1. Die Forderung von Geldcontributionen wurde in frühern Kriegen oft damit gerechtfertigt, daß sich mit der Bezahlung der Contribution die Städte oder Gemeinden von der Gefahr der Plünderung oder Zerstörung loskaufen. Allein das civilisirte Kriegsrecht erkennt kein Recht mehr an zur Plünderung und ebenso wenig ein Recht zu unnöthiger Zerstörung. Es kann also auch nicht mehr von einem Loskauf dieses Rechts die Rede sein. Zu andern Geldcontributionen, etwa zur Füllung der Kriegscasse oder des Statsschatzes oder gar zur Befriedigung der Genuß- und Gewinnsucht der Führer ist die Kriegsgewalt auch nicht berechtigt, denn sie hat keine willkürliche Gewalt über das Vermögen der Gemeinden und Privaten, gegen die sie nicht Krieg führt. So wenig sie die Bewohner des feind- liches Landes zwingen darf, die Lücken ihres Heeres zu ergänzen und persönliche Kriegsdienste zu leisten, ebenso wenig darf sie die Bevölkerung zwingen, die erfor- derlichen Gelder für ihre Kriegsführung zu bezahlen. Vgl. oben § 545. 576.
2. In manchen, sogar noch neueren Kriegen, selbst in der Preußischen Kriegs- führung von 1866, sind die richtigen Grundsätze nicht hinreichend beachtet und zu- weilen ohne zureichenden Rechtsgrund Contributionen in Geld von eingenommenen Städten erhoben worden. Das heutige europäische Rechtsgefühl kann sich aber mit solchen Resten einer früheren barbarischen Kriegsführung nicht mehr versöhnen; es wird durch jede unnöthige und ungerechte Härte gegen die friedliche Bevölkerung in Feindesland gekränkt.
655.
Wenn die Kriegsgewalt in Ermanglung der geordneten Lieferung von Lebensmitteln, Kleidern, Waffen und Geräthschaften, deren das Heer dringend bedarf, auf dem Wege des Zwangs Abtretung von Privateigen- thum verlangt, so ist der betreffende Statsfiscus zu angemessener Ent- schädigung verpflichtet und die Kriegsgewalt hat daher dem Eigenthümer eine Bescheinigung über die abgelieferte oder abgenommene Habe zu ertheilen.
Am. 38. Das Nothrecht des Kriegs rechtfertigt, soweit das unmittel- bare Bedürfniß des Heeres reicht, wenn sich die Besitzer der erforderlichen Habe nicht freiwillig zur Veräußerung herbeilassen, sogar den gewaltsamen Eingriff auch in das Privateigenthum, z. B. großer Grundbesitzer oder Kornhändler, deren Speicher mit Getreide oder mit Hafer und Heu gefüllt sind, der Lederhändler und Schuhmacher, die Vorräthe von Leder oder Schuhen haben u. s. f. Aber nur gegen Entschädigung, für welche nach natürlichen Rechtsgrundsätzen zunächst der Fiscus des States haftet, welcher diese Habe wegnimmt und für seine Interessen verwendet. Nur wenn diese Entschädigungsforderung nicht durchzusetzen ist, bestimmen Billigkeitsrücksichten den Stat, in dessen Gebiet die feindliche Gewalt die Abtretung erzwungen hat, dafür subsidiär einzustehen. Vgl. zu § 652.
Achtes Buch.
1. Die Forderung von Geldcontributionen wurde in frühern Kriegen oft damit gerechtfertigt, daß ſich mit der Bezahlung der Contribution die Städte oder Gemeinden von der Gefahr der Plünderung oder Zerſtörung loskaufen. Allein das civiliſirte Kriegsrecht erkennt kein Recht mehr an zur Plünderung und ebenſo wenig ein Recht zu unnöthiger Zerſtörung. Es kann alſo auch nicht mehr von einem Loskauf dieſes Rechts die Rede ſein. Zu andern Geldcontributionen, etwa zur Füllung der Kriegscaſſe oder des Statsſchatzes oder gar zur Befriedigung der Genuß- und Gewinnſucht der Führer iſt die Kriegsgewalt auch nicht berechtigt, denn ſie hat keine willkürliche Gewalt über das Vermögen der Gemeinden und Privaten, gegen die ſie nicht Krieg führt. So wenig ſie die Bewohner des feind- liches Landes zwingen darf, die Lücken ihres Heeres zu ergänzen und perſönliche Kriegsdienſte zu leiſten, ebenſo wenig darf ſie die Bevölkerung zwingen, die erfor- derlichen Gelder für ihre Kriegsführung zu bezahlen. Vgl. oben § 545. 576.
2. In manchen, ſogar noch neueren Kriegen, ſelbſt in der Preußiſchen Kriegs- führung von 1866, ſind die richtigen Grundſätze nicht hinreichend beachtet und zu- weilen ohne zureichenden Rechtsgrund Contributionen in Geld von eingenommenen Städten erhoben worden. Das heutige europäiſche Rechtsgefühl kann ſich aber mit ſolchen Reſten einer früheren barbariſchen Kriegsführung nicht mehr verſöhnen; es wird durch jede unnöthige und ungerechte Härte gegen die friedliche Bevölkerung in Feindesland gekränkt.
655.
