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Dohm, Hedwig: Erziehung zum Stimmrecht der Frau. Berlin, 1910 (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 6).

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Dies große, unersetzliche Erlebnis zu gewähren, ist der eigentliche
Sinn der gemeinsamen Erziehung...."

Das Mädchen auf ihren künftigen Beruf hin zu unterrichten,
bedeutet einen Verzicht auf die Reform der weiblichen Erziehung ...
Es wird die alte Jdentifizierung von Geschlecht und Beruf, die
jedenfalls eine Fortentwicklung des weiblichen Typus unmöglich
macht, verewigt; es wird dem sozialen und intellektuellen Fort-
schritt Halt geboten zugunsten eines täglich fragwürdiger werdenden
Häuslichkeitsideals.

Der ernsteste Einwurf gegen die Koedukation geht von der
biologischen Seite des Weibes aus, von der Ansicht, daß durch
die Betonung des Geistigen seine biologische Seite verkümmern
müsse.

Neuerdings ist wieder von gelehrten Professoren (gelegentlich
der Mädchenschuldebatten) in Schriften und Vorträgen betont
worden, daß dem Weibe "durch zu viel Wissen nicht nur die
Herzensbildung, auch die Unmittelbarkeit ihres Empfindens und
Urteilens verloren gehe." Einer der Professoren fügte sogar
spöttisch hinzu: "Man wolle wohl die Natur des Weibes ortho-
pädisch korrigieren."

"Je mehr Wissen man den Mädchen aufpfropft, je dümmer
werden sie." Jm Reichstage fiel diese männerkluge Aeußerung.

So darf ich denn wohl - unstudiert wie ich bin - mit
der von Professors Gnaden mir verliehenen unverfälschten Un-
mittelbarkeit des Denkens und Urteilens die Frage der Mädchen-
bildung zu lösen versuchen. Sie ist für mich wie das Ei des
Columbus. Zwei Worte erledigen sie: Einheitsschule und
Koedukation.

Ohne den Gemeinschaftsunterricht würden auf lange Zeit
hinaus die Lehrkräfte und die Leiter der Mädchengymnasien hinter
denen der Knabengymnasien zurückstehen. Es gilt eben noch für
ehrenvoller Knaben zu unterrichten als Mädchen.

Die Konzentration sämtlicher Schulreformbestrebungen auf
die einheitlichen Bildungsanstalten - welch ungeheure Ersparnis
an Gehirn- und Finanzkräften für die Reformer.

Freilich unter dem Einfluß des Gemeinschaftsunterrichts ist
eine Dezimierung der Rüpel zu befürchten, möglicherweise zum
Leidwesen der Väter, die häufig die Rüpeleien ihrer Sprossen als
Vorboten starker Männlichkeit begrüßen.

Professor Gneist teilt in einer Broschüre über Koedukation
(aus den 70er Jahren) die Resultate mit, wie sie ihm über die
Gemeinschaftsschulen und Universitäten von Nordamerika zu-
gegangen sind. Günstigere Resultate sind kaum denkbar. Die-

Dies große, unersetzliche Erlebnis zu gewähren, ist der eigentliche
Sinn der gemeinsamen Erziehung….“

Das Mädchen auf ihren künftigen Beruf hin zu unterrichten,
bedeutet einen Verzicht auf die Reform der weiblichen Erziehung …
Es wird die alte Jdentifizierung von Geschlecht und Beruf, die
jedenfalls eine Fortentwicklung des weiblichen Typus unmöglich
macht, verewigt; es wird dem sozialen und intellektuellen Fort-
schritt Halt geboten zugunsten eines täglich fragwürdiger werdenden
Häuslichkeitsideals.

Der ernsteste Einwurf gegen die Koedukation geht von der
biologischen Seite des Weibes aus, von der Ansicht, daß durch
die Betonung des Geistigen seine biologische Seite verkümmern
müsse.

Neuerdings ist wieder von gelehrten Professoren (gelegentlich
der Mädchenschuldebatten) in Schriften und Vorträgen betont
worden, daß dem Weibe „durch zu viel Wissen nicht nur die
Herzensbildung, auch die Unmittelbarkeit ihres Empfindens und
Urteilens verloren gehe.“ Einer der Professoren fügte sogar
spöttisch hinzu: „Man wolle wohl die Natur des Weibes ortho-
pädisch korrigieren.“

„Je mehr Wissen man den Mädchen aufpfropft, je dümmer
werden sie.“ Jm Reichstage fiel diese männerkluge Aeußerung.

