Cato wäre voller Laster, Catilina tugendhaft, Zu den abgefeimisten Thaten zwäng uns selbst des Schick- sals Kraft, Und der Chaos der Natur Wäre für die Bösen nur. Der blutgierigste Tyrann, und der geizigste Verräther, Miriveis und ein Cartouche, und die größten Missethäter, Ja, der schlimmer noch als alle, der Verleumder, könnte sprechen: Jch bin frey von Uebertretung! Er verrichtet mein Verbrechen, Jch nicht. Er nur bricht mein Wort. Er nur wirkt, durch meine Hand, Rauben, Morden, Blutvergießen, Landverwüstungen und Brand. Also würd' ein Gott des Friedens und auch der Gerech- tigkeit Alles Uebels Ursach seyn, aller Unvollkommenheit. Die Vertheidiger so schlimmer, sträflicher und böser Lehre Könnten sie wohl anders handeln, wenn ihr Gott der Teufel wäre?
A. Dieß ist ein unvergleichlich Stück. Doch wend ich dieß dagegen ein: Es scheint von dem berühmten Dichter kein Unterscheid gemacht zu seyn Von unserer Vernunft zum Wollen. Jch leugne seine Schlüsse nicht, Jndem, daß wir entschließen können, ja die Erfahrung deutlich spricht. Nur muß wohl untersuchet werden, ob von dem Willen nur allein,
Als
Vermiſchte Gedichte
Cato waͤre voller Laſter, Catilina tugendhaft, Zu den abgefeimiſten Thaten zwaͤng uns ſelbſt des Schick- ſals Kraft, Und der Chaos der Natur Waͤre fuͤr die Boͤſen nur. Der blutgierigſte Tyrann, und der geizigſte Verraͤther, Miriveis und ein Cartouche, und die groͤßten Miſſethaͤter, Ja, der ſchlimmer noch als alle, der Verleumder, koͤnnte ſprechen: Jch bin frey von Uebertretung! Er verrichtet mein Verbrechen, Jch nicht. Er nur bricht mein Wort. Er nur wirkt, durch meine Hand, Rauben, Morden, Blutvergießen, Landverwuͤſtungen und Brand. Alſo wuͤrd’ ein Gott des Friedens und auch der Gerech- tigkeit Alles Uebels Urſach ſeyn, aller Unvollkommenheit. Die Vertheidiger ſo ſchlimmer, ſtraͤflicher und boͤſer Lehre Koͤnnten ſie wohl anders handeln, wenn ihr Gott der Teufel waͤre?
A. Dieß iſt ein unvergleichlich Stuͤck. Doch wend ich dieß dagegen ein: Es ſcheint von dem beruͤhmten Dichter kein Unterſcheid gemacht zu ſeyn Von unſerer Vernunft zum Wollen. Jch leugne ſeine Schluͤſſe nicht, Jndem, daß wir entſchließen koͤnnen, ja die Erfahrung deutlich ſpricht. Nur muß wohl unterſuchet werden, ob von dem Willen nur allein,
Als
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><lgn="11"><l><pbfacs="#f0482"n="462"/><fwplace="top"type="header">Vermiſchte Gedichte</fw></l><lb/><l>Cato waͤre voller Laſter, Catilina tugendhaft,</l><lb/><l>Zu den abgefeimiſten Thaten zwaͤng uns ſelbſt des Schick-<lb/><hirendition="#et">ſals Kraft,</hi></l><lb/><l>Und der Chaos der Natur</l><lb/><l>Waͤre fuͤr die Boͤſen nur.</l><lb/><l>Der blutgierigſte Tyrann, und der geizigſte Verraͤther,</l><lb/><l>Miriveis und ein Cartouche, und die groͤßten Miſſethaͤter,</l><lb/><l>Ja, der ſchlimmer noch als alle, der Verleumder,<lb/><hirendition="#et">koͤnnte ſprechen:</hi></l><lb/><l>Jch bin frey von Uebertretung! Er verrichtet mein<lb/><hirendition="#et">Verbrechen,</hi></l><lb/><l>Jch nicht. Er nur bricht mein Wort. Er nur wirkt,<lb/><hirendition="#et">durch meine Hand,</hi></l><lb/><l>Rauben, Morden, Blutvergießen, Landverwuͤſtungen<lb/><hirendition="#et">und Brand.</hi></l><lb/><l>Alſo wuͤrd’ ein Gott des Friedens und auch der Gerech-<lb/><hirendition="#et">tigkeit</hi></l><lb/><l>Alles Uebels Urſach ſeyn, aller Unvollkommenheit.</l><lb/><l>Die Vertheidiger ſo ſchlimmer, ſtraͤflicher und boͤſer Lehre</l><lb/><l>Koͤnnten ſie wohl anders handeln, wenn ihr Gott der<lb/><hirendition="#et">Teufel waͤre?</hi></l></lg><lb/><lgn="12"><l><hirendition="#aq">A.</hi> Dieß iſt ein unvergleichlich Stuͤck. Doch wend<lb/><hirendition="#et">ich dieß dagegen ein:</hi></l><lb/><l>Es ſcheint von dem beruͤhmten Dichter kein Unterſcheid<lb/><hirendition="#et">gemacht zu ſeyn</hi></l><lb/><l>Von unſerer Vernunft zum Wollen. Jch leugne ſeine<lb/><hirendition="#et">Schluͤſſe nicht,</hi></l><lb/><l>Jndem, daß wir entſchließen koͤnnen, ja die Erfahrung<lb/><hirendition="#et">deutlich ſpricht.</hi></l><lb/><l>Nur muß wohl unterſuchet werden, ob von dem Willen<lb/><hirendition="#et">nur allein,</hi><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Als</fw><lb/></l></lg></div></div></body></text></TEI>
[462/0482]
Vermiſchte Gedichte
Cato waͤre voller Laſter, Catilina tugendhaft,
Zu den abgefeimiſten Thaten zwaͤng uns ſelbſt des Schick-
ſals Kraft,
Und der Chaos der Natur
Waͤre fuͤr die Boͤſen nur.
Der blutgierigſte Tyrann, und der geizigſte Verraͤther,
Miriveis und ein Cartouche, und die groͤßten Miſſethaͤter,
Ja, der ſchlimmer noch als alle, der Verleumder,
koͤnnte ſprechen:
Jch bin frey von Uebertretung! Er verrichtet mein
Verbrechen,
Jch nicht. Er nur bricht mein Wort. Er nur wirkt,
durch meine Hand,
Rauben, Morden, Blutvergießen, Landverwuͤſtungen
und Brand.
Alſo wuͤrd’ ein Gott des Friedens und auch der Gerech-
tigkeit
Alles Uebels Urſach ſeyn, aller Unvollkommenheit.
Die Vertheidiger ſo ſchlimmer, ſtraͤflicher und boͤſer Lehre
Koͤnnten ſie wohl anders handeln, wenn ihr Gott der
Teufel waͤre?
A. Dieß iſt ein unvergleichlich Stuͤck. Doch wend
ich dieß dagegen ein:
Es ſcheint von dem beruͤhmten Dichter kein Unterſcheid
gemacht zu ſeyn
Von unſerer Vernunft zum Wollen. Jch leugne ſeine
Schluͤſſe nicht,
Jndem, daß wir entſchließen koͤnnen, ja die Erfahrung
deutlich ſpricht.
Nur muß wohl unterſuchet werden, ob von dem Willen
nur allein,
Als
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/482>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.