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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Schnecken. Lungenschnecken.
so, mit Unterbrechung aller Thätigkeit durch die mit eingeschlossene Feuchtigkeit ihr Leben bis auf
günstigere Zeiten zu fristen. Es besitzen ihn also unter anderen alle Strandschnecken.

Bei der großen Schönheit so vieler Schneckengehäuse und Muschelschalen, bei der Sauberkeit,
welche mit ihrer Aufbewahrung verbunden sein kann, ist es begreiflich, daß der Sammeleifer
der Naturliebhaber der vorigen Jahrhunderte sich vorzugsweise auf die Conchylien warf. Aber
schon im vorigen Jahrhundert geißelte der gelehrte Gegner Linnes, der Pfarrer Klein in
Königsberg, die Gedankenlosigkeit vieler dieser Dilettanten. "Die Meisten", sagt er, "freuen sich
ohne Urtheil (sine philosophia) an der unglaublichen Manchfaltigkeit der Conchylien, spielen
damit und verlangen nach ihnen, wie die Knaben nach Nüssen und die Reichen nach Kleinodien.
Die Wenigsten denken über die Grundzüge der Naturgeschichte nach. Wer etwas sorgfältiger zu
Werke geht, etikettirt seine Gehäuse, wie die Holländer, mit einem hübschen Namen: vor der
Schwierigkeit einer Beschreibung schrecken sie zurück. Denn so viele Gestalten, so viele Farben-
verschiedenheiten, so viele Theile des Gehäuses bestimmt in entsprechenden Worten auszudrücken,
das übersteigt die Kräfte eines solchen gewöhnlichen Naturforschers (vulgaris Philosophi)." Viel
schwieriger noch sei es, die eigentlichen Artunterschiede aufzufinden; ohne Gründlichkeit mache
man neue Arten und wärme den so und so viele Mal schon gekochten Kohl immer wieder von
Neuem auf. Der würdige Klein könnte noch heute seinen Zorn über die unberufenen Species-
macher ausgießen.



Erste Ordnung.
Lungenschnecken (Pulmonata).

Alle Landschnecken und der größte Theil der die süßen Gewässer bewohnenden Schnecken
athmen Luft. Der Mantel bildet in der Nackengegend eine Höhle, in welche durch eine, bei den
rechts gewundenen und bei den nackten Wegeschnecken rechts liegende Oeffnung die Luft eintritt
und an deren oberer, dem Mantel angehörigen Wandung sich ein dichtes Netz von Blutgefäßen
ausbreitet. Man sieht diese Lungenöffnung bei jeder ungestört kriechenden Schnecke. Sie
verengt sich und verschwindet, wenn man das Thier berührt und ins Gehäus treibt; es dauert
aber nicht lange, nachdem es sich zurückgezogen, so erscheint die Oeffnung wieder in der Nähe
des Spindelrandes. Natürlich müssen die im Wasser lebenden Lungenschnecken zum Athmen an
die Oberfläche kommen, und sie ersticken wie die Landschnecken, wenn man sie ihr Athembedürfniß
nicht auf diese Weise befriedigen läßt. Die Athemnoth tritt bei den unter Wasser gehaltenen
Thieren bald ein und sie schnappen unter Aufsperren des Lungeneinganges nach Luft, wiewohl bei
dem weniger lebhaften Athmungsproceß der Tod besonders bei den Wasser-Lungenschnecken nicht
so bald erfolgt.

Um die Uebereinstimmung der äußeren Körpertheile bei scheinbar höchst verschiedenen Gliedern
dieser Ordnung zu erkennen, stelle man ein Exemplar einer Nacktschnecke (Limax) mit einer
Gehäustragenden Garten- oden Weinbergsschnecke (Helix) zusammen. Bei Limax ist der hintere
Theil des Fußes nicht frei, sondern mit dem Schlauche verbunden, in welchem die Eingeweide
enthalten sind. Dieser Theil des Hautschlauches ist es nun, welcher bei Helix spiralig sich windet
und nicht aus dem Gehäus heraustritt. Mit diesem ist der Körper nur durch einen Muskel, den
Spindelmuskel verbunden, welcher sich oberhalb der ersten Windung an die Spindel ansetzt
und den Körper in die Schale zurückzieht. Mit ihm stehn noch andre im Vorderende sich ver-
breitende Muskeln in Verbindung, welche sich nur zum Theil, wie z. B. die zur Einstülpung

Schnecken. Lungenſchnecken.
ſo, mit Unterbrechung aller Thätigkeit durch die mit eingeſchloſſene Feuchtigkeit ihr Leben bis auf
günſtigere Zeiten zu friſten. Es beſitzen ihn alſo unter anderen alle Strandſchnecken.

