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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

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Nun schwebt es unter dem Sternendom,
Nachtwandlern gleich in Traumes Geleit,
Nun durch die Reihen zieht das Phantom,
Und Jeder tritt einen Schritt zur Seit'. --
Nun lautlos gleitet's über die Schwelle, --
Nun wieder drinnen erscheint die Helle,
Hinauf sich windend die Stiegen breit.
Das Fräulein hört das Gemurmel nicht,
Sieht nicht die Blicke, stier und verscheucht,
Fest folgt ihr Auge dem bläulichen Licht,
Wie dunstig über die Scheiben es streicht.
-- Nun ists im Saale -- nun im Archive --
Nun steht es still an der Nische Tiefe --
Nun matter, matter, -- ha! es erbleicht!
"Du sollst mir stehen! ich will dich fahn!"
Und wie ein Aal die beherzte Maid
Durch Nacht und Krümmen schlüpft ihre Bahn,
Hier droht ein Stoß, dort häkelt das Kleid,
Leis tritt sie, leise, o Geistersinne
Sind scharf! daß nicht das Gesicht entrinne!
Ja, muthig ist sie, bei meinem Eid!
Ein dunkler Rahmen, Archives Thor;
-- Ha, Schloß und Riegel! -- sie steht gebannt,
Sacht, sacht das Auge und dann das Ohr
Drückt zögernd sie an der Spalte Rand,
Tiefdunkel drinnen -- doch einem Rauschen
Der Pergamente glaubt sie zu lauschen,
Und einem Streichen entlang der Wand.
Nun ſchwebt es unter dem Sternendom,
Nachtwandlern gleich in Traumes Geleit,
Nun durch die Reihen zieht das Phantom,
Und Jeder tritt einen Schritt zur Seit'. —
Nun lautlos gleitet's über die Schwelle, —
Nun wieder drinnen erſcheint die Helle,
Hinauf ſich windend die Stiegen breit.
Das Fräulein hört das Gemurmel nicht,
Sieht nicht die Blicke, ſtier und verſcheucht,
Feſt folgt ihr Auge dem bläulichen Licht,
Wie dunſtig über die Scheiben es ſtreicht.
— Nun iſts im Saale — nun im Archive —
Nun ſteht es ſtill an der Niſche Tiefe —
Nun matter, matter, — ha! es erbleicht!
„Du ſollſt mir ſtehen! ich will dich fahn!“
Und wie ein Aal die beherzte Maid
Durch Nacht und Krümmen ſchlüpft ihre Bahn,
Hier droht ein Stoß, dort häkelt das Kleid,
Leis tritt ſie, leiſe, o Geiſterſinne
Sind ſcharf! daß nicht das Geſicht entrinne!
Ja, muthig iſt ſie, bei meinem Eid!
Ein dunkler Rahmen, Archives Thor;
— Ha, Schloß und Riegel! — ſie ſteht gebannt,
Sacht, ſacht das Auge und dann das Ohr
Drückt zögernd ſie an der Spalte Rand,
Tiefdunkel drinnen — doch einem Rauſchen
Der Pergamente glaubt ſie zu lauſchen,
Und einem Streichen entlang der Wand.
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[316/0330] Nun ſchwebt es unter dem Sternendom, Nachtwandlern gleich in Traumes Geleit, Nun durch die Reihen zieht das Phantom, Und Jeder tritt einen Schritt zur Seit'. — Nun lautlos gleitet's über die Schwelle, — Nun wieder drinnen erſcheint die Helle, Hinauf ſich windend die Stiegen breit. Das Fräulein hört das Gemurmel nicht, Sieht nicht die Blicke, ſtier und verſcheucht, Feſt folgt ihr Auge dem bläulichen Licht, Wie dunſtig über die Scheiben es ſtreicht. — Nun iſts im Saale — nun im Archive — Nun ſteht es ſtill an der Niſche Tiefe — Nun matter, matter, — ha! es erbleicht! „Du ſollſt mir ſtehen! ich will dich fahn!“ Und wie ein Aal die beherzte Maid Durch Nacht und Krümmen ſchlüpft ihre Bahn, Hier droht ein Stoß, dort häkelt das Kleid, Leis tritt ſie, leiſe, o Geiſterſinne Sind ſcharf! daß nicht das Geſicht entrinne! Ja, muthig iſt ſie, bei meinem Eid! Ein dunkler Rahmen, Archives Thor; — Ha, Schloß und Riegel! — ſie ſteht gebannt, Sacht, ſacht das Auge und dann das Ohr Drückt zögernd ſie an der Spalte Rand, Tiefdunkel drinnen — doch einem Rauſchen Der Pergamente glaubt ſie zu lauſchen, Und einem Streichen entlang der Wand.

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/330>, abgerufen am 01.05.2024.