Wenn die Kriegsgewalt in Ermanglung der geordneten Lieferung von Lebensmitteln, Kleidern, Waffen und Geräthſchaften, deren das Heer dringend bedarf, auf dem Wege des Zwangs Abtretung von Privateigen- thum verlangt, ſo iſt der betreffende Statsfiscus zu angemeſſener Ent- ſchädigung verpflichtet und die Kriegsgewalt hat daher dem Eigenthümer eine Beſcheinigung über die abgelieferte oder abgenommene Habe zu ertheilen.
Am. 38. Das Nothrecht des Kriegs rechtfertigt, ſoweit das unmittel- bare Bedürfniß des Heeres reicht, wenn ſich die Beſitzer der erforderlichen Habe nicht freiwillig zur Veräußerung herbeilaſſen, ſogar den gewaltſamen Eingriff auch in das Privateigenthum, z. B. großer Grundbeſitzer oder Kornhändler, deren Speicher mit Getreide oder mit Hafer und Heu gefüllt ſind, der Lederhändler und Schuhmacher, die Vorräthe von Leder oder Schuhen haben u. ſ. f. Aber nur gegen Entſchädigung, für welche nach natürlichen Rechtsgrundſätzen zunächſt der Fiscus des States haftet, welcher dieſe Habe wegnimmt und für ſeine Intereſſen verwendet. Nur wenn dieſe Entſchädigungsforderung nicht durchzuſetzen iſt, beſtimmen Billigkeitsrückſichten den Stat, in deſſen Gebiet die feindliche Gewalt die Abtretung erzwungen hat, dafür ſubſidiär einzuſtehen. Vgl. zu § 652.
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Achtes Buch.
1. Die Forderung von Geldcontributionen wurde in frühern Kriegen oft
damit gerechtfertigt, daß ſich mit der Bezahlung der Contribution die Städte oder
Gemeinden von der Gefahr der Plünderung oder Zerſtörung loskaufen. Allein das
civiliſirte Kriegsrecht erkennt kein Recht mehr an zur Plünderung und ebenſo wenig
ein Recht zu unnöthiger Zerſtörung. Es kann alſo auch nicht mehr von einem
Loskauf dieſes Rechts die Rede ſein. Zu andern Geldcontributionen, etwa zur
Füllung der Kriegscaſſe oder des Statsſchatzes oder gar zur Befriedigung der Genuß-
und Gewinnſucht der Führer iſt die Kriegsgewalt auch nicht berechtigt, denn ſie hat
keine willkürliche Gewalt über das Vermögen der Gemeinden und
Privaten, gegen die ſie nicht Krieg führt. So wenig ſie die Bewohner des feind-
liches Landes zwingen darf, die Lücken ihres Heeres zu ergänzen und perſönliche
Kriegsdienſte zu leiſten, ebenſo wenig darf ſie die Bevölkerung zwingen, die erfor-
derlichen Gelder für ihre Kriegsführung zu bezahlen. Vgl. oben § 545. 576.
2. In manchen, ſogar noch neueren Kriegen, ſelbſt in der Preußiſchen Kriegs-
führung von 1866, ſind die richtigen Grundſätze nicht hinreichend beachtet und zu-
weilen ohne zureichenden Rechtsgrund Contributionen in Geld von eingenommenen
Städten erhoben worden. Das heutige europäiſche Rechtsgefühl kann ſich aber mit
ſolchen Reſten einer früheren barbariſchen Kriegsführung nicht mehr verſöhnen; es
wird durch jede unnöthige und ungerechte Härte gegen die friedliche Bevölkerung in
Feindesland gekränkt.
655.
Wenn die Kriegsgewalt in Ermanglung der geordneten Lieferung
von Lebensmitteln, Kleidern, Waffen und Geräthſchaften, deren das Heer
dringend bedarf, auf dem Wege des Zwangs Abtretung von Privateigen-
thum verlangt, ſo iſt der betreffende Statsfiscus zu angemeſſener Ent-
ſchädigung verpflichtet und die Kriegsgewalt hat daher dem Eigenthümer
eine Beſcheinigung über die abgelieferte oder abgenommene Habe zu
ertheilen.
Am. 38. Das Nothrecht des Kriegs rechtfertigt, ſoweit das unmittel-
bare Bedürfniß des Heeres reicht, wenn ſich die Beſitzer der erforderlichen Habe nicht
freiwillig zur Veräußerung herbeilaſſen, ſogar den gewaltſamen Eingriff
auch in das Privateigenthum, z. B. großer Grundbeſitzer oder Kornhändler, deren
Speicher mit Getreide oder mit Hafer und Heu gefüllt ſind, der Lederhändler und
Schuhmacher, die Vorräthe von Leder oder Schuhen haben u. ſ. f. Aber nur
gegen Entſchädigung, für welche nach natürlichen Rechtsgrundſätzen zunächſt
der Fiscus des States haftet, welcher dieſe Habe wegnimmt und für ſeine
Intereſſen verwendet. Nur wenn dieſe Entſchädigungsforderung nicht durchzuſetzen iſt,
beſtimmen Billigkeitsrückſichten den Stat, in deſſen Gebiet die feindliche
Gewalt die Abtretung erzwungen hat, dafür ſubſidiär einzuſtehen. Vgl.
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/378>, abgerufen am 03.12.2024.
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