Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite
Fortschritt der Methode der Metaphysik in Plato.
Fünftes Kapitel.
Plato.

Vermittelst der neuen Methode des Socrates gestaltete Plato
die Wissenschaft vom Kosmos, von seinem gedankenmäßigen Zu-
sammenhang und seiner vernünftigen einheitlichen Ursache fort.
So entstand die dem wissenschaftlichen Ergebniß des Socrates
entsprechende Metaphysik als Vernunftwissenschaft. Nur diesen
Fortschritt in dem Erkenntnißzusammenhang heben wir aus seinen
Schriften heraus, dem Zauber derselben hier widerstehend, der
gerade aus der Verschmelzung solcher Sätze mit den Empfindungen
eines von der Schönheit der griechischen Welt gesättigten Genius
entspringt.

Fortschritt der metaphysischen Methode.

Der Fortschritt ist in der sokratischen Schule vollzogen;
Wissenschaft, damals sagte man: Philosophie, ist nun nicht mehr
Ableitung von Erscheinungen aus einem Prinzip, sondern ein
Gedankenzusammenhang, in welchem der Satz durch seinen Er-
kenntnißgrund gewährleistet
ist. Diesem logischen Be-
mußtsein Platos erscheinen alle Denker vor Socrates wie Märchen-
erzähler. "Jeder, scheint es, hat uns sein Geschichtchen erzählt, wie
Kindern. Der Eine: dreierlei wäre das Seiende, bisweilen
Einiges davon unter einander im Streit, dann wieder Alles sich
befreundet, da es dann Hochzeiten giebt und Zeugungen und Auf-
erziehen des Erzeugten. Ein anderer nimmt der Dinge zwei an,
feucht und trocken oder warm und kalt, macht ihnen ein gemein-
sames Bett und verheirathet sie. Unser eleatisches Volk aber vom
Xenophanes und noch früher her trägt seine Geschichte so vor,
als ob das, was wir Alles nennen, nur Eines wäre" 1). Im

1) Plato, Sophistes 242 c d. Vgl. die verwandte Schilderung
Theätet 180 f. und den entsprechenden Uebergang zu der Aufgabe, von den
Behauptungen der älteren Schulen auf die Erkenntnißgründe
derselben zurückzugehen.
Dilthey, Einleitung. 15
Fortſchritt der Methode der Metaphyſik in Plato.
Fünftes Kapitel.
Plato.

Vermittelſt der neuen Methode des Socrates geſtaltete Plato
die Wiſſenſchaft vom Kosmos, von ſeinem gedankenmäßigen Zu-
ſammenhang und ſeiner vernünftigen einheitlichen Urſache fort.
So entſtand die dem wiſſenſchaftlichen Ergebniß des Socrates
entſprechende Metaphyſik als Vernunftwiſſenſchaft. Nur dieſen
Fortſchritt in dem Erkenntnißzuſammenhang heben wir aus ſeinen
Schriften heraus, dem Zauber derſelben hier widerſtehend, der
gerade aus der Verſchmelzung ſolcher Sätze mit den Empfindungen
eines von der Schönheit der griechiſchen Welt geſättigten Genius
entſpringt.

Fortſchritt der metaphyſiſchen Methode.

Der Fortſchritt iſt in der ſokratiſchen Schule vollzogen;
Wiſſenſchaft, damals ſagte man: Philoſophie, iſt nun nicht mehr
Ableitung von Erſcheinungen aus einem Prinzip, ſondern ein
Gedankenzuſammenhang, in welchem der Satz durch ſeinen Er-
kenntnißgrund gewährleiſtet
iſt. Dieſem logiſchen Be-
mußtſein Platos erſcheinen alle Denker vor Socrates wie Märchen-
erzähler. „Jeder, ſcheint es, hat uns ſein Geſchichtchen erzählt, wie
Kindern. Der Eine: dreierlei wäre das Seiende, bisweilen
Einiges davon unter einander im Streit, dann wieder Alles ſich
befreundet, da es dann Hochzeiten giebt und Zeugungen und Auf-
erziehen des Erzeugten. Ein anderer nimmt der Dinge zwei an,
feucht und trocken oder warm und kalt, macht ihnen ein gemein-
ſames Bett und verheirathet ſie. Unſer eleatiſches Volk aber vom
Xenophanes und noch früher her trägt ſeine Geſchichte ſo vor,
als ob das, was wir Alles nennen, nur Eines wäre“ 1). Im

