Da nun wegen des ewigen Fortschreitens der Natur, und der unendlichen Mannichfaltigkeit ihrer Erscheinungen, keine Kraft immer in ganz gleichen Verhältnissen sich befin- det, mithin auch nicht gleiche Erscheinungen hervorbringen kann, da sie im Gegentheile, vermöge des unabänderlichen Laufes der Natur, oft durch die Umstände gegen ihren eig- nen Zweck zu würken bestimmt wird: so erkennen wir schon in analogischer Rücksicht die unausbleibliche Folge der Krankheiten, als einer gleichen Modification der Naturkraft gegen ihren zeitigen Zweck.
§ 31.
Wenn wir aber sodann bedenken, daß ein Wesen in demselben Verhältnisse mehrere Modificationen seiner Wür- kungsart zuläßt, je nachdem es mehr oder weniger mit man- nichfaltigen Kräften versehen ist; daß ferner jede Kraft in ihrer Würkung um desto mehr verändert werden kann, je beträchtlicher der Kreis von Dingen ist, welche sie berühren, und auf sie einwürken; daß endlich diese Veränderung einer Kraft desto leichter erfolgt, je würksamer sie selbst ist, je zarter, zusammengesetzter, feiner also auch ihre Organe sind: so begreifen wir, daß der Mensch, als Bürger der physischen, organischen, thierischen und geistigen Schö- pfung, als ein System der mannichfaltigsten Kräfte, als ein Wesen von dem ausgebreitetsten Würkungskreise und der lei- sesten Empfänglichkeit für die verschiedenartigsten Eindrücke, -- daß derselbe auch unter allen Geschöpfen des Erdkreises den meisten Modificationen seiner Existenz, also auch den meisten Krankheiten unterworfen seyn muß *); und zwar muß die Möglichkeit dieser Veränderung in demselben Grade wachsen, in welchem die Berührungspuncte des
Menschen
Erſter Theil.
§ 30.
Da nun wegen des ewigen Fortſchreitens der Natur, und der unendlichen Mannichfaltigkeit ihrer Erſcheinungen, keine Kraft immer in ganz gleichen Verhaͤltniſſen ſich befin- det, mithin auch nicht gleiche Erſcheinungen hervorbringen kann, da ſie im Gegentheile, vermoͤge des unabaͤnderlichen Laufes der Natur, oft durch die Umſtaͤnde gegen ihren eig- nen Zweck zu wuͤrken beſtimmt wird: ſo erkennen wir ſchon in analogiſcher Ruͤckſicht die unausbleibliche Folge der Krankheiten, als einer gleichen Modification der Naturkraft gegen ihren zeitigen Zweck.
§ 31.
Wenn wir aber ſodann bedenken, daß ein Weſen in demſelben Verhaͤltniſſe mehrere Modificationen ſeiner Wuͤr- kungsart zulaͤßt, je nachdem es mehr oder weniger mit man- nichfaltigen Kraͤften verſehen iſt; daß ferner jede Kraft in ihrer Wuͤrkung um deſto mehr veraͤndert werden kann, je betraͤchtlicher der Kreis von Dingen iſt, welche ſie beruͤhren, und auf ſie einwuͤrken; daß endlich dieſe Veraͤnderung einer Kraft deſto leichter erfolgt, je wuͤrkſamer ſie ſelbſt iſt, je zarter, zuſammengeſetzter, feiner alſo auch ihre Organe ſind: ſo begreifen wir, daß der Menſch, als Buͤrger der phyſiſchen, organiſchen, thieriſchen und geiſtigen Schoͤ- pfung, als ein Syſtem der mannichfaltigſten Kraͤfte, als ein Weſen von dem ausgebreitetſten Wuͤrkungskreiſe und der lei- ſeſten Empfaͤnglichkeit fuͤr die verſchiedenartigſten Eindruͤcke, — daß derſelbe auch unter allen Geſchoͤpfen des Erdkreiſes den meiſten Modificationen ſeiner Exiſtenz, alſo auch den meiſten Krankheiten unterworfen ſeyn muß *); und zwar muß die Moͤglichkeit dieſer Veraͤnderung in demſelben Grade wachſen, in welchem die Beruͤhrungspuncte des
Menſchen
<TEI><text><body><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0030"n="12"/><fwplace="top"type="header">Erſter Theil.</fw><lb/><divn="5"><head>§ 30.</head><lb/><p>Da nun wegen des ewigen Fortſchreitens der Natur,<lb/>
und der unendlichen Mannichfaltigkeit ihrer Erſcheinungen,<lb/>
keine Kraft immer in ganz gleichen Verhaͤltniſſen ſich befin-<lb/>
det, mithin auch nicht gleiche Erſcheinungen hervorbringen<lb/>