Bei der großen Schönheit ſo vieler Schneckengehäuſe und Muſchelſchalen, bei der Sauberkeit,
welche mit ihrer Aufbewahrung verbunden ſein kann, iſt es begreiflich, daß der Sammeleifer
der Naturliebhaber der vorigen Jahrhunderte ſich vorzugsweiſe auf die Conchylien warf. Aber
ſchon im vorigen Jahrhundert geißelte der gelehrte Gegner Linnés, der Pfarrer Klein in
Königsberg, die Gedankenloſigkeit vieler dieſer Dilettanten. „Die Meiſten“, ſagt er, „freuen ſich
ohne Urtheil (sine philosophia) an der unglaublichen Manchfaltigkeit der Conchylien, ſpielen
damit und verlangen nach ihnen, wie die Knaben nach Nüſſen und die Reichen nach Kleinodien.
Die Wenigſten denken über die Grundzüge der Naturgeſchichte nach. Wer etwas ſorgfältiger zu
Werke geht, etikettirt ſeine Gehäuſe, wie die Holländer, mit einem hübſchen Namen: vor der
Schwierigkeit einer Beſchreibung ſchrecken ſie zurück. Denn ſo viele Geſtalten, ſo viele Farben-
verſchiedenheiten, ſo viele Theile des Gehäuſes beſtimmt in entſprechenden Worten auszudrücken,
das überſteigt die Kräfte eines ſolchen gewöhnlichen Naturforſchers (vulgaris Philosophi).“ Viel
ſchwieriger noch ſei es, die eigentlichen Artunterſchiede aufzufinden; ohne Gründlichkeit mache
man neue Arten und wärme den ſo und ſo viele Mal ſchon gekochten Kohl immer wieder von
Neuem auf. Der würdige Klein könnte noch heute ſeinen Zorn über die unberufenen Species-
macher ausgießen.



Erſte Ordnung.
Lungenſchnecken (Pulmonata).

Alle Landſchnecken und der größte Theil der die ſüßen Gewäſſer bewohnenden Schnecken
athmen Luft. Der Mantel bildet in der Nackengegend eine Höhle, in welche durch eine, bei den
rechts gewundenen und bei den nackten Wegeſchnecken rechts liegende Oeffnung die Luft eintritt
und an deren oberer, dem Mantel angehörigen Wandung ſich ein dichtes Netz von Blutgefäßen
ausbreitet. Man ſieht dieſe Lungenöffnung bei jeder ungeſtört kriechenden Schnecke. Sie
verengt ſich und verſchwindet, wenn man das Thier berührt und ins Gehäus treibt; es dauert
aber nicht lange, nachdem es ſich zurückgezogen, ſo erſcheint die Oeffnung wieder in der Nähe
des Spindelrandes. Natürlich müſſen die im Waſſer lebenden Lungenſchnecken zum Athmen an
die Oberfläche kommen, und ſie erſticken wie die Landſchnecken, wenn man ſie ihr Athembedürfniß
nicht auf dieſe Weiſe befriedigen läßt. Die Athemnoth tritt bei den unter Waſſer gehaltenen
Thieren bald ein und ſie ſchnappen unter Aufſperren des Lungeneinganges nach Luft, wiewohl bei
dem weniger lebhaften Athmungsproceß der Tod beſonders bei den Waſſer-Lungenſchnecken nicht
ſo bald erfolgt.

Um die Uebereinſtimmung der äußeren Körpertheile bei ſcheinbar höchſt verſchiedenen Gliedern
dieſer Ordnung zu erkennen, ſtelle man ein Exemplar einer Nacktſchnecke (Limax) mit einer
Gehäustragenden Garten- oden Weinbergsſchnecke (Helix) zuſammen. Bei Limax iſt der hintere
Theil des Fußes nicht frei, ſondern mit dem Schlauche verbunden, in welchem die Eingeweide
enthalten ſind. Dieſer Theil des Hautſchlauches iſt es nun, welcher bei Helix ſpiralig ſich windet
und nicht aus dem Gehäus heraustritt. Mit dieſem iſt der Körper nur durch einen Muskel, den
Spindelmuskel verbunden, welcher ſich oberhalb der erſten Windung an die Spindel anſetzt
und den Körper in die Schale zurückzieht. Mit ihm ſtehn noch andre im Vorderende ſich ver-
breitende Muskeln in Verbindung, welche ſich nur zum Theil, wie z. B. die zur Einſtülpung

