Die politische Wissenschaft der metaphysischen Schulen.
folgen, und ihren Lebensbedürfnissen, alsdann mit dem römischen Staatsleben. Die stoische Schule verknüpft nun eine verein- fachte teleologische Metaphysik mit dem Gedanken des Rechtes der Natur, und in dieser dem praktischen Bedürfniß angepaßten Zusammenfassung lag ein Hauptmoment ihrer Wirkung. Durch die Römer vollzieht sich dann die epochemachende Ver- bindung der Spekulationen über das Naturrecht mit der positiven Jurisprudenz.
Und in dieser Literatur arbeitet sich nun ein verändertes gesellschaftliches Gefühl des Menschen der letzten Jahrhunderte vor Christus durch. Dies ist schon in der Art bemerkbar, in welcher der selbstsüchtige Quietismus der Epikureer das Naturrecht der älteren nationalen Zeit umformt. Der Staat ist nach dieser Schule auf einen Sicherheitsvertrag gegründet, der von dem Interesse diktirt wird; so ist der Privatmensch und dessen Interesse der Maßstab seines Werthes. Das veränderte gesellschaftliche Gefühl findet aber einen würdigeren Ausdruck in der politischen Wissenschaft der stoischen Schule. Die monotheistische Metaphysik entwickelt hier Folgerungen, welche durch den nationalgriechischen Geist und seine Institutionen vorher gehemmt waren. Nun wird die Ge- sammtheit aller vernünftigen Wesen als Ein Staat betrachtet, in welchem die Einzelstaaten enthalten sind, wie Häuser in einer Stadt. Dieser Staat lebt unter Einem Gesetz, das als allgemeines Naturgesetz über allen einzelnen politischen Rechtsordnungen steht. Die einzelnen Bürger dieses Staates sind mit gewissen Rechten aus- gestattet, die auf jenem allgemeinen Gesetz beruhen. Der Wirkungs- bereich des Weisen ist dieser Weltstaat.
Die Selbständigkeit der Einzelwissenschaften.
Zugleich traten nun die alten Völker, wie erwähnt, in das Stadium der Einzelwissenschaften. Intellektuelle Veränderungen so durchgreifender Art pflegen mit Abänderungen in der Stellung der Personen, welche ihre Träger sind, sowie der Einrichtung der wissen- schaftlichen Anstalten verbunden zu sein. Neben die Philosophen-
Die politiſche Wiſſenſchaft der metaphyſiſchen Schulen.
folgen, und ihren Lebensbedürfniſſen, alsdann mit dem römiſchen Staatsleben. Die ſtoiſche Schule verknüpft nun eine verein- fachte teleologiſche Metaphyſik mit dem Gedanken des Rechtes der Natur, und in dieſer dem praktiſchen Bedürfniß angepaßten Zuſammenfaſſung lag ein Hauptmoment ihrer Wirkung. Durch die Römer vollzieht ſich dann die epochemachende Ver- bindung der Spekulationen über das Naturrecht mit der poſitiven Jurisprudenz.
Und in dieſer Literatur arbeitet ſich nun ein verändertes geſellſchaftliches Gefühl des Menſchen der letzten Jahrhunderte vor Chriſtus durch. Dies iſt ſchon in der Art bemerkbar, in welcher der ſelbſtſüchtige Quietismus der Epikureer das Naturrecht der älteren nationalen Zeit umformt. Der Staat iſt nach dieſer Schule auf einen Sicherheitsvertrag gegründet, der von dem Intereſſe diktirt wird; ſo iſt der Privatmenſch und deſſen Intereſſe der Maßſtab ſeines Werthes. Das veränderte geſellſchaftliche Gefühl findet aber einen würdigeren Ausdruck in der politiſchen Wiſſenſchaft der ſtoiſchen Schule. Die monotheiſtiſche Metaphyſik entwickelt hier Folgerungen, welche durch den nationalgriechiſchen Geiſt und ſeine Inſtitutionen vorher gehemmt waren. Nun wird die Ge- ſammtheit aller vernünftigen Weſen als Ein Staat betrachtet, in welchem die Einzelſtaaten enthalten ſind, wie Häuſer in einer Stadt. Dieſer Staat lebt unter Einem Geſetz, das als allgemeines Naturgeſetz über allen einzelnen politiſchen Rechtsordnungen ſteht. Die einzelnen Bürger dieſes Staates ſind mit gewiſſen Rechten aus- geſtattet, die auf jenem allgemeinen Geſetz beruhen. Der Wirkungs- bereich des Weiſen iſt dieſer Weltſtaat.
