Arbeit und Muße bilden den Gegensatz, der das Leben beherrscht. Er ist durch kein Naturgesetz geregelt, wie Ebbe und Fluth oder wie das Ein- und Ausathmen der Brust, son¬ dern dem Willen anheim gegeben. Darauf beruht seine Be¬ deutung für das sittliche Leben; deshalb beurtheilen wir die Bildung eines Menschen darnach, wie er seine Muße genießt, und die richtige Theilung zwischen Arbeit und Muße bleibt eine der höchsten Aufgaben der Lebenskunst, welche man nie zu Ende lernt. Da wir nun heute nach des Winters Arbeit in schöner Muße vereinigt sind, den Festtag zu feiern, dem wir durch eine wissenschaftliche Betrachtung die unserm Beruf entsprechende Weihe zu geben suchen, so gestatten Sie mir Ihre Aufmerksamkeit darauf zu lenken, welche Stelle die Muße im Menschenleben einnimmt und wie sich in der Auffassung derselben die Völker und Zeiten unterscheiden.
Wenn wir die Wörter: Muße, müßig und Müßiggang zusammenstellen, bemerken wir schon, wie zarter Natur der Begriff ist, um den es sich handelt. Er hat auch eine merk¬ würdige Geschichte. Denn dem Gymnasiasten, der an einem heißen Sommertage seinen Schuldienst antritt, will es schwer einleuchten, daß schola "Muße" bedeute.
Uns pflegt die Muße inmitten der Arbeit als eine er¬ spruch mit dem Brahmanismus entstandene neue Anschauung
IX. Arbeit und Muße.
Arbeit und Muße bilden den Gegenſatz, der das Leben beherrſcht. Er iſt durch kein Naturgeſetz geregelt, wie Ebbe und Fluth oder wie das Ein- und Ausathmen der Bruſt, ſon¬ dern dem Willen anheim gegeben. Darauf beruht ſeine Be¬ deutung für das ſittliche Leben; deshalb beurtheilen wir die Bildung eines Menſchen darnach, wie er ſeine Muße genießt, und die richtige Theilung zwiſchen Arbeit und Muße bleibt eine der höchſten Aufgaben der Lebenskunſt, welche man nie zu Ende lernt. Da wir nun heute nach des Winters Arbeit in ſchöner Muße vereinigt ſind, den Feſttag zu feiern, dem wir durch eine wiſſenſchaftliche Betrachtung die unſerm Beruf entſprechende Weihe zu geben ſuchen, ſo geſtatten Sie mir Ihre Aufmerkſamkeit darauf zu lenken, welche Stelle die Muße im Menſchenleben einnimmt und wie ſich in der Auffaſſung derſelben die Völker und Zeiten unterſcheiden.
Wenn wir die Wörter: Muße, müßig und Müßiggang zuſammenſtellen, bemerken wir ſchon, wie zarter Natur der Begriff iſt, um den es ſich handelt. Er hat auch eine merk¬ würdige Geſchichte. Denn dem Gymnaſiaſten, der an einem heißen Sommertage ſeinen Schuldienſt antritt, will es ſchwer einleuchten, daß schola »Muße« bedeute.
Uns pflegt die Muße inmitten der Arbeit als eine er¬ ſpruch mit dem Brahmanismus entſtandene neue Anſchauung
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IX.
Arbeit und Muße.
Arbeit und Muße bilden den Gegenſatz, der das Leben
beherrſcht. Er iſt durch kein Naturgeſetz geregelt, wie Ebbe
und Fluth oder wie das Ein- und Ausathmen der Bruſt, ſon¬
dern dem Willen anheim gegeben. Darauf beruht ſeine Be¬
deutung für das ſittliche Leben; deshalb beurtheilen wir die
Bildung eines Menſchen darnach, wie er ſeine Muße genießt,
und die richtige Theilung zwiſchen Arbeit und Muße bleibt
eine der höchſten Aufgaben der Lebenskunſt, welche man nie
zu Ende lernt. Da wir nun heute nach des Winters Arbeit
in ſchöner Muße vereinigt ſind, den Feſttag zu feiern, dem
wir durch eine wiſſenſchaftliche Betrachtung die unſerm Beruf
entſprechende Weihe zu geben ſuchen, ſo geſtatten Sie mir
Ihre Aufmerkſamkeit darauf zu lenken, welche Stelle die Muße
im Menſchenleben einnimmt und wie ſich in der Auffaſſung
derſelben die Völker und Zeiten unterſcheiden.
Wenn wir die Wörter: Muße, müßig und Müßiggang
zuſammenſtellen, bemerken wir ſchon, wie zarter Natur der
Begriff iſt, um den es ſich handelt. Er hat auch eine merk¬
würdige Geſchichte. Denn dem Gymnaſiaſten, der an einem
heißen Sommertage ſeinen Schuldienſt antritt, will es ſchwer
einleuchten, daß schola »Muße« bedeute.
Uns pflegt die Muße inmitten der Arbeit als eine er¬
ſpruch mit dem Brahmanismus entſtandene neue Anſchauung
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/164>, abgerufen am 30.12.2024.
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