Ist's nicht ein heit'rer Ort, mein junger Freund, Das kleine Haus, das schier vom Hange gleitet, Wo so possierlich uns der Wirth erscheint, So übermächtig sich die Landschaft breitet; Wo uns ergötzt im neckischen Contrast Das Wurzelmännchen mit verschmitzter Miene, Das wie ein Aal sich schlingt und kugelt fast, Im Angesicht der stolzen Alpenbühne?
Sitz nieder. -- Traube! -- und behend erscheint Zopfwedelnd der geschäftige Pigmäe; O sieh, wie die verletzte Beere weint Blutige Thränen um des Reifes Nähe; Frisch greif in die kristallne Schale, frisch, Die saftigen Rubine glühn und locken; Schon fühl' ich an des Herbstes reichem Tisch Den kargen Winter nahn auf leisen Socken.
Das sind dir Hieroglyphen, junges Blut, Und ich, ich will an deiner lieben Seite Froh schlürfen meiner Neige letztes Gut. Schau her, schau drüben in die Näh' und Weite; Wie uns zur Seite sich der Felsen bäumt, Als könnten wir mit Händen ihn ergreifen, Wie uns zu Füßen das Gewässer schäumt, Als könnten wir im Schwunge drüber streifen!
Die Schenke am See.
An Levin S. —
Iſt's nicht ein heit'rer Ort, mein junger Freund, Das kleine Haus, das ſchier vom Hange gleitet, Wo ſo poſſierlich uns der Wirth erſcheint, So übermächtig ſich die Landſchaft breitet; Wo uns ergötzt im neckiſchen Contraſt Das Wurzelmännchen mit verſchmitzter Miene, Das wie ein Aal ſich ſchlingt und kugelt faſt, Im Angeſicht der ſtolzen Alpenbühne?
Sitz nieder. — Traube! — und behend erſcheint Zopfwedelnd der geſchäftige Pigmäe; O ſieh, wie die verletzte Beere weint Blutige Thränen um des Reifes Nähe; Friſch greif in die kriſtallne Schale, friſch, Die ſaftigen Rubine glühn und locken; Schon fühl' ich an des Herbſtes reichem Tiſch Den kargen Winter nahn auf leiſen Socken.
Das ſind dir Hieroglyphen, junges Blut, Und ich, ich will an deiner lieben Seite Froh ſchlürfen meiner Neige letztes Gut. Schau her, ſchau drüben in die Näh' und Weite; Wie uns zur Seite ſich der Felſen bäumt, Als könnten wir mit Händen ihn ergreifen, Wie uns zu Füßen das Gewäſſer ſchäumt, Als könnten wir im Schwunge drüber ſtreifen!
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Die Schenke am See.
An Levin S. —
Iſt's nicht ein heit'rer Ort, mein junger Freund,
Das kleine Haus, das ſchier vom Hange gleitet,
Wo ſo poſſierlich uns der Wirth erſcheint,
So übermächtig ſich die Landſchaft breitet;
Wo uns ergötzt im neckiſchen Contraſt
Das Wurzelmännchen mit verſchmitzter Miene,
Das wie ein Aal ſich ſchlingt und kugelt faſt,
Im Angeſicht der ſtolzen Alpenbühne?
Sitz nieder. — Traube! — und behend erſcheint
Zopfwedelnd der geſchäftige Pigmäe;
O ſieh, wie die verletzte Beere weint
Blutige Thränen um des Reifes Nähe;
Friſch greif in die kriſtallne Schale, friſch,
Die ſaftigen Rubine glühn und locken;
Schon fühl' ich an des Herbſtes reichem Tiſch
Den kargen Winter nahn auf leiſen Socken.
Das ſind dir Hieroglyphen, junges Blut,
Und ich, ich will an deiner lieben Seite
Froh ſchlürfen meiner Neige letztes Gut.
Schau her, ſchau drüben in die Näh' und Weite;
Wie uns zur Seite ſich der Felſen bäumt,
Als könnten wir mit Händen ihn ergreifen,
Wie uns zu Füßen das Gewäſſer ſchäumt,
Als könnten wir im Schwunge drüber ſtreifen!
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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/103>, abgerufen am 22.02.2025.
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