Die Selbſtändigkeit der Einzelwiſſenſchaften.
Zugleich traten nun die alten Völker, wie erwähnt, in das Stadium der Einzelwiſſenſchaften. Intellektuelle Veränderungen ſo durchgreifender Art pflegen mit Abänderungen in der Stellung der Perſonen, welche ihre Träger ſind, ſowie der Einrichtung der wiſſen- ſchaftlichen Anſtalten verbunden zu ſein. Neben die Philoſophen-
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Die politiſche Wiſſenſchaft der metaphyſiſchen Schulen.
folgen, und ihren Lebensbedürfniſſen, alsdann mit dem römiſchen
Staatsleben. Die ſtoiſche Schule verknüpft nun eine verein-
fachte teleologiſche Metaphyſik mit dem Gedanken des
Rechtes der Natur, und in dieſer dem praktiſchen Bedürfniß
angepaßten Zuſammenfaſſung lag ein Hauptmoment ihrer Wirkung.
Durch die Römer vollzieht ſich dann die epochemachende Ver-
bindung der Spekulationen über das Naturrecht mit der
poſitiven Jurisprudenz.
Und in dieſer Literatur arbeitet ſich nun ein verändertes
geſellſchaftliches Gefühl des Menſchen der letzten Jahrhunderte
vor Chriſtus durch. Dies iſt ſchon in der Art bemerkbar, in welcher
der ſelbſtſüchtige Quietismus der Epikureer das Naturrecht der
älteren nationalen Zeit umformt. Der Staat iſt nach dieſer Schule
auf einen Sicherheitsvertrag gegründet, der von dem Intereſſe
diktirt wird; ſo iſt der Privatmenſch und deſſen Intereſſe der
Maßſtab ſeines Werthes. Das veränderte geſellſchaftliche Gefühl
findet aber einen würdigeren Ausdruck in der politiſchen Wiſſenſchaft
der ſtoiſchen Schule. Die monotheiſtiſche Metaphyſik entwickelt
hier Folgerungen, welche durch den nationalgriechiſchen Geiſt und
ſeine Inſtitutionen vorher gehemmt waren. Nun wird die Ge-
ſammtheit aller vernünftigen Weſen als Ein Staat betrachtet, in
welchem die Einzelſtaaten enthalten ſind, wie Häuſer in einer
Stadt. Dieſer Staat lebt unter Einem Geſetz, das als allgemeines
Naturgeſetz über allen einzelnen politiſchen Rechtsordnungen ſteht.
Die einzelnen Bürger dieſes Staates ſind mit gewiſſen Rechten aus-
geſtattet, die auf jenem allgemeinen Geſetz beruhen. Der Wirkungs-
bereich des Weiſen iſt dieſer Weltſtaat.
Die Selbſtändigkeit der Einzelwiſſenſchaften.
Zugleich traten nun die alten Völker, wie erwähnt, in das
Stadium der Einzelwiſſenſchaften. Intellektuelle Veränderungen ſo
durchgreifender Art pflegen mit Abänderungen in der Stellung der
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ſchaftlichen Anſtalten verbunden zu ſein. Neben die Philoſophen-
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/332>, abgerufen am 22.02.2025.
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