Es ist, zur holden Frühlings-Zeit, Die Welt so voller Lieblichkeit, Daß man, nicht ohn' Ergetzen, siehet, Wie auch so gar der Dornstrauch blühet, Und zwar so angenehm, so schön, Daß wir das schimmernde Gepränge, Der Bluhmen, Farben, Form und Menge, Nicht sonder Lust und Anmuth, sehn. Wie? dacht ich, soll der Fluch der Erden, Mit welchem sie beleget war Zu unsrer Strafe, denn so gar Ein Vorwurf unsrer Anmuth werden? Da ja so Dorn als Disteln blühn, Und sich, zu unsrer Augen-Weide, Mit einem Schimmer-reichen Kleide, Und bunten Farben, überziehn. Doch sey die Antwort ausgesetzt; Weil das, was ich, hier in der Nähe, Am Dornstrauch Schön- und Lieblichs sehe, Mir Aug' und Herz so sehr ergetzt, Daß ich es, mit gerührter Seele, Zum Vorwurf meiner Lieder wähle.
Wer, mit betrachtendem Gemüth, Den Bau des Dornstrauchs übersieht Den Zweig, den Dorn, das Laub, die Blüht; Auch, wie so ordentlich sie stehn, Wie sehr sie gleich verworren scheinen: Der findet alle Theile schön, Und zierlicher, als wie wir meynen.
Die
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Der bluͤhende Dornſtrauch.
Es iſt, zur holden Fruͤhlings-Zeit, Die Welt ſo voller Lieblichkeit, Daß man, nicht ohn’ Ergetzen, ſiehet, Wie auch ſo gar der Dornſtrauch bluͤhet, Und zwar ſo angenehm, ſo ſchoͤn, Daß wir das ſchimmernde Gepraͤnge, Der Bluhmen, Farben, Form und Menge, Nicht ſonder Luſt und Anmuth, ſehn. Wie? dacht ich, ſoll der Fluch der Erden, Mit welchem ſie beleget war Zu unſrer Strafe, denn ſo gar Ein Vorwurf unſrer Anmuth werden? Da ja ſo Dorn als Diſteln bluͤhn, Und ſich, zu unſrer Augen-Weide, Mit einem Schimmer-reichen Kleide, Und bunten Farben, uͤberziehn. Doch ſey die Antwort ausgeſetzt; Weil das, was ich, hier in der Naͤhe, Am Dornſtrauch Schoͤn- und Lieblichs ſehe, Mir Aug’ und Herz ſo ſehr ergetzt, Daß ich es, mit geruͤhrter Seele, Zum Vorwurf meiner Lieder waͤhle.
Wer, mit betrachtendem Gemuͤth, Den Bau des Dornſtrauchs uͤberſieht Den Zweig, den Dorn, das Laub, die Bluͤht; Auch, wie ſo ordentlich ſie ſtehn, Wie ſehr ſie gleich verworren ſcheinen: Der findet alle Theile ſchoͤn, Und zierlicher, als wie wir meynen.
Die
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Der bluͤhende Dornſtrauch.
Es iſt, zur holden Fruͤhlings-Zeit,
Die Welt ſo voller Lieblichkeit,
Daß man, nicht ohn’ Ergetzen, ſiehet,
Wie auch ſo gar der Dornſtrauch bluͤhet,
Und zwar ſo angenehm, ſo ſchoͤn,
Daß wir das ſchimmernde Gepraͤnge,
Der Bluhmen, Farben, Form und Menge,
Nicht ſonder Luſt und Anmuth, ſehn.
Wie? dacht ich, ſoll der Fluch der Erden,
Mit welchem ſie beleget war
Zu unſrer Strafe, denn ſo gar
Ein Vorwurf unſrer Anmuth werden?
Da ja ſo Dorn als Diſteln bluͤhn,
Und ſich, zu unſrer Augen-Weide,
Mit einem Schimmer-reichen Kleide,
Und bunten Farben, uͤberziehn.
Doch ſey die Antwort ausgeſetzt;
Weil das, was ich, hier in der Naͤhe,
Am Dornſtrauch Schoͤn- und Lieblichs ſehe,
Mir Aug’ und Herz ſo ſehr ergetzt,
Daß ich es, mit geruͤhrter Seele,
Zum Vorwurf meiner Lieder waͤhle.
Wer, mit betrachtendem Gemuͤth,
Den Bau des Dornſtrauchs uͤberſieht
Den Zweig, den Dorn, das Laub, die Bluͤht;
Auch, wie ſo ordentlich ſie ſtehn,
Wie ſehr ſie gleich verworren ſcheinen:
Der findet alle Theile ſchoͤn,
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/65>, abgerufen am 22.02.2025.
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