1) Plato, Sophiſtes 242 c d. Vgl. die verwandte Schilderung
Theätet 180 f. und den entſprechenden Uebergang zu der Aufgabe, von den
Behauptungen der älteren Schulen auf die Erkenntnißgründe
derſelben zurückzugehen.
Dilthey, Einleitung. 15
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0248" n="225"/>
          <fw place="top" type="header">Fort&#x017F;chritt der Methode der Metaphy&#x017F;ik in Plato.</fw><lb/>
          <div n="3">
            <head><hi rendition="#g">Fünftes Kapitel</hi>.<lb/><hi rendition="#b">Plato.</hi></head><lb/>
            <p>Vermittel&#x017F;t der neuen Methode des Socrates ge&#x017F;taltete Plato<lb/>
die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft vom Kosmos, von &#x017F;einem gedankenmäßigen Zu-<lb/>
&#x017F;ammenhang und &#x017F;einer vernünftigen einheitlichen Ur&#x017F;ache fort.<lb/>
So ent&#x017F;tand die dem wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Ergebniß des Socrates<lb/>
ent&#x017F;prechende <hi rendition="#g">Metaphy&#x017F;ik als Vernunftwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft</hi>. Nur die&#x017F;en<lb/>
Fort&#x017F;chritt in dem Erkenntnißzu&#x017F;ammenhang heben wir aus &#x017F;einen<lb/>
Schriften heraus, dem Zauber der&#x017F;elben hier wider&#x017F;tehend, der<lb/>
gerade aus der Ver&#x017F;chmelzung &#x017F;olcher Sätze mit den Empfindungen<lb/>
eines von der Schönheit der griechi&#x017F;chen Welt ge&#x017F;ättigten Genius<lb/>
ent&#x017F;pringt.</p><lb/>
            <div n="4">
              <head><hi rendition="#g">Fort&#x017F;chritt der metaphy&#x017F;i&#x017F;chen Methode</hi>.</head><lb/>
              <p>Der Fort&#x017F;chritt i&#x017F;t in der &#x017F;okrati&#x017F;chen Schule vollzogen;<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, damals &#x017F;agte man: Philo&#x017F;ophie, i&#x017F;t nun nicht mehr<lb/>
Ableitung von Er&#x017F;cheinungen aus einem Prinzip, &#x017F;ondern ein<lb/>
Gedankenzu&#x017F;ammenhang, in welchem der <hi rendition="#g">Satz</hi> durch &#x017F;einen <hi rendition="#g">Er-<lb/>
kenntnißgrund gewährlei&#x017F;tet</hi> i&#x017F;t. Die&#x017F;em logi&#x017F;chen Be-<lb/>
mußt&#x017F;ein Platos er&#x017F;cheinen alle Denker vor Socrates wie Märchen-<lb/>
erzähler. &#x201E;Jeder, &#x017F;cheint es, hat uns &#x017F;ein Ge&#x017F;chichtchen erzählt, wie<lb/>
Kindern. Der Eine: dreierlei wäre das Seiende, bisweilen<lb/>
Einiges davon unter einander im Streit, dann wieder Alles &#x017F;ich<lb/>
befreundet, da es dann Hochzeiten giebt und Zeugungen und Auf-<lb/>
erziehen des Erzeugten. Ein anderer nimmt der Dinge zwei an,<lb/>
feucht und trocken oder warm und kalt, macht ihnen ein gemein-<lb/>
&#x017F;ames Bett und verheirathet &#x017F;ie. Un&#x017F;er eleati&#x017F;ches Volk aber vom<lb/>
Xenophanes und noch früher her trägt &#x017F;eine Ge&#x017F;chichte &#x017F;o vor,<lb/>
als ob das, was wir Alles nennen, nur Eines wäre&#x201C; <note place="foot" n="1)">Plato, Sophi&#x017F;tes 242 <hi rendition="#aq">c d.</hi> Vgl. die verwandte Schilderung<lb/>
Theätet 180 f. und den ent&#x017F;prechenden Uebergang zu der Aufgabe, von den<lb/><hi rendition="#g">Behauptungen</hi> der <hi rendition="#g">älteren Schulen</hi> auf die <hi rendition="#g">Erkenntnißgründe</hi><lb/>
der&#x017F;elben zurückzugehen.</note>. Im<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Dilthey</hi>, Einleitung. 15</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[225/0248] Fortſchritt der Methode der Metaphyſik in Plato. Fünftes Kapitel. Plato. Vermittelſt der neuen Methode des Socrates geſtaltete Plato die Wiſſenſchaft vom Kosmos, von ſeinem gedankenmäßigen Zu- ſammenhang und ſeiner vernünftigen einheitlichen Urſache fort. So entſtand die dem wiſſenſchaftlichen Ergebniß des Socrates entſprechende Metaphyſik als Vernunftwiſſenſchaft. Nur dieſen Fortſchritt in dem Erkenntnißzuſammenhang heben wir aus ſeinen Schriften heraus, dem Zauber derſelben hier widerſtehend, der gerade aus der Verſchmelzung ſolcher Sätze mit den Empfindungen eines von der Schönheit der griechiſchen Welt geſättigten Genius entſpringt. Fortſchritt der metaphyſiſchen Methode. Der Fortſchritt iſt in der ſokratiſchen Schule vollzogen; Wiſſenſchaft, damals ſagte man: Philoſophie, iſt nun nicht mehr Ableitung von Erſcheinungen aus einem Prinzip, ſondern ein Gedankenzuſammenhang, in welchem der Satz durch ſeinen Er- kenntnißgrund gewährleiſtet iſt. Dieſem logiſchen Be- mußtſein Platos erſcheinen alle Denker vor Socrates wie Märchen- erzähler. „Jeder, ſcheint es, hat uns ſein Geſchichtchen erzählt, wie Kindern. Der Eine: dreierlei wäre das Seiende, bisweilen Einiges davon unter einander im Streit, dann wieder Alles ſich befreundet, da es dann Hochzeiten giebt und Zeugungen und Auf- erziehen des Erzeugten. Ein anderer nimmt der Dinge zwei an, feucht und trocken oder warm und kalt, macht ihnen ein gemein- ſames Bett und verheirathet ſie. Unſer eleatiſches Volk aber vom Xenophanes und noch früher her trägt ſeine Geſchichte ſo vor, als ob das, was wir Alles nennen, nur Eines wäre“ 1). Im 1) Plato, Sophiſtes 242 c d. Vgl. die verwandte Schilderung Theätet 180 f. und den entſprechenden Uebergang zu der Aufgabe, von den Behauptungen der älteren Schulen auf die Erkenntnißgründe derſelben zurückzugehen. Dilthey, Einleitung. 15

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Darüber hinaus sind keine weiteren Bände erschien… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/248
Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/248>, abgerufen am 21.12.2024.