
Das Requiem für Johannes May.
Und auf ſein Feldbett ſtreckte ſich
Der Braunſchweig ſo gelaſſen ſchier
Als ging es morgen zum Turnier;
Nur einmal ſeine Rechte ſtrich
Die Locken aufwärts, dies allein
Mocht' Zeichen tiefrer Regung ſeyn,
Und dann — die Wimpern ſchloſſen ſich.
So groß war ſeine Willenskraft,
Daß ſie dem Schlummer ſelbſt gebot,
Die Sinne hielt in ſteter Haft;
Er konnte, wie es eben Noth,
Die Ruhe ſcheuchen Wochen lang,
Und ſchlafen unter Schwertes Hang.
Jetzt, wo Geſchick die Würfel hält
Zum letzten Satz um Land und Ehr',
Sähſt du ihn ſchlummern unter'm Zelt:
Du dächteſt, nur von Sehnen ſchwer
Verträum' ein achtzehnjährig Kind
In ſüßem Wahn die Nächte lind.
Wie edel ſeine Formen ſind!
Die Stirne, hochgewölbt und rein,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <lg n="10">
                <pb facs="#f0562" n="548"/>
                <l>Was irgend eine Lippe &#x017F;prach.</l><lb/>
                <l>Und &#x017F;ah&#x017F;t du ihn, ge&#x017F;pannt und &#x017F;tumm,</l><lb/>
                <l>Sein Ohr dem trüben Warner leih'n,</l><lb/>
                <l>So &#x017F;og es andre Kunde ein,</l><lb/>
                <l>Als die des Herzens Rinde bricht;</l><lb/>
                <l>Ihm ward ein ungenügend Licht.</l><lb/>
                <l>&#x201E;Arm&#x017F;el'ger Narr! verrückter Wicht!&#x201C;</l><lb/>
                <l>Das war die ganze Litanei,</l><lb/>
                <l>Das <hi rendition="#aq">Requiem</hi> für Johannes May.</l><lb/>
                <l>Und auf &#x017F;ein Feldbett &#x017F;treckte &#x017F;ich</l><lb/>
                <l>Der Braun&#x017F;chweig &#x017F;o gela&#x017F;&#x017F;en &#x017F;chier</l><lb/>
                <l>Als ging es morgen zum Turnier;</l><lb/>
                <l>Nur einmal &#x017F;eine Rechte &#x017F;trich</l><lb/>
                <l>Die Locken aufwärts, dies allein</l><lb/>
                <l>Mocht' Zeichen tiefrer Regung &#x017F;eyn,</l><lb/>
                <l>Und dann &#x2014; die Wimpern &#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich.</l><lb/>
                <l>So groß war &#x017F;eine Willenskraft,</l><lb/>
                <l>Daß &#x017F;ie dem Schlummer &#x017F;elb&#x017F;t gebot,</l><lb/>
                <l>Die Sinne hielt in &#x017F;teter Haft;</l><lb/>
                <l>Er konnte, wie es eben Noth,</l><lb/>
                <l>Die Ruhe &#x017F;cheuchen Wochen lang,</l><lb/>
                <l>Und &#x017F;chlafen unter Schwertes Hang.</l><lb/>
                <l>Jetzt, wo Ge&#x017F;chick die Würfel hält</l><lb/>
                <l>Zum letzten Satz um Land und Ehr',</l><lb/>
                <l>Säh&#x017F;t du ihn &#x017F;chlummern unter'm Zelt:</l><lb/>
                <l>Du dächte&#x017F;t, nur von Sehnen &#x017F;chwer</l><lb/>
                <l>Verträum' ein achtzehnjährig Kind</l><lb/>
                <l>In &#x017F;üßem Wahn die Nächte lind.</l><lb/>
                <l>Wie edel &#x017F;eine Formen &#x017F;ind!</l><lb/>
                <l>Die Stirne, hochgewölbt und rein,</l><lb/>
              </lg>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[548/0562] Was irgend eine Lippe ſprach. Und ſahſt du ihn, geſpannt und ſtumm, Sein Ohr dem trüben Warner leih'n, So ſog es andre Kunde ein, Als die des Herzens Rinde bricht; Ihm ward ein ungenügend Licht. „Armſel'ger Narr! verrückter Wicht!“ Das war die ganze Litanei, Das Requiem für Johannes May. Und auf ſein Feldbett ſtreckte ſich Der Braunſchweig ſo gelaſſen ſchier Als ging es morgen zum Turnier; Nur einmal ſeine Rechte ſtrich Die Locken aufwärts, dies allein Mocht' Zeichen tiefrer Regung ſeyn, Und dann — die Wimpern ſchloſſen ſich. So groß war ſeine Willenskraft, Daß ſie dem Schlummer ſelbſt gebot, Die Sinne hielt in ſteter Haft; Er konnte, wie es eben Noth, Die Ruhe ſcheuchen Wochen lang, Und ſchlafen unter Schwertes Hang. Jetzt, wo Geſchick die Würfel hält Zum letzten Satz um Land und Ehr', Sähſt du ihn ſchlummern unter'm Zelt: Du dächteſt, nur von Sehnen ſchwer Verträum' ein achtzehnjährig Kind In ſüßem Wahn die Nächte lind. Wie edel ſeine Formen ſind! Die Stirne, hochgewölbt und rein,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/562
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 548. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/562>, abgerufen am 27.04.2024.