Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.Das Kriegsrecht. 5. Alle diese Leistungen begründen je nach Umständen einen Anspruch auf a) Leistungen, welche einfach aus Kriegs- und Steuerpflicht ohne Entschädigung von der Bevölkerung gefordert werden können. Der Umfang derselben wird entweder durch die Landesgesetzgebung oder durch die Uebung bestimmt. Im Einzelnen freilich wird immerhin Vieles der Discretion des Commando's überlassen werden; b) Leistungen, welche dieses Maß überschreiten und daher nach natürlichem Recht nur gegen Entschädigung zu fordern sind. 6. Freilich ist diese Entschädigungspflicht in der Praxis schwer zu 654. Das Völkerrecht erkennt kein Recht der Kriegsgewalt an, in feind- 23*
Das Kriegsrecht. 5. Alle dieſe Leiſtungen begründen je nach Umſtänden einen Anſpruch auf a) Leiſtungen, welche einfach aus Kriegs- und Steuerpflicht ohne Entſchädigung von der Bevölkerung gefordert werden können. Der Umfang derſelben wird entweder durch die Landesgeſetzgebung oder durch die Uebung beſtimmt. Im Einzelnen freilich wird immerhin Vieles der Discretion des Commando’s überlaſſen werden; b) Leiſtungen, welche dieſes Maß überſchreiten und daher nach natürlichem Recht nur gegen Entſchädigung zu fordern ſind. 6. Freilich iſt dieſe Entſchädigungspflicht in der Praxis ſchwer zu 654. Das Völkerrecht erkennt kein Recht der Kriegsgewalt an, in feind- 23*
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <pb facs="#f0377" n="355"/> <fw place="top" type="header">Das Kriegsrecht.</fw><lb/> <p>5. Alle dieſe Leiſtungen begründen je nach Umſtänden einen Anſpruch auf<lb/> Entſchädigung. Man muß hier unterſcheiden:</p><lb/> <list> <item><hi rendition="#aq">a</hi>) Leiſtungen, welche einfach aus <hi rendition="#g">Kriegs-</hi> und <hi rendition="#g">Steuerpflicht ohne<lb/> Entſchädigung</hi> von der Bevölkerung gefordert werden können. Der<lb/> Umfang derſelben wird entweder durch die <hi rendition="#g">Landesgeſetzgebung</hi><lb/> oder durch die <hi rendition="#g">Uebung</hi> beſtimmt. Im Einzelnen freilich wird immerhin<lb/> Vieles der Discretion des Commando’s überlaſſen werden;</item><lb/> <item><hi rendition="#aq">b</hi>) Leiſtungen, welche dieſes Maß überſchreiten und daher nach natürlichem<lb/> Recht nur <hi rendition="#g">gegen Entſchädigung</hi> zu fordern ſind.</item> </list><lb/> <p>6. Freilich iſt dieſe <hi rendition="#g">Entſchädigungspflicht</hi> in der Praxis ſchwer zu<lb/> normiren und noch ſchwerer durchzuſetzen. Die feindliche Kriegsgewalt, welche jene<lb/> Leiſtungen für ihre Kriegszwecke bedarf und empfängt, wäre <hi rendition="#g">zunächſt veranlaßt</hi>,<lb/> den Gemeinden und den Privaten, gegen welche ſie nicht Krieg führt, den Werth zu<lb/> vergüten. Aber dazu fehlen ihr im Kriege oft die Geldmittel, und doch kann ſie<lb/> die Leiſtung nicht entbehren. Sie wird daher in manchen Fällen bloß den <hi rendition="#g">Em-<lb/> pfang beſcheinigen</hi> und die <hi rendition="#g">Bezahlung in der Zukunft</hi> in Ausſicht ſtellen.<lb/> Ueberdem kann ſie ſich auf ihr vermeintliches Recht berufen, daß der <hi rendition="#g">gegneriſche<lb/> Stat</hi> mit den Kriegskoſten auch dieſe Leiſtungen zu übernehmen und daher ſeinen<lb/> Gemeinden und Landesangehörigen gegenüber die Entſchädigung zu leiſten habe.<lb/> Aus dieſem Grunde wird ſie oft ihre Zahlungspflicht überhaupt beſtreiten, und die<lb/> Gläubiger an den gegneriſchen Stat verweiſen, dem dieſelben angehören. Dieſer<lb/> Stat aber erkennt ſeine Entſchädigungspflicht gewöhnlich wieder nicht an, weil <hi rendition="#g">er<lb/> die Beiträge nicht begehrt, noch empfangen</hi> habe und weil er ſeinerſeits<lb/> die Meinung vertritt, daß der Krieg mit Unrecht gegen ihn geführt worden ſei. Er<lb/> betrachtet daher jene Belaſtung als ein <hi rendition="#g">Unglück</hi>, das mit dem Kriege verbunden<lb/> und von dem zu tragen ſei, den es betroffen habe. Nur aus <hi rendition="#g">Billigkeitsrück-<lb/> ſichten</hi> und meiſt nur, wenn ſeine financiellen Verhältniſſe günſtig beſchaffen ſind,<lb/> läßt er ſich zur Entſchädigung, je nach ſeinem Ermeſſen, herbei. Der Friedensſchluß<lb/> ordnet das ſelten näher, und wenn er darüber ſchweigt, ſo werden damit alle An-<lb/> forderungen der Gemeinden und Privaten an den feindlichen Stat, welcher die Bei-<lb/> träge eingefordert hatte, höchſt unſicher und ihre Befriedigung ſehr unwahrſcheinlich.<lb/> Es bleibt denſelben dann kaum ein anderer Weg offen, als der, die billige Berück-<lb/> ſichtigung ihres Landes anzurufen.</p> </div> </div><lb/> <div n="4"> <head>654.</head><lb/> <p>Das Völkerrecht erkennt kein Recht der Kriegsgewalt an, in feind-<lb/> lichem Lande von Gemeinden und Privaten andere als die für die Exiſtenz<lb/> und Thätigkeit des Heeres unentbehrlichen Leiſtungen zu verlangen. Ins-<lb/> beſondere hat die Auflage von reinen Geldcontributionen keine kriegsrechtliche<lb/> Begründung.</p><lb/> <fw place="bottom" type="sig">23*</fw><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [355/0377]
Das Kriegsrecht.