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[788/0834] Schnecken. Lungenſchnecken. ſo, mit Unterbrechung aller Thätigkeit durch die mit eingeſchloſſene Feuchtigkeit ihr Leben bis auf günſtigere Zeiten zu friſten. Es beſitzen ihn alſo unter anderen alle Strandſchnecken. Bei der großen Schönheit ſo vieler Schneckengehäuſe und Muſchelſchalen, bei der Sauberkeit, welche mit ihrer Aufbewahrung verbunden ſein kann, iſt es begreiflich, daß der Sammeleifer der Naturliebhaber der vorigen Jahrhunderte ſich vorzugsweiſe auf die Conchylien warf. Aber ſchon im vorigen Jahrhundert geißelte der gelehrte Gegner Linnés, der Pfarrer Klein in Königsberg, die Gedankenloſigkeit vieler dieſer Dilettanten. „Die Meiſten“, ſagt er, „freuen ſich ohne Urtheil (sine philosophia) an der unglaublichen Manchfaltigkeit der Conchylien, ſpielen damit und verlangen nach ihnen, wie die Knaben nach Nüſſen und die Reichen nach Kleinodien. Die Wenigſten denken über die Grundzüge der Naturgeſchichte nach. Wer etwas ſorgfältiger zu Werke geht, etikettirt ſeine Gehäuſe, wie die Holländer, mit einem hübſchen Namen: vor der Schwierigkeit einer Beſchreibung ſchrecken ſie zurück. Denn ſo viele Geſtalten, ſo viele Farben- verſchiedenheiten, ſo viele Theile des Gehäuſes beſtimmt in entſprechenden Worten auszudrücken, das überſteigt die Kräfte eines ſolchen gewöhnlichen Naturforſchers (vulgaris Philosophi).“ Viel ſchwieriger noch ſei es, die eigentlichen Artunterſchiede aufzufinden; ohne Gründlichkeit mache man neue Arten und wärme den ſo und ſo viele Mal ſchon gekochten Kohl immer wieder von Neuem auf. Der würdige Klein könnte noch heute ſeinen Zorn über die unberufenen Species- macher ausgießen. Erſte Ordnung. Lungenſchnecken (Pulmonata). Alle Landſchnecken und der größte Theil der die ſüßen Gewäſſer bewohnenden Schnecken athmen Luft. Der Mantel bildet in der Nackengegend eine Höhle, in welche durch eine, bei den rechts gewundenen und bei den nackten Wegeſchnecken rechts liegende Oeffnung die Luft eintritt und an deren oberer, dem Mantel angehörigen Wandung ſich ein dichtes Netz von Blutgefäßen ausbreitet. Man ſieht dieſe Lungenöffnung bei jeder ungeſtört kriechenden Schnecke. Sie verengt ſich und verſchwindet, wenn man das Thier berührt und ins Gehäus treibt; es dauert aber nicht lange, nachdem es ſich zurückgezogen, ſo erſcheint die Oeffnung wieder in der Nähe des Spindelrandes. Natürlich müſſen die im Waſſer lebenden Lungenſchnecken zum Athmen an die Oberfläche kommen, und ſie erſticken wie die Landſchnecken, wenn man ſie ihr Athembedürfniß nicht auf dieſe Weiſe befriedigen läßt. Die Athemnoth tritt bei den unter Waſſer gehaltenen Thieren bald ein und ſie ſchnappen unter Aufſperren des Lungeneinganges nach Luft, wiewohl bei dem weniger lebhaften Athmungsproceß der Tod beſonders bei den Waſſer-Lungenſchnecken nicht ſo bald erfolgt. Um die Uebereinſtimmung der äußeren Körpertheile bei ſcheinbar höchſt verſchiedenen Gliedern dieſer Ordnung zu erkennen, ſtelle man ein Exemplar einer Nacktſchnecke (Limax) mit einer Gehäustragenden Garten- oden Weinbergsſchnecke (Helix) zuſammen. Bei Limax iſt der hintere Theil des Fußes nicht frei, ſondern mit dem Schlauche verbunden, in welchem die Eingeweide enthalten ſind. Dieſer Theil des Hautſchlauches iſt es nun, welcher bei Helix ſpiralig ſich windet und nicht aus dem Gehäus heraustritt. Mit dieſem iſt der Körper nur durch einen Muskel, den Spindelmuskel verbunden, welcher ſich oberhalb der erſten Windung an die Spindel anſetzt und den Körper in die Schale zurückzieht. Mit ihm ſtehn noch andre im Vorderende ſich ver- breitende Muskeln in Verbindung, welche ſich nur zum Theil, wie z. B. die zur Einſtülpung

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 788. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/834>, abgerufen am 19.11.2024.