kann, da ſie im Gegentheile, vermoͤge des unabaͤnderlichen<lb/>
Laufes der Natur, oft durch die Umſtaͤnde gegen ihren eig-<lb/>
nen Zweck zu wuͤrken beſtimmt wird: ſo erkennen wir ſchon<lb/>
in <hirendition="#g">analogiſcher</hi> Ruͤckſicht die unausbleibliche Folge der<lb/>
Krankheiten, als einer gleichen Modification der Naturkraft<lb/>
gegen ihren zeitigen Zweck.</p></div><lb/><divn="5"><head>§ 31.</head><lb/><p>Wenn wir aber ſodann bedenken, daß ein Weſen in<lb/>
demſelben Verhaͤltniſſe mehrere Modificationen ſeiner Wuͤr-<lb/>
kungsart zulaͤßt, je nachdem es mehr oder weniger mit man-<lb/>
nichfaltigen Kraͤften verſehen iſt; daß ferner jede Kraft in<lb/>
ihrer Wuͤrkung um deſto mehr veraͤndert werden kann, je<lb/>
betraͤchtlicher der Kreis von Dingen iſt, welche ſie beruͤhren,<lb/>
und auf ſie einwuͤrken; daß endlich dieſe Veraͤnderung einer<lb/>
Kraft deſto leichter erfolgt, je wuͤrkſamer ſie ſelbſt iſt, je<lb/>
zarter, zuſammengeſetzter, feiner alſo auch ihre Organe<lb/>ſind: ſo begreifen wir, daß der Menſch, als Buͤrger der<lb/>
phyſiſchen, organiſchen, thieriſchen und geiſtigen Schoͤ-<lb/>
pfung, als ein Syſtem der mannichfaltigſten Kraͤfte, als ein<lb/>
Weſen von dem ausgebreitetſten Wuͤrkungskreiſe und der lei-<lb/>ſeſten Empfaͤnglichkeit fuͤr die verſchiedenartigſten Eindruͤcke,<lb/>— daß derſelbe auch unter allen Geſchoͤpfen des Erdkreiſes<lb/>
den meiſten Modificationen ſeiner Exiſtenz, alſo auch den<lb/>
meiſten Krankheiten unterworfen ſeyn muß *); und zwar<lb/>
muß die Moͤglichkeit dieſer Veraͤnderung in demſelben<lb/>
Grade wachſen, in welchem die Beruͤhrungspuncte des<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Menſchen</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[12/0030]
Erſter Theil.
§ 30.
Da nun wegen des ewigen Fortſchreitens der Natur,
und der unendlichen Mannichfaltigkeit ihrer Erſcheinungen,
keine Kraft immer in ganz gleichen Verhaͤltniſſen ſich befin-
det, mithin auch nicht gleiche Erſcheinungen hervorbringen
kann, da ſie im Gegentheile, vermoͤge des unabaͤnderlichen
Laufes der Natur, oft durch die Umſtaͤnde gegen ihren eig-
nen Zweck zu wuͤrken beſtimmt wird: ſo erkennen wir ſchon
in analogiſcher Ruͤckſicht die unausbleibliche Folge der
Krankheiten, als einer gleichen Modification der Naturkraft
gegen ihren zeitigen Zweck.
§ 31.
Wenn wir aber ſodann bedenken, daß ein Weſen in
demſelben Verhaͤltniſſe mehrere Modificationen ſeiner Wuͤr-
kungsart zulaͤßt, je nachdem es mehr oder weniger mit man-
nichfaltigen Kraͤften verſehen iſt; daß ferner jede Kraft in
ihrer Wuͤrkung um deſto mehr veraͤndert werden kann, je
betraͤchtlicher der Kreis von Dingen iſt, welche ſie beruͤhren,
und auf ſie einwuͤrken; daß endlich dieſe Veraͤnderung einer
Kraft deſto leichter erfolgt, je wuͤrkſamer ſie ſelbſt iſt, je
zarter, zuſammengeſetzter, feiner alſo auch ihre Organe
ſind: ſo begreifen wir, daß der Menſch, als Buͤrger der
phyſiſchen, organiſchen, thieriſchen und geiſtigen Schoͤ-
pfung, als ein Syſtem der mannichfaltigſten Kraͤfte, als ein
Weſen von dem ausgebreitetſten Wuͤrkungskreiſe und der lei-
ſeſten Empfaͤnglichkeit fuͤr die verſchiedenartigſten Eindruͤcke,
— daß derſelbe auch unter allen Geſchoͤpfen des Erdkreiſes
den meiſten Modificationen ſeiner Exiſtenz, alſo auch den
meiſten Krankheiten unterworfen ſeyn muß *); und zwar
muß die Moͤglichkeit dieſer Veraͤnderung in demſelben
Grade wachſen, in welchem die Beruͤhrungspuncte des
Menſchen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Burdach, Karl Friedrich: Propädeutik zum Studium der gesammten Heilkunst. Leipzig, 1800, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burdach_propaedeutik_1800/30>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.