So darf ich denn wohl – unstudiert wie ich bin – mit
der von Professors Gnaden mir verliehenen unverfälschten Un-
mittelbarkeit des Denkens und Urteilens die Frage der Mädchen-
bildung zu lösen versuchen. Sie ist für mich wie das Ei des
Columbus. Zwei Worte erledigen sie: Einheitsschule und
Koedukation.

Ohne den Gemeinschaftsunterricht würden auf lange Zeit
hinaus die Lehrkräfte und die Leiter der Mädchengymnasien hinter
denen der Knabengymnasien zurückstehen. Es gilt eben noch für
ehrenvoller Knaben zu unterrichten als Mädchen.

Die Konzentration sämtlicher Schulreformbestrebungen auf
die einheitlichen Bildungsanstalten – welch ungeheure Ersparnis
an Gehirn- und Finanzkräften für die Reformer.

Freilich unter dem Einfluß des Gemeinschaftsunterrichts ist
eine Dezimierung der Rüpel zu befürchten, möglicherweise zum
Leidwesen der Väter, die häufig die Rüpeleien ihrer Sprossen als
Vorboten starker Männlichkeit begrüßen.

Professor Gneist teilt in einer Broschüre über Koedukation
(aus den 70er Jahren) die Resultate mit, wie sie ihm über die
Gemeinschaftsschulen und Universitäten von Nordamerika zu-
gegangen sind. Günstigere Resultate sind kaum denkbar. Die-

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[5/0006] Dies große, unersetzliche Erlebnis zu gewähren, ist der eigentliche Sinn der gemeinsamen Erziehung….“ Das Mädchen auf ihren künftigen Beruf hin zu unterrichten, bedeutet einen Verzicht auf die Reform der weiblichen Erziehung … Es wird die alte Jdentifizierung von Geschlecht und Beruf, die jedenfalls eine Fortentwicklung des weiblichen Typus unmöglich macht, verewigt; es wird dem sozialen und intellektuellen Fort- schritt Halt geboten zugunsten eines täglich fragwürdiger werdenden Häuslichkeitsideals. Der ernsteste Einwurf gegen die Koedukation geht von der biologischen Seite des Weibes aus, von der Ansicht, daß durch die Betonung des Geistigen seine biologische Seite verkümmern müsse. Neuerdings ist wieder von gelehrten Professoren (gelegentlich der Mädchenschuldebatten) in Schriften und Vorträgen betont worden, daß dem Weibe „durch zu viel Wissen nicht nur die Herzensbildung, auch die Unmittelbarkeit ihres Empfindens und Urteilens verloren gehe.“ Einer der Professoren fügte sogar spöttisch hinzu: „Man wolle wohl die Natur des Weibes ortho- pädisch korrigieren.“ „Je mehr Wissen man den Mädchen aufpfropft, je dümmer werden sie.“ Jm Reichstage fiel diese männerkluge Aeußerung. So darf ich denn wohl – unstudiert wie ich bin – mit der von Professors Gnaden mir verliehenen unverfälschten Un- mittelbarkeit des Denkens und Urteilens die Frage der Mädchen- bildung zu lösen versuchen. Sie ist für mich wie das Ei des Columbus. Zwei Worte erledigen sie: Einheitsschule und Koedukation. Ohne den Gemeinschaftsunterricht würden auf lange Zeit hinaus die Lehrkräfte und die Leiter der Mädchengymnasien hinter denen der Knabengymnasien zurückstehen. Es gilt eben noch für ehrenvoller Knaben zu unterrichten als Mädchen. Die Konzentration sämtlicher Schulreformbestrebungen auf die einheitlichen Bildungsanstalten – welch ungeheure Ersparnis an Gehirn- und Finanzkräften für die Reformer. Freilich unter dem Einfluß des Gemeinschaftsunterrichts ist eine Dezimierung der Rüpel zu befürchten, möglicherweise zum Leidwesen der Väter, die häufig die Rüpeleien ihrer Sprossen als Vorboten starker Männlichkeit begrüßen. Professor Gneist teilt in einer Broschüre über Koedukation (aus den 70er Jahren) die Resultate mit, wie sie ihm über die Gemeinschaftsschulen und Universitäten von Nordamerika zu- gegangen sind. Günstigere Resultate sind kaum denkbar. Die-

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Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-09-14T13:15:52Z)

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Zitationshilfe: Dohm, Hedwig: Erziehung zum Stimmrecht der Frau. Berlin, 1910 (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 6), S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_erziehung_1910/6>, abgerufen am 26.04.2024.