Gedanken über den freyen Willen; aus Mr. Voltaire übersetzt.
Ach erwägt, was sonder Freyheit doch der Menschen Seelen wären! Nur beweglich, durch ein Feur, das nicht sichtbar, um- getrieben, Würden unsre Handlungen, Wünsche, Lüste, Haß und Lieben, Kurz: von unserm ganzen Wesen würde nichts uns zuge- hören. Unvermögende Maschinen eines Meisters, der sie regt, Denkendes bewegtes Werkzeug, durch der Gottheit Hand bewegt, Bloß mit Jrrthum nur beschäfftigt, wären Menschen ins- gemein. Schlechte Werkzeug' einer Gottheit, die uns täuscht'. Auf welche Weise Könnten wir sein Ebenbild, sonder eine Freyheit, seyn? Von so ungeschliffnen Werken, was gereicht' ihm wohl zum Preise? Man würd' ihm nicht dienen können, auch nicht seinen Zorn entzünden. Nichts würd' er an uns zu strafen, auch nichts zu beloh- nen, finden. Weder in des Himmels Höhen, noch hienieden auf der Erden, Würde dann Gerechtigkeit können angetroffen wer- den.
Cato
zum irdiſchen Vergnuͤgen in Gott.
Gedanken uͤber den freyen Willen; aus Mr. Voltaire uͤberſetzt.
Ach erwaͤgt, was ſonder Freyheit doch der Menſchen Seelen waͤren! Nur beweglich, durch ein Feur, das nicht ſichtbar, um- getrieben, Wuͤrden unſre Handlungen, Wuͤnſche, Luͤſte, Haß und Lieben, Kurz: von unſerm ganzen Weſen wuͤrde nichts uns zuge- hoͤren. Unvermoͤgende Maſchinen eines Meiſters, der ſie regt, Denkendes bewegtes Werkzeug, durch der Gottheit Hand bewegt, Bloß mit Jrrthum nur beſchaͤfftigt, waͤren Menſchen ins- gemein. Schlechte Werkzeug’ einer Gottheit, die uns taͤuſcht’. Auf welche Weiſe Koͤnnten wir ſein Ebenbild, ſonder eine Freyheit, ſeyn? Von ſo ungeſchliffnen Werken, was gereicht’ ihm wohl zum Preiſe? Man wuͤrd’ ihm nicht dienen koͤnnen, auch nicht ſeinen Zorn entzuͤnden. Nichts wuͤrd’ er an uns zu ſtrafen, auch nichts zu beloh- nen, finden. Weder in des Himmels Hoͤhen, noch hienieden auf der Erden, Wuͤrde dann Gerechtigkeit koͤnnen angetroffen wer- den.
Cato
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[461/0481]
zum irdiſchen Vergnuͤgen in Gott.
Gedanken uͤber den freyen Willen;
aus Mr. Voltaire uͤberſetzt.
Ach erwaͤgt, was ſonder Freyheit doch der Menſchen
Seelen waͤren!
Nur beweglich, durch ein Feur, das nicht ſichtbar, um-
getrieben,
Wuͤrden unſre Handlungen, Wuͤnſche, Luͤſte, Haß und
Lieben,
Kurz: von unſerm ganzen Weſen wuͤrde nichts uns zuge-
hoͤren.
Unvermoͤgende Maſchinen eines Meiſters, der ſie regt,
Denkendes bewegtes Werkzeug, durch der Gottheit Hand
bewegt,
Bloß mit Jrrthum nur beſchaͤfftigt, waͤren Menſchen ins-
gemein.
Schlechte Werkzeug’ einer Gottheit, die uns taͤuſcht’.
Auf welche Weiſe
Koͤnnten wir ſein Ebenbild, ſonder eine Freyheit,
ſeyn?
Von ſo ungeſchliffnen Werken, was gereicht’ ihm wohl
zum Preiſe?
Man wuͤrd’ ihm nicht dienen koͤnnen, auch nicht ſeinen
Zorn entzuͤnden.
Nichts wuͤrd’ er an uns zu ſtrafen, auch nichts zu beloh-
nen, finden.
Weder in des Himmels Hoͤhen, noch hienieden auf der
Erden,
Wuͤrde dann Gerechtigkeit koͤnnen angetroffen wer-
den.
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Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/481>, abgerufen am 03.03.2025.
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