5. Alle dieſe Leiſtungen begründen je nach Umſtänden einen Anſpruch auf
Entſchädigung. Man muß hier unterſcheiden:
a) Leiſtungen, welche einfach aus Kriegs- und Steuerpflicht ohne
Entſchädigung von der Bevölkerung gefordert werden können. Der
Umfang derſelben wird entweder durch die Landesgeſetzgebung
oder durch die Uebung beſtimmt. Im Einzelnen freilich wird immerhin
Vieles der Discretion des Commando’s überlaſſen werden;
b) Leiſtungen, welche dieſes Maß überſchreiten und daher nach natürlichem
Recht nur gegen Entſchädigung zu fordern ſind.
6. Freilich iſt dieſe Entſchädigungspflicht in der Praxis ſchwer zu
normiren und noch ſchwerer durchzuſetzen. Die feindliche Kriegsgewalt, welche jene
Leiſtungen für ihre Kriegszwecke bedarf und empfängt, wäre zunächſt veranlaßt,
den Gemeinden und den Privaten, gegen welche ſie nicht Krieg führt, den Werth zu
vergüten. Aber dazu fehlen ihr im Kriege oft die Geldmittel, und doch kann ſie
die Leiſtung nicht entbehren. Sie wird daher in manchen Fällen bloß den Em-
pfang beſcheinigen und die Bezahlung in der Zukunft in Ausſicht ſtellen.
Ueberdem kann ſie ſich auf ihr vermeintliches Recht berufen, daß der gegneriſche
Stat mit den Kriegskoſten auch dieſe Leiſtungen zu übernehmen und daher ſeinen
Gemeinden und Landesangehörigen gegenüber die Entſchädigung zu leiſten habe.
Aus dieſem Grunde wird ſie oft ihre Zahlungspflicht überhaupt beſtreiten, und die
Gläubiger an den gegneriſchen Stat verweiſen, dem dieſelben angehören. Dieſer
Stat aber erkennt ſeine Entſchädigungspflicht gewöhnlich wieder nicht an, weil er
die Beiträge nicht begehrt, noch empfangen habe und weil er ſeinerſeits
die Meinung vertritt, daß der Krieg mit Unrecht gegen ihn geführt worden ſei. Er
betrachtet daher jene Belaſtung als ein Unglück, das mit dem Kriege verbunden
und von dem zu tragen ſei, den es betroffen habe. Nur aus Billigkeitsrück-
ſichten und meiſt nur, wenn ſeine financiellen Verhältniſſe günſtig beſchaffen ſind,
läßt er ſich zur Entſchädigung, je nach ſeinem Ermeſſen, herbei. Der Friedensſchluß
ordnet das ſelten näher, und wenn er darüber ſchweigt, ſo werden damit alle An-
forderungen der Gemeinden und Privaten an den feindlichen Stat, welcher die Bei-
träge eingefordert hatte, höchſt unſicher und ihre Befriedigung ſehr unwahrſcheinlich.
Es bleibt denſelben dann kaum ein anderer Weg offen, als der, die billige Berück-
ſichtigung ihres Landes anzurufen.
654.
Das Völkerrecht erkennt kein Recht der Kriegsgewalt an, in feind-
lichem Lande von Gemeinden und Privaten andere als die für die Exiſtenz
und Thätigkeit des Heeres unentbehrlichen Leiſtungen zu verlangen. Ins-
beſondere hat die Auflage von reinen Geldcontributionen keine kriegsrechtliche
Begründung.
23*
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |